Gelsenkirchen-Hassel. Die Bürgerstiftung in Gelsenkirchen-Hassel schreibt rote Zahlen. Das ist der Grund. Und so will der Vorstand die Kehrwende schaffen.
Als das Stadtteilzentrum Hassel 2015 an den Start ging, atmete dessen Konzept Sozialromantik pur: Das „Bonni“ am Eppmannsweg sollte Menschen zusammenbringen, unabhängig von deren Kultur, Religion, Alter, politischer Überzeugung und Begabung. Noch immer sind Soziales, Bildung und Kultur die Kern-Anliegen der Einrichtung samt der integrativ arbeitenden Gastronomie „Dietrich‘s“. Nun ist jedoch die Trägerin – die 2011 gegründete Bürgerstiftung Hassel – in wirtschaftliche Schräglage geraten. Ihr droht die Insolvenz. Und dem „Bonni“ stehen Veränderungen ins Haus.
Wie der neue Stiftungs-Vorsitzende Joachim Gantenberg auf Nachfrage der Redaktion bestätigt, schreibt die Bürgerstiftung „jetzt rote Zahlen.“ Im Jahr 2024 habe sie ein fünfstelliges Defizit angehäuft, das nur aufgrund der „sehr guten Gewinne in 2023“ ausgeglichen werden könne.
Gelsenkirchener Stiftungs-Vorsitzender: Ohne Kehrtwende droht 2026 die Insolvenz
Falls keine Kehrtwende gelingen sollte, „besteht die Möglichkeit, zum ersten Quartal 2026 in die Insolvenz zu rutschen.“ Die Bürgerstiftung Hassel beschäftigt drei Hauptamtliche - zwei in der sozialen Arbeit, eine Verwaltungs-Assistenz -, sowie einige Honorar- und Projektkräfte.
Gantenberg begründet die finanziellen Probleme damit, dass Ende 2023 mehrere Großaufträge für den Gastronomie-Betrieb „Dietrich‘s“ aufgekündigt worden seien. Dort bereiten sieben gGmbH-Mitarbeitende mit und ohne Förderbedarf ganz frisch warme Mittags-Gerichte, die dann an Kindergärten, Schulen oder andere Abnehmer ausgeliefert werden.
Stiftungs-Chef: Mehrere Großaufträge sind bei Gelsenkirchener Gastro-Betrieb weggebrochen
So habe die integrativ arbeitende Küche etwa in der Hochphase täglich 750 Essen für Flüchtlinge gekocht, „und das sieben Tage die Woche bei einer Kapazität von eigentlich maximal 500 Portionen. Das war schon eine beachtliche Leistung, erst recht wenn man bedenkt, dass 40 Prozent der Beschäftigten Unterstützungsbedarf haben“, lobt er das Team.
„Bis Ende 2023 haben wir noch Flüchtlingsheime beliefert, aber deren Bewohnerinnen und Bewohner ziehen mehr und mehr in eigene Wohnungen, und auch einige Kindergärten und Schulen sind als Kunden weggefallen, weil immer mehr Städte dazu übergehen, nur einen Caterer für die gesamte Stadt zu beauftragen. Das aber können wir mit unseren Kapazitäten nicht leisten.“ Auch einen anderen Großauftrag habe man an einen Anbieter mit muslimischem Hintergrund verloren, weil der Kunde zu diesem offenbar mehr Vertrauen habe. „Dabei haben wir uns minutiös an alle Vorgaben gehalten.“
Integrativer Gastronomie-Betrieb „unterwegs im Haifisch-Becken“ der Mitbewerber
Ohnehin sei es angesichts der Preisentwicklung immer schwieriger, profitabel zu arbeiten. „Wenn Großanbieter auf dem Caterer-Markt ein Kita-Gericht für 2,60 Euro anbieten, müssen wir da mithalten. Das rechnet sich aber kaum, weil der Wareneinsatz allein schon fast 40 Prozent der Kosten ausmacht und sämtliche Lohn-, Miet- und Betriebskosten ja auch noch zu zahlen sind“, sieht der Vorstands-Vorsitzende die gGmbH „unterwegs im Haifischbecken“ der Mitbewerber.
Gantenberg - der einst seinen Zivildienst im „Bonni“ ableistete und seit zwei Jahren ehrenamtlich im Vorstand der Bürgerstiftung aktiv ist - äußert sich durchaus frustriert. „Wenn wir unser integratives Konzept vorstellen, sind alle immer voll des Lobes. Aber wenn es um Beauftragungen geht, werden die sozialen Aspekte und der entsprechende Aufwand ausgeblendet. Dann sieht man uns ausschließlich als Dienstleister“, sagt er und verweist auf das Beispiel Fahrrad-Werkstatt.
BP zog Großauftrag für die Wartung von 1100 Gelsenkirchener Werksrädern zurück
Ebenfalls als eigenständiger integrativer Betrieb in den Räumlichkeiten am Eppmannsweg angesiedelt, war dieser 2013 von BP damit beauftragt worden, sämtliche Werksräder zu warten, gegebenenfalls zu reparieren und bei Bedarf neu zu beschaffen. Vor rund zwei Jahren hat BP jedoch den Großauftrag zurückgezogen bzw. nicht mehr verlängert.
