Gelsenkirchen-Altstadt. Mehr als Bücher und Lesungen: Christina Njehu übernimmt ab 2025 die Buchhandlung Kottmann in Gelsenkirchen. Mit diesem Konzept startet sie.

Viele Arbeitslose und Migranten, geringe Kaufkraft: Wer über den Kanal Richtung Stadtsüden fährt, der hat oft ein Klischee im Gepäck - das vom bildungsfernen Teil Gelsenkirchens. Und so mag sich mancher fragen: Was, bitteschön, reizt eine 35-Jährige, ausgerechnet dort eine Buchhandlung zu übernehmen? Und dann auch noch in Zeiten der Digitalisierung, in denen Informationshäppchen gerne online in 30-Sekunden-Videos konsumiert werden? Christina Njehu lacht schallend. Und strahlt: Schon kurz vor dem offiziellen Start ihres Literatourcafés Kottmann am Heinrich-König-Platz im Januar 2025 ist ihr Konzept aufgegangen.

Seit Anfang des Jahres bastelt Njehu daran, ihren Traum von der eigenen Buchhandlung zu verwirklichen. Jetzt endlich, nachdem die Stadt ihr im Mai die Unterstützung aus dem NRW-Programm „Zukunftsfähige Innenstädte“ zugesagt hatte, steht die Übernahme der Buchhandlung von Dirk Niewöhner an. „Ab Januar erhalte ich für zwei Jahre einen Mietzuschuss in Höhe von 60 Prozent“, freut sie sich über die für sie existenzielle Förderung ihres Starts in die Selbstständigkeit.

Gelsenkirchener Stammkundschaft der Buchhandlung Junius zieht es nun zu Kottmann

Ein Sprung ins kalte Wasser, nein, das ist das Unterfangen für sie nicht: Zum einen arbeitet sie ja schon lange am Standort als Filialleiterin, zum anderen liegt der entsprechende Businessplan dazu seit Jahren in ihrer Schublade. In Kenia, Essen und Herten aufgewachsen, hat sie ihr Düsseldorfer BWL-Studium genau auf dieses Ziel hin ausgerichtet. Nicht zuletzt: Die Rahmenbedingungen seien gut, nachdem Sabine Piechaczek ihre Buchhandlung Junius an der Sparkassenstraße Mitte des Jahres aus Altersgründen geschlossen und nun mit ihrer Ex-Junius-Mitarbeiterin Bettina Edeler in Teilzeit bei ihr angeheuert hat.

Die große Mehrheit der bisherigen Junius-Stammkunden, sie sei den Beiden gefolgt und mit zum Heinrich-König-Platz „umgezogen“, berichtet Christina Njehu. Was sie schon Anfang des Jahres versprochen hatte („alle Kundinnen und Kunden sollen abgeholt werden“), das setzt sie seither Schritt für Schritt um: Die beliebte Junius-Veranstaltungsreihe „Lesenswert“ etwa mit Büchertipps findet nun unter dem Titel „ReinGElesen“ am HKP statt, mit Erfolg, wie sie sagt. „Das Publikum Anfang November bestand je zur Hälfte aus Kundschaft von Junius und Kottmann, es war richtig voll!“

Gelsenkirchener Buchhandlung will sich mit Außengastronomie buchstäblich zur Stadt hin öffnen

Die Buchhandlung Kottmann am Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen steht vor einem Besitzerwechsel: Christina Njehu wird sie übernehmen
Ruhrgebiets-Devotionalien, jede Menge Glückwunschkarten und weitere Non-Book-Artikel runden das Literatur-Angebot bei Kottmann am Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen ab. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch sonst hätten die Bücher-Fans ihre Konzept-Neuerungen mehr als gut angenommen, sagt sie: Sie hat eine kleine Sitzecke mit Tischchen, Stühlen und Barhockern eingerichtet, dazu einen Kaffeeautomaten angeschafft, der Interessierte (kostenpflichtig) mit heißen Getränken versorgt („an manchen Tagen läuft der richtig heiß“). Anfang des Jahres soll das dahinterliegende Schaufenster gegen ein Schiebefenster ausgetauscht werden, um das Geschäft buchstäblich zum Heinrich-König-Platz zu öffnen und Außengastronomie zu ermöglichen. „Mit einer Lizenz möchte ich dann auch alkoholische Getränke ausschenken.“

