Gelsenkirchen. Drohen in Gelsenkirchen 2.000 Arbeitsplätze zu verschwinden, wenn BP sich zurückzieht? Die Sorge ist groß in Gelsenkirchen, die Erwartungen klar.
Diese Nachricht schlug ein wie ein Blitz: Der Mineralölkonzern BP erklärte am Donnerstag überraschend, seine Raffinerie-Tochter Ruhr Oel in Gelsenkirchen mit insgesamt rund 2.235 Beschäftigten verkaufen zu wollen. Man beabsichtige, den Markt für einen möglichen Verkauf der Ruhr Oel GmbH sowie der dazugehörigen Raffinerieanlagen in Horst und Scholven zu durchleuchten, teilte BP Europa in Bochum mit. Damit beginne der Konzern umgehend. „Ziel ist es, noch im Jahr 2025 verbindliche Verkaufsvereinbarungen abzuschließen“. Dabei hatte BP erst vor knapp einem Jahr eine Neuaufstellung des Standorts angekündigt, der mit einem Kapazitäts- und Stellenabbau verbunden sein sollte. Umso überraschter und schockierter reagieren jetzt Gewerkschaft und Politik in Gelsenkirchen.
So wirft die Gewerkschaft IGBCE BP etwa vor, seiner sozialen Verantwortung nicht gerecht zu werden. Mit der Ankündigung verlasse das Unternehmen „den Pfad der sozialen Verantwortung“, kritisiert die IGBCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie). „Für die Beschäftigten, aber auch für die Stadt und die gesamte Region ist das keine gute Nachricht, weil damit große Unsicherheit verbunden ist“, sagt der Leiter des IGBCE-Bezirks Gelsenkirchen, Thomas Steinberg, laut einer Stellungnahme. Er verspricht, dass sich die Gewerkschaft für die Beschäftigten und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze einsetzen wird. „Wir erwarten, dass es für sie auch in Zukunft bei Tarifbindung, sozialen Standards und Arbeitsbedingungen keine Verschlechterungen geben wird“, so Steinberg weiter.
Nachricht über den geplanten Raffinerie-Verkauf von BP ist ein Schock für Gelsenkirchen
Und auch aus der Gelsenkirchener Politik werden klare Erwartungen an den Welt-Konzern formuliert, nachdem am Donnerstag bereits Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) und Wirtschaftsdezernent Simon Nowack (CDU), an BP appelliert haben, für eine Zukunft der Arbeitsplätze am Standort Sorge zu tragen.
„Die Nachricht über den geplanten Raffinerie-Verkauf von BP ist ein Schock für die Stadt und für uns. Für die Mitarbeiter muss jetzt schnellstens Transparenz und Klarheit geschaffen werden, wie es am Standort in Zukunft insgesamt unter neuer Eigentümerschaft weitergeht“, fordert Sascha Kurth, Fraktionsvorsitzender der CDU Gelsenkirchener CDU.
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Auch Kurth erinnert daran, dass die lokale Politik erst im vergangenen Jahr Weichenstellungen für den Standort getroffen hatte: „Vor Ort haben wir alles unternommen, was in unserem Einflussbereich liegt, um den Standort zu sichern und zukunftsfest zu machen. Dazu gehörte sicherlich auch die positive Entscheidung für eine mögliche Norderweiterung, um die Errichtung einer Anlage zur Pyrolyse von Kunststoffabfällen zu ermöglichen. Dass kurz nach diesem Schritt jetzt der Verkauf angekündigt wird, lässt uns fassungslos zurück“, so Kurth.
Der CDU-Politiker, der bei der anstehenden Bundestagswahl gerne ins Berliner Parlament gewählt werden will, verhehlt nicht, dass „der Standort Deutschland insgesamt in den letzten Jahren auch aufgrund falscher wirtschaftspolitischer Weichenstellungen an Attraktivität verloren hat“. Trotzdem stehe der Konzern in einer ganz besonderen Verantwortung für den Standort Gelsenkirchen, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. BP dürfe nichts unversucht lassen, eine verantwortungsvolle Nachfolgelösung zu entwickeln.
