Gelsenkirchen. Der britische BP-Konzern will seine Raffinerien in Gelsenkirchen komplett verkaufen. Ein Schock für 2000 Mitarbeiter, der Ärger ist groß.
Kurzfristig hatte BP seine 2.000 Beschäftigten und 160 Auszubildenden in Gelsenkirchen zu einer Mitarbeiterversammlung für Donnerstagmittag einberufen. Dabei ahnte der eine oder andere schon, dass dies eine historische Versammlung werden dürfte - und sollte Recht behalten. Denn der Aral-Mutterkonzern BP Europa SE will sich von seiner Raffinerie in Gelsenkirchen trennen.
Das Ziel sei, noch im laufenden Jahr die entsprechenden Verträge zu schließen, erklärte das Unternehmen. In einer Mitteilung des Mineralölkonzerns heißt es, es werde nun „der Markt für einen möglichen Verkauf“ sondiert. Der Vermarktungsprozess beginne umgehend mit der Suche nach einem passenden Käufer und zielt darauf, noch im Jahr 2025 die entsprechenden Verträge zu schließen. Wer ein möglicher Käufer sein könnte, dazu sagte der Konzern nichts.
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Teilnehmer der Betriebsversammlung berichten unserer Redaktion, dass sich die Beschäftigten „verarscht“ fühlen und sauer sind. „Jahrelang hat man uns gesagt, wenn ihr dieses Ziel schafft und jenes, dann sind eure Arbeitsplätze sicher. Wir haben die Ziele erreicht, und was ist jetzt?“, fragt ein aufgebrachter BP-Mitarbeiter. Andere Beschäftigte fragten, ob man sich in Gelsenkirchen denn nun noch weiter an „die strengen Regeln“ des Mutterkonzerns halten müsse, die dazu führten, dass selbst Führungskräfte nichts selbst entscheiden dürften. Erleichterung gab es aber auch darüber, dass jetzt zumindest erstmal nicht wie angekündigt das Werk in Horst geschlossen werde, berichten Mitarbeiter.
Politik und Stadt sollen sich für Erhalt der Arbeitsplätze in Gelsenkirchen einsetzen
Die Absicht der BP Europa SE, den Markt für einen möglichen Verkauf der Ruhr Oel GmbH – BP Gelsenkirchen zu sondieren und noch in diesem Jahr verbindliche Verkaufsvereinbarungen abzuschließen, ist bei der Stadt Gelsenkirchen indes mit „großem Interesse und Sorge“ zur Kenntnis genommen worden. Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD), die im Austausch mit der Leitung des Gelsenkirchener Raffineriestandorts sowie der Arbeitnehmervertretung stehe, äußert in einer ersten Stellungnahme die deutliche Erwartung, dass bei allen Verkaufsverhandlungen die Kriterien der langfristigen Standort- und umfassenden Beschäftigungssicherung oberste Priorität bei der Auswahl potenzieller Käufer haben müssen: „Es geht dabei um den langfristigen Erhalt von über 1500 Industriearbeitsplätzen in Gelsenkirchen. Und es geht um die Zukunft von über 1500 Beschäftigten, die mit ihrem Engagement und ihrer Leistung in den vergangenen Monaten dafür gesorgt haben, dass der Raffineriestandort Gelsenkirchen nun wieder wettbewerbsfähige und hochattraktiv ist.“
In den vergangenen Jahren sind zudem erhebliche Investitionen in die Anlagen in Scholven und Horst getätigt worden, sodass manch prognostizierte Schreckensszenarien nicht eingetreten sind, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. „Unsere große Hoffnung in Gelsenkirchen kann nur sein, dass gerade ein Eigentümerwechsel zu einer dauerhaften und langfristigen Standort- und Beschäftigungssicherung beitragen kann. Wir werden die künftigen Entwicklungen jedenfalls sehr sorgfältig beobachten und erwarten, dass in den Verkaufsverhandlungen die Belange der Arbeitnehmerschaft angemessen berücksichtigt werden“, so Karin Welge.
