Gelsenkirchen. Ungewöhnlicher Aufruf nicht nur an Katholiken: Bürger sollen Kerzenreste spenden. Was diese im Kampf gegen Putins Zermürbungstaktik nützen.
Bombenkrater auf den Straßen, massiv beschädigte Häuser, viele Verletzte und Tote: Die Bilder aus der Ukraine flimmern zwar nicht mehr so häufig in unsere Wohnzimmer wie zu Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Real ist das Grauen dennoch und mit dem Auto nur eine knappe Tagesreise entfernt. Emotional besonders nahe ist es ukrainischen Geflüchteten, die hier in Sicherheit sind, aber ihre Familien in Gefahr wissen, große Probleme im Alltag inklusive: Über Stunden fallen Strom und Heizung aus. Genau da setzt nun eine ungewöhnliche Hilfsaktion der drei katholischen Pfarreien St. Hippolytus, St. Urbanus und St. Augustinus an: Sie sammeln Kerzenreste.
„Die Menschen dort können sich phasenweise nicht mal mehr ein warmes Mittagessen, Kaffee oder Tee kochen, weil der Strom immer wieder über Stunden weg ist“, berichtet Ralf Berghane, Verwaltungsleiter der Pfarrei St. Hippolytus und seit Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Dadurch bestens auch in die ukrainische Community vernetzt, hat er Ende 2024 einen Hilferuf von Yurii Vojnolovich erhalten, der nach seiner Flucht aus Kiew rund ein Jahr in einer Unterkunft der Pfarrei lebte.
Lichter mit Gelsenkirchener Wachsresten werden in Wohnungen und an der Front genutzt
Gemeinsam mit seiner Frau Kateryna Rykhalska bat der 52-Jährige darum, in Gelsenkirchen Kerzen- und Wachsreste zu sammeln, um sie in die ukrainische Heimat zu schicken. „Dort werden sie von Freiwilligen eingeschmolzen und mit eingedrehter Pappe sowie einem Docht aus Holzfurnier in große Konservendosen gefüllt“, erklärt er im Gespräch mit der Redaktion, und seine Frau ergänzt: „Die Lichter werden dann besonders an Privathaushalte verteilt, damit sich die Menschen auf der Flamme ein einfaches Essen zubereiten können.“ Auch zum Aufwärmen seien sie hochwillkommen.
Gerade Familien mit Kindern und ältere Menschen litten unter der bisweilen eisigen Kälte in den Wohnungen. „Mitunter haben wir zweistellige Minusgerade in der Ukraine“, so Vojnolovich, der in Kiew eine Hilfsorganisation für Hepatitis-Patienten führt und seit seiner Flucht Hilfstransporte für die Zivilbevölkerung mitorganisiert. Besonders der Witterung ausgesetzt seien auch die Soldaten an der Front, die teils nicht nur tage-, sondern wochen- oder gar monatelang im Freien in Gräben kampieren müssten. „Auch für sie sind die Lichter bestimmt“, sagt Kateryna Rykhalska (42).
Ein Konservendosen-Licht aus Gelsenkirchen liefert für acht Stunden Wärme und Licht

Bis zu acht Stunden brennen sie, so die Rückmeldung aus der Ukraine. „40 Kilogramm Wachs reichen aus, um 150 Lichter anzufertigen“, so die Ärztin, die seit ihrer Flucht im März 2022 darauf hofft, dass ihr Studien- und Berufsabschluss bald anerkannt werden, damit sie wieder in einem medizinischen Bereich arbeiten kann. In der Ukraine war sie als Spezialistin für Hepatitis-Infektionen tätig.
Dem nun in Essen lebenden Ehepaar ist klar, dass es den Krieg von Deutschland aus nicht beenden kann und nicht mal Einfluss auf dessen Verlauf hat, auch wenn es in Gedanken jeden Tag bei seinen Angehörigen in der Ukraine ist. Aktiv werden wollen die Zwei trotzdem. „Wir möchten den Alltag in der Ukraine ein bisschen wärmer und heller machen“, sagt die 42-Jährige und meint das ganz praktisch, aber ebenso im übertragenen Sinn: als Zeichen der Hoffnung.
Gelsenkirchener können Wachsreste an diesen zwölf Sammelpunkten abgeben

Bei Berghane fanden sie schnell Unterstützung, er holte auch Akteurinnen und Akteure aus den anderen zwei Pfarreien St. Augustinus in der Altstadt und St. Urbanus in Buer mit ins Boot. Die Pastoralreferenten Laura Meemann und Markus Zingel engagieren sich selbst seit Jahren für ukrainische Flüchtlinge und waren sofort bereit, den Sammel-Aufruf zu unterstützen. Mit im Boot ist auch Josef Bathen, Betreiber des buerschen Cafés Odiba mit angeschlossener Rösterei. Er beschäftigt die aus der Ukraine geflüchtete Viktoriia Petrenko, die ehrenamtlich als Übersetzerin für die Pfarrei St. Urbanus arbeitet, und den Gastronomen ebenfalls um Mithilfe bat.
Kurz: Mittlerweile finden sich Sammelboxen an zwölf Standorten fast im gesamten Stadtgebiet. Seit Beginn der Aktion Ende Dezember sind bereits etliche Kilogramm Wachs zusammengekommen. „Dabei handelt es sich nicht nur um Reste, sondern vielfach auch um nie angezündete Kerzen, einige noch originalverpackt und wahrscheinlich einige Jahrzehnte alt“, berichtet St.-Urbanus-Küster Bernd Tilli. Sogar geweihte Osterkerzen, die sichtlich die letzten Jahre in Schubladen gelagert waren, seien abgegeben worden.
Kerzen und Wachsreste können noch bis Samstag, 1. März, an folgenden Standorten abgegeben werden: Café Odiba an der Nienhofstraße in Buer, St.-Urbanus-Kirche in Buer, St. Michael an der Valentinstraße in Hassel, Herz-Jesu-Kirche an der Ahornstraße in Resse, St.-Barbara-Kirche an der Cranger Straße in Erle, St.-Hippolytus-Kirche an der Essener Straße in Horst, Textilhaus Strickling an der Essener Straße in Horst, Pfarrbüro St. Hippolytus, Auf dem Schollbruch, Seniorenzentrum Haus Marienfried an der Marienfriedstraße in Horst, Sparkasse Beckhausen an der Horster Straße, altes Pfarrhaus Liebfrauen an der Horster Straße in Beckhausen, St.-Augustinus-Kirche am Heinrich-König-Platz.