Gelsenkirchen. Sollen Bürgergeldempfänger zu Minijobs verpflichtet werden dürfen? Wie der neuerliche Vorstoß in Gelsenkirchen ankommt.

Eine alte Diskussion nimmt dieser Tage erneut Fahrt auf, weil es immer wahrscheinlicher scheint, dass nach der Bundestagswahl die Abwicklung des umstrittenen Bürgergelds ansteht. Ginge es dann nach dem Willen der NRW-Kommunen, würde es künftig eine strengere Arbeitsverpflichtung für Sozialleistungsbezieher geben.

Drei Stunden am Tag arbeiten für das Gemeinwohl

Solange Bürgergeld-Empfänger und Asylbewerber eingeschränkt erwerbsfähig seien, müssten sie auch ohne reelle Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen Job zumindest für drei Stunden am Tag zu einer Tätigkeit für das Gemeinwohl herangezogen werden, heißt es in einem Konzeptpapier, das zurzeit im Städtetag NRW diskutiert wird. In Gelsenkirchen beträfe es mehr als 35.000 erwerbsfähige Leistungsempfänger.

Einen neuerlichen Vorstoß, diese alte Idee in die Tat umzusetzen, hat jetzt unter anderem der Essener Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) unternommen. Demnach sollen Langzeitarbeitslose gesetzlich verpflichtet werden, eine vom Jobcenter zugewiesene gemeinnützige Arbeitsgelegenheit anzunehmen und so dem Gemeinwohl zu dienen. Auch das Asylbewerberleistungsgesetz soll damit verknüpft werden. Wer sich verweigert, riskiert die Kürzung der Sozialleistung.

Durch Sprachkurse und Qualifizierung fit für den Arbeitsmarkt machen

Gelsenkirchens Sozialdezernentin und Oberbürgermeisterkandidatin der SPD, Andrea Henze, mahnt bei dem Thema um eine differenzierte Betrachtung. „In den meisten Fällen sind es ganz handfeste Vermittlungshemmnisse, die dafür sorgen, dass Bürgergeldempfänger nicht im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen, sei es Krankheit, seien es mangelnde Sprachkenntnisse, sei es fehlende Kinderbetreuung. Durch eine Arbeitspflicht löst man diese Hemmnisse nicht auf. Stattdessen zementiert sie die Menschen im System fest“, so Henze.

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Für die Sozialdezernentin stehe daher im Vordergrund, dass die Betroffenen durch Sprachkurse, durch Qualifizierung fit für den ersten Arbeitsmarkt gemacht werden „und sie nicht dauerhaft im Niedriglohnsektor festgehalten werden“. Wenn darüber hinaus noch eine Arbeit aufgenommen werden könne, dann könne das gerne geschehen. „Aber es muss auch passen. Das kommt nur für einen geringen Teil der Bürgergeldempfänger infrage. Aber dieses Instrument, diese Arbeitsgelegenheiten, die haben wir ja auch jetzt schon. Das praktizieren wir jetzt schon sehr erfolgreich. Da sehe ich durchaus eine Möglichkeit der Ausweitung“. so Henze.

Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze (SPD).
Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze (SPD). © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Offener für den Vorschlag seines Essener Parteifreundes zeigt sich Sascha Kurth, Bundestagskandidat der Gelsenkirchener CDU. „Eine Verpflichtung für Leistungsempfänger, gemeinwohlorientierte Aufgaben zu übernehmen, halte ich für sehr interessant“, so Kurth. Erwerbsfähige Menschen sollten auch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, wenn sie Leistungen der Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen. Es dürfe sich auch nicht manifestieren, dass Menschen das Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen ansehen, so der Gelsenkirchener CDU-Chef.

Dass damit auch „die aktuell gesellschaftlich stark schwindende Akzeptanz für – heute – gegenleistungslose Transferleistungen erhöht, Schwarzarbeit bekämpft und Betroffene zusätzlich Struktur“ bekämen, spricht laut Kurth ebenfalls für eine solche Maßnahme.