Njehu will so mehr bieten als geistige Nahrung und mit gemütlichen Sitzgelegenheiten ins öffentliche Bewusstsein rücken. Dabei ist der neue Name „Literatourcafé Buchhandlung Kottmann am Heinrich-König-Platz“ auch inhaltlich Programm: Hat sie sich doch vorgenommen, ihr Reiseliteratur-Sortiment deutlich auszuweiten und ihre Kundschaft in neue Welten zu entführen. Dazu gehört auch, fremdsprachige Bücher anzubieten, etwa in Türkisch, Ukrainisch, Russisch, Englisch und Französisch. Sogar mehrsprachige Kinderbücher finden sich bei ihr. „Der Bedarf danach ist groß“, hat sie festgestellt.

Weiteres Standbein für Gelsenkirchener Buchhändlerin: Konzerte und Lesungen

Die Buchhandlung Kottmann am Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen steht vor einem Besitzerwechsel: Christina Njehu wird sie übernehmen
Der Name „Literatourcafé“ kommt nicht von ungefähr: Buchhändlerin Christina Njehu ist dabei, ihr Sortiment an Reiseliteratur zu erweitern. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Dass sie ihr „All Ager“-Angebot in den vergangenen Monaten ausgebaut hat, habe sich schon jetzt bezahlt gemacht: Diese oft romantischen Bücher, die sich sowohl an Kinder und Jugendliche als auch an Erwachsene richten, würden besonders von Mädchen und jungen Frauen stark nachgefragt. Ebenfalls neu ab Januar: eine Station mit E-Book-Readern.

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Ein zweites Standbein sollen nicht zuletzt Veranstaltungen sein: Unter dem Titel „ReinGEhört“ sind jetzt schon Konzerte mit der Jazz- und Soul-Formation Nina Hahn & FOC, des Singer-Song-Writers Giulio Felis sowie der buerschen Band 2nd Skin geplant. Wie die Buchhandlung Junius möchte sie eben nicht nur Literatur-, sondern für die Stadtgesellschaft auch Kultur-Vermittlerin sein, die ebenso jüngere Zielgruppen im Blick hat.

Gelsenkirchener Existenzgründung verkauft Glühwein „Heißer Kohlenpott“, Augenzwinkern inklusive

„Es gibt genügend Leute auch im Stadtsüden, die sich für Kultur im weitesten Sinne interessieren und bereit sind, dafür Geld auszugeben. Wir müssen sie nur erst einmal in die Stadt bekommen“, ist Njehu überzeugt. Ihr Standort sei da tatsächlich nicht der schlechteste: Gegenüber der St.-Augustinus-Kirche und nahe der gut frequentierten Sparkasse gelegen, hofft sie, künftig auch von der neuen Gastronomie Barcelona nebenan profitieren zu können. „Da passen wir mit unserem Bücher-, Geschenkartikel- und großen Kartenangebot sowie dem Ausschank von Getränken und kleinen Häppchen perfekt hinein.“

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Auf den Verkauf von Lesefutter in ihrer Buchhandlung und bei Lesungen allein will sie sich nicht verlassen. Sie unternimmt Ausflüge nicht nur in die Gastronomie, sondern auch in den Handel mit (alkoholischen) Getränken: Im neuen Jahr plant sie Weinproben und Whiskey-Tastings, bietet aber schon im Advent den Glühwein „Heißer Kohlenpott“ an, den sie vom Winzerverein Deidesheim bezieht - (Selbst-)Ironie inklusive: Der helle (weiße) Glühwein trägt die Bezeichnung „466“ als Anspielung auf die alte Postleitzahl von Buer, während der dunkle (rote) Glühwein unter dem Label „465“ - der alten Postleitzahl Gelsenkirchens - läuft.

Dennoch: Dass ihr Herz für den oft verunglimpften Stadtsüden schlägt, macht ein Blick auf ihre Lesezeichen deutlich: Dort bewirbt sie ihr Literatourcafé mit einem neckischen Augenzwinkern: „Komm auf die gute Seite der Stadt“. Wenn das klappt - da ist sie zuversichtlich - werde ihr Gesamtpaket funktionieren. „Schon in den vergangenen Monaten sind vielversprechende Umsatzsteigerungen zu verzeichnen“, freut sie sich.