Gelsenkirchen. 270 Anmeldungen für neun Plätze: Der Bedarf nach Betreuung in den Kinderstuben Gelsenkirchens ist riesig. Diese Herausforderungen gibt es.

„Da, wo Armut ist, gibt es auch ganz viele soziale Konflikte“, weiß Nicole Saafi und das spürt sie wohl noch einmal mehr, wenn sie ihren Arbeitsplatz in Bulmke-Hüllen betritt. Saafi leitet gemeinsam mit zwei weiteren Kolleginnen die Kinderstube an der Wanner Straße 16 – hier widmen sie sich einer besonders intensiven Betreuung von Kleinkindern, deren Eltern und oftmals auch sie selbst eine Zuwanderungsgeschichte haben. Noch zwei weitere Betreuungsmodelle dieser Art gibt es in der Stadt – dabei könnten die Idee der Kinderstuben, die seit 2017 in Gelsenkirchen mit Leben gefüllt wird, doch als Blaupause dienen.

Kinderstuben in Gelsenkirchen: Enorme Herausforderungen und ein hoher Bedarf

Was sind die besonderen Herausforderungen, womit werden sie täglich konfrontiert? Am Rande einer großen, gemeinsamen Nikolausfeier mit mehr als 50 Familien geben Nicole Saafi und ihre Kollegin Angelina Bakaran von der Kinderstube Schonnebecker Straße 23 in Rotthausen Einblick in ihre anspruchs- und vor allem aber auch verantwortungsvolle Arbeit. Diese gemeinsame Feier, die in den Räumen des Vereins „RE/init“ an der Feldhofstraße stattfindet, sie ist auch so etwas wie ein Abbild davon. Denn es geht bei den Kinderstuben um Zugewandtheit, um Geborgenheit und darum, dass Menschen, Kinder, Mütter, Väter, auch in besonderen Lebenslagen begleitet werden. „Wir wollten allen damit eine Freude machen“, erklärt Angelina Bakaran demnach auch. Das gelingt an diesem Morgen.

Bei der gemeinsamen Nikolausfeier der Gelsenkirchener Kinderstuben waren rund 50 Familien eingeladen.
Bei der gemeinsamen Nikolausfeier der Gelsenkirchener Kinderstuben waren rund 50 Familien eingeladen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Generell ist die Nachfrage nach freien Plätzen in einer der drei Einrichtungen enorm: Allein an der Wanner Straße habe es für das Kita-Jahr 2024/25 rund 270 Anmeldungen gegeben, berichtet Nicole Saafi – für neun Plätze. Auch an der Schonnebecker Straße sei die Warteliste lang, so Angelina Bakaran. Zum Vergleich: Noch im vergangenen Jahr konnten sie für die Wanner Straße genau 187 Anmeldungen zählen. Einen Platz bekommt, wer den größten Bedarf hat, beispielsweise die alleinerziehende Mutter oder Familien, die in einer sozialen Notlage stecken.

Der Betreuungsschlüssel ist optimal: Eine der drei Tagesmütter ist jeweils drei Kindern Bezugsperson, Anlaufstelle, Kuschel-Ort. „Wir schaffen es, individuell zu fördern und gleichzeitig zu fordern“, sagte Nicole Saafi einst, als wir die Arbeit vor Ort kennenlernen durften. Das Konzept wurde gemeinsam von Gekita, der Bildungsinitiative Ruhrfutur und einigen Hochschulen entwickelt.

Kitaplatz-Garantie nach dem Besuch der Gelsenkirchener Kinderstuben

Die ersten Kinderstuben indes standen in Dortmund. Dort sah man die Bedarfe, sah, dass es in den Grundschulen eine gewisse Problematik gab – die Kinder seien zwar in der Lage gewesen, kognitiv zu folgen, doch die sprachlichen Barrieren waren zu hoch, berichtet Tagesmutter Nicole Saafi, die selbst Mutter von acht Kindern ist. Diese Kinder waren dermaßen benachteiligt, dass sie dringend Förderung brauchten.