Für den BP-Betriebsratsvorsitzenden Darko Manojlovic kam die Nachricht nicht ganz aus heiterem Himmel: „Wer die Entwicklungen der vergangenen Jahre aufmerksam verfolgt hat, der konnte ahnen, dass es in diese Richtung geht“, sagte er. Für die kommende Woche habe der Betriebsrat eine Sondersitzung des Aufsichtsrats beantragt. Wichtige Punkte, die die Arbeitnehmervertreter sich bei BP erkämpft hätten, sollen auch nach einem Besitzerwechsel gelten: „Wir wollen im Flächentarif bleiben“, zählt Manojlovic auf, „Altersversorgungen sollen weiter gezahlt werden, Mitbestimmungsstrukturen sollen nach wie vor gelten – und wir wollen Standortgarantien.“ Der Verkauf könne auch eine Chance sein, so der Betriebsratschef: „Wir sind gut aufgestellt und haben gute Leute an Bord“, warb er für den Standort Gelsenkirchen.
Überrascht von der BP-Nachricht zeigt sich Markus Töns, Bundestagsabgeordneter der Gelsenkirchener SPD, und erinnert daran, dass „die BP-Zentrale in London erst im vergangenen Jahr einen Umbau inklusive Stellenabbau am Gelsenkirchener Standort ins Auge“ hatte. Umso überraschender sei die aktuelle Ankündigung des geplanten Verkaufs des Standortes.
Tatsächlich hatte der Konzern im März 2024 erklärt, dass in Gelsenkirchen ab 2025 fünf Anlagen der Raffinerie außer Betrieb genommen werden sollten, weil der Standort nicht wettbewerbsfähig sei. Die Rede war von 230 Arbeitsplätzen, die künftig wegfallen sollten. Diese Ankündigung hatte in Gelsenkirchen auch deshalb für großen Unmut gesorgt, weil die hiesige Politik nur wenige Wochen vorher den Weg für die umstrittenen Erweiterungspläne von BP im Stadtnorden freigemacht hatte, wo der britische Konzern zusammen mit einem Partner eine Pyrolyseanlage betreiben wollte, um die wirtschaftliche Zukunft des Standortes zu sichern.
Gelsenkirchens Wirtschaftsdezernent, Simon Nowack (CDU), betont indes, dass Industrie- und Chemie zur DNA Gelsenkirchens gehören und damit einhergehend gut bezahlte Arbeitsplätze. „Deshalb haben wir mit dem Planungsrecht für die BP-Norderweiterung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Petrochemie in Gelsenkirchen eine Zukunft hat und die grüne Transformation der Raffinerien gelingen kann. Jetzt ist BP am Zug, alles dafür zu tun, den Standort und die Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern. Auf der Verlässlichkeit und Seriosität des Investors wird es ankommen.“
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„Ein solcher Verkauf darf unter keinen Umständen zu einem massiven Stellenabbau führen. Das Unternehmen BP hat eine Verantwortung gegenüber seinen Angestellten, die dem Unternehmen über Jahre der Ungewissheit hinweg vertraut haben. BP darf sich dieser Verantwortung nicht durch einen Vertragsabschluss entledigen“, mahnt daher auch Markus Töns.
Der SPD-Politiker hofft nun ebenso wie die Beschäftigten, dass sich ein Käufer findet, der die Arbeitsplätze erhält und sicher in die Zukunft führt. „Deshalb müssen die zukünftige Bundesregierung, die Landesregierung sowie die Stadt Gelsenkirchen einen regulatorischen Rahmen schaffen, der es dem Unternehmen erlaubt, den Standort in einen Produzenten von biogenen Ölen sowie Kraftstoffen zu verwandeln. Nur so kann der Standort wirtschaftlich tragfähig erhalten bleiben“, so Töns.