Auch Gelsenkirchens AfD-Chefin und Landtagsabgeordnete, Enxhi Seli-Zacharias, spricht sich deutlich für eine zugewiesene Arbeit für Hilfeempfänger aus. „Wer nicht spurt, verwirkt jegliches Recht auf staatliche Fürsorge. Ich bleibe dabei: Wenn wir die vielen Menschen – insbesondere die vielen jungen Leute – die von staatlicher Stütze leben, für die Reinigung von Straßen einsetzen würden, könnte man vom Boden essen“, so Seli-Zacharias auf Nachfrage.

Zweifel an Rechtmäßigkeit der Maßnahme

Die Gelsenkirchenerin und Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic spricht dagegen von einer „ hochpopulistischen“ Debatte. „Die Forderung nach einer mit entsprechenden Sanktionen unterfütterten Arbeitspflicht verkennt die Realitäten und auch das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum.“ Außerdem seien in der Diskussion viele Unwahrheiten im Umlauf, sagt Mihalic und verweist darauf, dass „nur etwa 1% der Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger die Aufnahme von Arbeit ablehnt, 99% wollen arbeiten.“

Mihalic wünscht sich vielmehr an manchen Stellen in der Politik ein „positiveres Menschenbild, das erst einmal davon ausgeht, dass Menschen sich engagieren wollen und die allermeisten unverschuldet in die Kreisläufe der Langzeitarbeitslosigkeit geraten“.

Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Verzerrt dargestellt würde darüber hinaus auch der Personenkreis der Bürgergeldempfänger. Mihalic unterstreicht, dass in Deutschland zwar ca. 5,5 Millionen Menschen leistungsberechtigt sind, „2,3 Millionen davon aber nicht klassisch arbeitslos sondern Aufstocker, Azubis, dauerhaft krank und so weiter sind“. Und: „1,5 Millionen Bürgergeldempfänger sind Kinder und Jugendliche. Das heißt: Wenn Sanktionen gegen Elternteile verhängt werden, trifft das vor allem diese Kinder, die komplett abhängig sind vom Einkommen der Eltern“.

Gerade für Gelsenkirchen mit den vielen Langzeitarbeitslosen und Kindern in Armut, wäre es fatal für die Entwicklung, wenn gerade Kinder und Jugendliche immer weiter abgehängt werden, mahnt die Grünen-Politikerin. Das Bürgergeld sorgt weder für Reichtum noch würden schärfere finanzielle Sanktionen den Staatshaushalt nennenswert sanieren.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) findet die Forderung des NRW-Städtetags „interessant“. Allerdings müsse eine verfassungsrechtliche Prüfung vorschalten müsse, ob eine Arbeitsverpflichtung so auch möglich wäre.

Vor- und Nachteile einer Arbeitspflicht für erwerbsfähige Leistungsempfänger

Kritik an dem Vorhaben kommt derweil unter anderem vom Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger. Eine Arbeitspflicht hätte gravierende Nachteile, sagte Fitzenberger dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie würde „einen hohen bürokratischen Aufwand auslösen“. Die Arbeitsmotivation wäre gering, denn diese Menschen würden in Jobs gebracht, die sie sich nicht selbst ausgesucht hätten und die nicht mit ihren Qualifikationen übereinstimmten. Zudem bestehe das Risiko, „dass eine Arbeitspflicht reguläre, oft produktivere Beschäftigung verdrängt“, gab der Leiter der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu bedenken.

Trotz seines kritischen Blicks auf die Forderungen nach einer Arbeitspflicht sieht der Experte durchaus auch Vorteile der erzwungenen Beschäftigung. Betroffene könnten Beschäftigungserfahrungen sammeln. Zudem würde es eine Arbeitspflicht attraktiver machen, „einen Job anzunehmen, der ein höheres Einkommen als beim Verbleib im Bürgergeld bringt, weil man sowieso arbeiten muss“. Schließlich reduziere sich für Menschen im Bürgergeld die Möglichkeit der Schwarzarbeit.