Der Erhalt der Arbeitsplätze und die Sicherung des Produktionsstandortes Gelsenkirchen steht auch für den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Rat, Axel Barton, im Vordergrund. „Bei aller Besorgnis, die solche Meldungen verständlicherweise auslösen, teile ich die Hoffnung von Oberbürgermeisterin Karin Welge, dass bei einem Eigentümerwechsel in jedem Fall die Sicherung der hochwertigen Industriearbeitsplätze gelingen muss“, so Barton.
Auch der Sozialdemokrat betont, dass vor Ort planungsrechtlich die Voraussetzungen geschaffen wurden, um den Standort hin zu modernen Produkten zu erweitern. Die Neuausrichtung hin zu nachhaltigen und klimafreundlichen Produktionslinien sei unverzichtbar. „Deshalb wird es wichtig sein, sich das Konzept eines eventuellen Käufers genau anzusehen und es wird wichtig sein, das Ganze auf allen politischen Ebenen intensiv zu begleiten“, so Barton.
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Ähnlich äußern sich auch die SPD-Landtagsabgeordneten Sebastian Watermeier und Christin Siebel. „Wir stehen solidarisch an der Seite der Beschäftigten, deren Arbeitsplätze und gute Tarifbedingungen auch bei einem Eigentümerwechsel unbedingt gewahrt bleiben müssen. Es geht um die Lebensgrundlage tausender Familien, die nicht durch übereilte betriebswirtschaftlich motivierte Entscheidungen in Gefahr gebracht werden darf“, erklären die Abgeordneten.
Zugleich werfen Siebel und Watermeier Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) eine „industriepolitisch gleichgültige Haltung“ gegenüber der chemischen Industrie und dem Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet vor und kündigen an, die Landesregierung an ihre Verantwortung erinnern zu wollen.
Gelsenkirchener Grüne und FDP zeigen sich empört über BP
„Empört“ reagieren auch die Grünen, und so erklärt Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic sich solidarisch mit den Mitarbeitern und fordert ihrerseit von BP, das angekündigte Ziel, noch innerhalb dieses Jahres Verkaufsverträge zu unterzeichnen, nicht über die Standortsicherung und damit den Erhalt der Arbeitsplätze zu stellen. Mihalics Parteifreund Benedikt Hölker, grünes Mitglied im Umweltausschuss, ergänzt: „Ein neuer Eigentümer muss unter Beweis stellen, dass und wie er die Raffinerien mittelfristig umstellen will, um die Arbeitsplätze, aber auch die Bedeutung der Raffinerien für die regionale Industrie zu sichern. Lingen hat das Rennen aufgrund seines Zugangs zu günstiger erneuerbarer Energie gemacht. Das sollte uns Mahnung und Ansporn zugleich sein.“
Von einem „Schock“ spricht auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Susanne Cichos. Die Pläne von BP kommen ihr zufolge zu einer Zeit, in der nicht nur der Standort Gelsenkirchen, sondern der Industriestandort Deutschland in Schwierigkeiten steckt. „Es stimmt mich nicht optimistisch, dass ein Konzern sich von einem nach eigenen Angaben nicht ‚wettbewerbsfähigen‘ Standort trennt. Wir stehen jetzt an der Seite des Betriebsrates und der Mitarbeiter und werden deren Forderungen nach Standort- und Tarifsicherheit unterstützen“, so Cichos.
Die FDP-Politikerin verweist darauf, dass inzwischen weite Teile der besonders energieintensiven Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie in Deutschland aufgrund „hoher Strompreise, ausufernder Bürokratie, langfristiger Genehmigungsverfahren und Steuern“ nicht mehr wettbewerbsfähig sind. „Das ist das Ergebnis einer völlig verfehlten grünen Wirtschafts- und Energiepolitik. Ungewissheit und Angst herrscht jetzt nicht nur bei den Mitarbeitern des britischen Ölkonzerns, auch unzählige Zulieferer machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft“, so Cichos.