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Diese Kinder, die so benachteiligt sind, die möchten sie „rausholen“, ihnen einen Ort bieten, wo sie Heimat, Wohlbefinden und eine liebevolle Atmosphäre vorfinden, berichten Saafi und Bakaran. Jeweils über ein Jahr werden die Kinder in den Kinderstuben betreut, danach wechseln sie, oftmals begleitet von den Kinderstuben-Mitarbeiterinnen, in eine für sie geeignete Kindertageseinrichtung.

Der Platz ist ihnen sicher, mit dem Besuch der Kinderstuben ist eine Kitaplatz-Garantie verbunden. Auch aus diesem Grund: Die Kontinuität, die den Kleinsten schon früh vermittelt wird, kann somit fortgeführt werden. Bis zum Eintritt in die Grundschule können die Kinder so von einer besonders intensiven frühkindlichen Bildung profitieren.

„Wir alle leben und lieben dieses Konzept“: Das Team der Gelsenkirchener Kinderstuben bei der Nikolausfeier mit über 50 Familien.
„Wir alle leben und lieben dieses Konzept“: Das Team der Gelsenkirchener Kinderstuben bei der Nikolausfeier mit über 50 Familien. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Was sind das für Probleme, die die Eltern belasten? Häufig seien sie von Existenzängsten bedroht, schildern Bakaran und Saafi, es kommen aber beispielsweise auch die alleinstehenden Frauen, die Gewalterfahrungen haben, mit ihren Kindern – so manches Mal direkt aus Mutter-Kind-, oder Frauenhäusern, wie die beiden Expertinnen berichten.

Dann gibt es auch die Eltern, die das bürokratische System als zu herausfordernd, als zu schwierig empfinden – weil oftmals auch schlicht die Kenntnisse fehlen, nicht nur der Sprache, sondern auch der Angebote, die in den Heimatländern in dieser Form so gar nicht existieren. Nicht zu vergessen die zahlreichen Menschen, die Kriegserfahrungen haben, die etwa aus der Ukraine oder Syrien gekommen sind.

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Ziel sei es dabei auch immer, die Familien zu stärken. In Bezug auf die Elternarbeit heben sie sich ab, darauf legen sie Wert, das ist ein Eckpfeiler des Kinderstuben-Konzepts. Gesehen werde das gesamte Konstrukt Familie. „Wir kümmern uns auch um die Eltern, wir begleiten die Familiengeschichte“, so Nicole Saafi. Etwas ist ihnen noch wichtig: „Wir sind der Rechtsanwalt für diese Kinder“, erklärt Angelina Bakaran.

Und Alltagshelferinnen: So hat Nicole Saafi, wie sie berichtet, auch schon mal ein neues Paar Schuhe für eins ihrer Kinder gekauft, weil es im Winter mit Sandalen ausgestattet war. Oder, in einem anderen Fall, hätten sowohl Angelina Bakaran als auch Nicole Saafi ganz unkonventionell Kontakte zu Ärzten, Behörden vermittelt oder schlicht einfach mal nur übersetzt.

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Was wünschen sich die beiden Frauen? „Es sollte endlich ein Umdenken stattfinden, es wird einfach zu wenig investiert“, sagt Nicole Saafi. Besonders in der Frühförderung sehen die beiden großen Bedarf – schließlich könne diese eine der wichtigsten Stellschrauben für eine gelingende Integration sein.

Dennoch, sie glauben an den Erfolg ihrer Kinderstuben, nicht zuletzt, weil sie auch noch zu vielen Familien und auch Kindern Kontakt haben, die mittlerweile schon längst ihrer Einrichtung entwachsen und beispielsweise in der Grundschule sind. Angelina Bakaran bringt es auf den Punkt: „Wir alle leben und lieben dieses Konzept.“