Gelsenkirchen. Ein Busfahrer verliert in Gelsenkirchen die Besinnung. Dann greift Erick (22) ein und geht mit einer Hand ans Steuer. So kam der Bus zum Stehen.
Und plötzlich hört Erick Bloßfeld-Salgar einen schmerzvollen Aufschrei aus dem vorderen Teil des Busses. Besorgt eilt er nach vorne und sieht, dass der Busfahrer die Besinnung verloren hat. Weil der Nachtexpress aber nicht zum Stillstand gekommen ist, sondern langsam weiterfährt, erkennt der 22-Jährige sofort, dass er handeln muss! Und so steuert er den herrenlosen Bus einhändig weiter. Und bewahrt ihn vor einem möglichen Horror-Unfall. So wurde der junge Mann aus Horst von einer Sekunde auf die andere selbst zu einer Art Schutzengel.
Die unvergessliche Busfahrt begann an einer Haltestelle in Horst
Wir treffen Bloßfeld-Salgar in Horst. Dort lebt der gebürtige Venezolaner seit 2021. Und dort beginnt am vergangenen Samstag in aller Herrgottsfrühe auch diese unvergessliche Rettungstat. Es ist 4.15 Uhr, als der Bus der Nachtexpress-Linie 14 an der Haltestelle Kranefeldstraße im Schatten des Nordsternturms mit leichter Verspätung vorfährt. „Den Busfahrer kenne ich vom Sehen. Er ist oft in diesem Bus im Einsatz“, weiß Bloßfeld-Salgar.
Er selbst muss morgens immer so früh los, weil er als Auszubildender im zweiten Lehrjahr bei Rewe arbeitet. Dort lernt er seit 2023 das Metzger-Handwerk. Dienstbeginn: 5.30 Uhr in Dortmund-Mengede. Und weil er kein Auto hat, muss er mit dem Nachtexpress von Horst zum Gelsenkirchener Hauptbahnhof und von dort per Zug weiter ins östliche Ruhrgebiet. „Ich war am Samstag der einzige Fahrgast im Bus. Beim Einsteigen habe ich den Fahrer noch kurz gegrüßt“, erinnert sich Bloßfeld-Salgar.
Busfahrer kauerte besinnungslos auf seinem Sitz
Die Tour in Richtung Hauptbahnhof verläuft zunächst wie immer ganz problemlos. „Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, als ich plötzlich das laute Stöhnen des Busfahrers hörte“, beschreibt der Fahrgast die Situation, die sich auf der Feldmarkstraße ungefähr in Höhe des Eiscafés Nico ereignete. Sofort schießt es ihm durch den Kopf: „Hoffentlich hat der keinen Herzinfarkt!“ Er eilt nach vorne. Und sieht den Fahrer besinnungslos in seinem Sitz.
„Er hatte das Fahrzeug erst noch abgebremst. Doch als er die Besinnung verloren hatte, ist sein Fuß wohl von der Bremse gerutscht. Und so fuhr der Bus plötzlich wieder los - ungefähr mit zehn km/h“, erzählt der Horster. Doch statt in Panik zu erstarren, handelt Bloßfeld-Salgar. Er muss aber schnell feststellen, dass sich die Tür samt großer Glasscheibe, die den Busfahrer vom Einstiegsbereich der vordersten Tür trennt, nicht öffnen lässt. Trotz größter Kraftanstrengung. So kommt er also nicht an die Bremse. Und kann auch den Motor des Busses nicht abschalten.
Den Oberkörper verrenkt und den Bus einhändig gesteuert
Also verbiegt er seinen Oberkörper und greift mit dem linken Arm durch einen schmalen Spalt ganz vorne in Höhe der Frontscheibe. Von dort gelingt es ihm schließlich, mit der linken Hand das Lenkrad zu greifen. Und den Bus irgendwie zu steuern. „Wir waren zu diesem Zeitpunkt auf der Feldmarkstraße schon im Gegenverkehr gelandet. Zum Glück war so früh morgens überhaupt kein Verkehr, so dass uns während der gesamten Fahrt niemand entgegengekommen ist“, schildert er. Und schließlich habe er es geschafft, den Bus zurück auf die richtige Fahrspur zu lenken.
Während er den Bus mit der linken Hand steuerte, griff er mit der rechten zu seinem Handy und wählte den Polizei-Notruf 110. Die Beamten in der Leitstelle hätten sehr gut reagiert und ihm klare Anweisungen gegeben. Das Wichtigste sei aber die möglichst genaue Benennung seines aktuellen Standortes gewesen.
Mit einem Aufprall auf ein abgestelltes Polizeiauto endet die Irrfahrt
„Es hat gefühlt keine drei Minuten gedauert, bis drei Streifenwagen da waren. Einer hat sich vor uns gesetzt und ist dann stehen geblieben. Wir sind dann auf ihn aufgefahren. Und so ist der Bus schließlich zum Stillstand gekommen“, erzählt Erick. Die Polizisten hätten ihm durch die Scheibe erklärt, wie er die Bustür per Notentriegelung öffnen kann. Das klappte. Und die Beamten hätten dann die Scheibe der Kabinentür zerschlagen, um an den Fahrer heranzukommen und ihn aus dem Bus zu tragen. Draußen hätten sie sofort mit Erster Hilfe und Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen.
„Kurz darauf war dann zum Glück auch der Notarzt da“, so Bloßfeld-Salgar. Per Rettungswagen wurde der bewusstlose 69-Jährige in ein Krankenhaus gebracht, wo er auch am Montag noch lag. Wie es ihm aktuell geht, weiß der Retter nicht. „Ich hoffe, dass er es schafft und wieder gesund wird“, lautet Ericks wichtigster Wunsch.
Auf der Arbeit schlotterten ihm dann später die Knie
Wie tief der Schrecken bei ihm selbst sitzt, bemerkt er erst später. „In dem Moment, wenn es passiert, funktioniert man einfach und denkt gar nicht groß darüber nach, was alles passieren könnte.“ Doch als er mit einer Stunde Verspätung am Arbeitsplatz eintrifft und er seinem Chef von dem Vorfall erzählt, schlottern ihm dann doch die Knie. „Ich habe aber trotzdem am Samstag normal gearbeitet. Das war für mich die beste Ablenkung.“ Zwei Tage später ist ihm aber bewusst, dass er keinen Schutzengel hatte. Sondern selbst zu einem wurde...
Erick Bloßfeld-Salgar ist in San Cristóbal geboren - eine Stadt, die in den Anden liegt. Sein Großvater hat deutsche Wurzeln und war einst nach Venezuela ausgewandert. Weil sie dort keine Zukunftsperspektive mehr für sich sahen, entschieden sich Erick und sein Vater Waldemar dann im Jahr 2021, nach Deutschland auszuwandern. Aufgrund der Herkunft ihres Großvaters verfügten sie auch über die deutsche Staatsangehörigkeit und entsprechende Papiere. „Ich fühle mich in Horst zu Hause“, sagt Erick. Heimweh nach Venezuela hat er nur manchmal, weil seine Mutter Linda dort immer noch lebt.
Reaktion der Bogestra
Auch die Bogestra zeigte sich erleichtert. „Wir sind alle glücklich, wie die Sache ausgegangen ist“, sagte Sprecher Christoph Kollmann. Nun sei man in Gedanken aber bei dem Busfahrer, der für ein von der Bogestra beauftragtes Subunternehmen mit Sitz in Herne tätig ist. Man hoffe auf eine vollständige Gesundung des Fahrers, sagte Kollmann.