Wie BP-Sprecher Marc Schulte auf Nachfrage der Redaktion erläutert, habe die Fahrrad-Werkstatt des „Bonni“ nicht mehr sicherstellen können, „dass eine entsprechende Fachkraft (Werkstattmeister) die Wartung sicherstellt und verantwortet.“ Daher habe sich BP „zu unserem Bedauern“ entschieden, die rund 1100 Werks-Fahrräder „wieder intern zu warten.“
Stiftungs-Vorsitzender: Aufbruchstimmung macht Mut
Gantenberg bestätigt: Der Zweiradmechaniker-Meister sei zu einer anderen Firma gewechselt - um sich fortan in deren Auftrag um die Räder von BP zu kümmern. „Wir haben dann immer wieder versucht, einen ähnlich qualifizierten Nachfolger zu finden. Leider vergeblich. Der Personalmarkt ist wie leergefegt.“
Aufzugeben, kommt für Gantenberg freilich nicht infrage. „Das liegt nicht nur daran, dass ich mich persönlich dem Zweck der Bürgerstiftung und der Arbeit des ,Bonni‘ verbunden und verpflichtet fühle. Vielmehr ist bei allen Akteurinnen und Akteuren hier eine Aufbruchstimmung zu spüren, seitdem die Fakten auf dem Tisch liegen. Rund 30 frühere Ehrenamtliche haben sich bei einem Treffen vor wenigen Wochen bereit erklärt, sich wieder zu engagieren. Und wir alle sind überzeugt: Das ,Bonni‘ mit seinem besonderen Angebot wird gebraucht.“
Geschäftsführer der Bürgerstiftung scheidet Ende des Jahres aus
Zu den Fakten gehört etwa, dass der bisherige Geschäftsführer der Bürgerstiftung, Bernd Gartenmann, nach sieben Jahren zum Jahresende ausscheidet. „Er hat um einen Aufhebungsvertrag gebeten“, so Gantenberg. Nach anfänglicher Optimierung der Wirtschaftssituation sei klar geworden, dass mit dem bisherigen betriebswirtschaftlichen Konzept in Sachen Gastronomie und Raum-Vermietung „keine Kehrtwende mehr möglich“ sei.
Gartenmanns Nachfolge sei zwar noch nicht geregelt, dessen hauptamtliche Geschäftsführer-Stelle auch noch nicht ausgeschrieben. „Wir haben aber schon mehrere Gespräche geführt und sind guten Mutes, den Posten adäquat besetzen zu können.“ Bis es - „hoffentlich zum 1. April“ so weit ist, übernimmt Peter Smock, früher selbst als hauptamtlicher Mitarbeiter beim „Bonni“ im pädagogischen Bereich angestellt, ab 1. Januar ehrenamtlich die Funktion als Interims-Geschäftsführer.
Bürgerstiftungs-Vorstand will das inhaltliche Konzept überarbeiten - und profitabler werden
Im neuen Jahr wollen die Verantwortlichen dann die Kehrtwende mit neuer Kraft angehen - und das bisherige inhaltliche Konzept so überarbeiten, dass (mehr) Rentabilität gewährleistet ist. So soll zunächst die Fahrrad-Werkstatt als selbstständige Gesellschaft liquidiert werden. „Ziel ist es, sie künftig als eine Art Reparatur-Café laufen zu lassen, die Anleitung zur Selbsthilfe gibt, gern auch mit Personen, die schon länger arbeitslos sind“, skizziert Gantenberg.
Hauptanliegen jedoch sei es, den Gastro-Bereich wirtschaftlich auf neue, profitable Füße zu stellen. So soll etwa die einstige Überlegung, regelmäßig einen Mittagstisch für Interessierte (nicht nur) aus dem Quartier anzubieten, wieder aufgegriffen werden. Schon kurz nach dem Jahreswechsel soll das Café wieder geöffnet werden. „Darüber hinaus wollen wir einen Tagungsbetrieb mit Mittagstisch einrichten, um weitere regelmäßigere Einnahmen zu generieren.“
Idee: Kooperation mit Emschertainment könnte Kultur-Events nach Hassel holen
Ebenfalls in der Diskussion ist eine Kooperation mit Emschertainment - der Veranstalter verantwortet u.a. die Kultur-Events in der Ückendorfer Heilig-Kreuz-Kirche und in der Kaue. „Im Stadtnorden gibt es kaum größere Veranstaltungsräume. Wir verfügen da gleich in mehrfacher Hinsicht über Potenzial: Unser Theatersaal fasst 80 bis 100 Personen, der große Mittelsaal 150 bis 180 Personen, die Kulturkirche gar bis zu 280 Personen. Alle bieten sich für Kultur-Events unterschiedlichster Künstlerinnen und Künstler an, für die wir dann auch ein Catering liefern könnten“, setzt Gantenberg auf Auftritte bekannterer Größen. Aber auch für private Feiern soll weiterhin Platz sein.
Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder abonnieren Sie uns kostenlos auf Whatsapp und besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.
Die bewährte offene Jugend- und Kulturarbeit, die im Wesentlichen durch öffentliche Fördermittel finanziert wird und Teil der Stiftung ist, soll fortgesetzt werden. Mit den vielfältigen Angeboten hatte sich einst schon die Evangelische Lukas-Kirchengemeinde, zu der das „Bonni“ als Gemeindehaus gehörte, über die Stadtteilgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Ihr einstiger Pfarrer Dr. Rolf Heinrich war es auch gewesen, der als Motor das Projekt Stadtteilzentrum und Bürgerstiftung maßgeblich mit vorangetrieben hatte.
Das Gemeindehaus war mit einer öffentlichen Förderung von vier Millionen Euro zu Stadtteilmittelpunkt und Begegnungsstätte umgebaut und erweitert worden. Als Träger der Kinder- und Jugendarbeit wird es aktuell jährlich von der Stadt mit 63.000 Euro für Betriebskosten und vom Land mit 63.5000 Euro bezuschusst.