Gelsenkirchen. Marco Buschmann hatte als Bundesjustizminister noch Großes vor. Im Interview spricht er über den Koalitionsbruch, Christian Lindner, Brandmauern.
Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat mit einem selbst komponierten Song Abschied von der gescheiterten Ampel-Koalition genommen. Das Stück mit dem Titel „Gehen, um zu stehen“ ist versehen mit dem Hashtag „Farewell“ (Deutsch: Abschied) und der Notiz: „Manchmal muss man etwas aufgeben, das man liebt, um zu bleiben, wer man ist. Man muss gehen, um zu stehen.“ Worte voller Pathos, was ungewöhnlich ist für den eher sachlichen Gelsenkirchener, aber zeigt, wie viel ihm das Amt bedeutet hat. Nach dem Ampel-Aus spricht Buschmann nun im WAZ-Interview über den Umgang innerhalb der Koalition, seinen Parteifreund Christian Lindner, Brandmauern zu BSW und AfD und die Zukunft.
Herr Buschmann, sind Sie Bundeskanzler Olaf Scholz dankbar?
Wir haben fast drei Jahre in einer Koalition zusammengearbeitet. Auf persönlicher Ebene bin ich mit dem Bundeskanzler vernünftig ausgekommen, politisch gab es teilweise große Differenzen. Dafür, dass wir sie meist sachlich geklärt haben, bin ich dankbar. Sein Umgang mit Christian Lindner bleibt eine große Enttäuschung. Persönliche Befindlichkeiten tun jetzt aber nichts zur Sache. Der Blick nach vorne zählt. Denn es geht ja nicht um mich – auch nicht um Olaf Scholz oder Christian Lindner. Es geht um unser Land.
Nun, er hat, so haben Sie es ausgedrückt, „den Bruch der Koalition vollzogen mit seinem Ultimatum“ (Anm. d. Red.: Gemeint ist die Aussetzung der Schuldenbremse). Viele würden sagen: endlich! Traurig um das Ampel-Aus sind wohl nur die wenigsten in diesem Land. Sind Sie es?
Die Koalition hatte den Rückhalt in der Bevölkerung längst verloren. Der Dauer-Streit war eine große Belastung. Bis zum Schluss gelang es der Koalition nicht, eine überzeugende Antwort auf die Frage zu finden, wie wir Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land für die Zukunft sichern. Insofern ist es gut, dass das nun vorbei ist. Die Menschen können bald eine Richtungsentscheidung treffen. Unser Land hat so viel Kraft, so viel Knowhow und so viele kluge Köpfe. Wenn wir diese Power freisetzen, dann muss sich niemand mehr Sorgen um einen guten Job machen. Das macht mich nicht traurig. Das motiviert mich richtig.
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Der FDP und allen voran ihrem Vorsitzenden wird vielfach vorgeworfen, verlogen agiert zu haben – von einer D-Day-Inszenierung ist gar die Rede. Hat die FDP schon seit Wochen auf ein Ampel-Aus hingearbeitet?
Da ist viel Theaterdonner in der Luft. Die SPD hat völlig enthemmt auf die FDP eingeprügelt. Mittlerweile kennen wir auch den Grund dafür: In der SPD tobte bis vor kurzem ein brutaler Machtkampf um die Kanzlerkandidatur. Mit dem Einprügeln nach außen wollte man die Reihen nach innen schließen. Fakt ist: Die FDP hat seit November letzten Jahres immer wieder die Lage in der Koalition in ihren Führungsgremien bewertet. Dafür gab es auch jede Menge Anlässe: eine Mitgliederbefragung um den Verbleib in der Koalition und Medienberichte darüber, dass sich SPD und Grüne hinter unserem Rücken getroffen haben, um über das Schicksal der Koalition zu beraten. Olaf Scholz selbst hat zugegeben, dass er schon im Sommer darüber nachdachte, die Koalition zu beenden. Daher haben natürlich auch wir Szenarien abgewogen. Das ist professionell und die Aufgabe von Führungsgremien. Aus dem Ergebnis unserer Beratungen haben wir auch nie ein Staatsgeheimnis gemacht. Am Sonntag vor dem Koalitionsausschuss und im Koalitionsausschuss selbst lautete unser Vorschlag: Entweder finden wir gemeinsam einen überzeugenden Weg, um in Deutschland wieder Wachstum zu schaffen, oder wir beenden gemeinsam, geordnet und in Würde die Koalition und setzen rasch Neuwahlen an, so wie es das im Jahr 2005 schon einmal gegeben hat. Stattdessen setzte uns der Bundeskanzler die Pistole auf die Brust: Schuldenbremse aussetzen oder sofortiges Ende der Koalition.
Im Vergleich zu Christian Lindner, mit dem Sie auch privat eng befreundet sind, sind Sie stets sachlich, höflich, kontrolliert. Um ihren (Partei-)Freund zu beschreiben, würden viele wohl weniger charmante Attribute wählen. Wäre die Spitzenkandidatur der FDP für die Bundestagswahl nicht vielmehr etwas für Sie? Haben Sie mit Ihrem Kumpel mal über einen neuen Stil „zum Wohle des Landes“, wie auch FDP-Politiker ja gerne sagen, beraten?
Das sehe ich anders. Ich kenne Christian Lindner seit gut 30 Jahren. Er ist hochintelligent, hochgebildet und im persönlichen Umgang hochanständig. Das ist auch der Grund dafür, dass er mittlerweile seit über zehn Jahren an der Spitze der FDP steht. Diese Aufgabe ist vermutlich eine der aufreibendsten und anstrengendsten Sachen, die man sich im politischen Berlin vorstellen kann. Man muss jede Menge einstecken, hat kaum Privatleben und wird für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht. Die FDP muss dankbar sein, einen Vorsitzenden wie ihn zu haben, der dieser schwierigen Aufgabe gewachsen ist.
Trotz des Getöses und des Streits, natürlich war auch diese Regierung nicht untätig. Gerade zu Beginn der Periode haben Sie das Land durch eine schwierige Energiekrise geführt. Worauf sind Sie außerdem stolz?
Der Dauer-Streit hat manche Erfolge überschattet. Das stimmt. Die soll man auch nicht vergessen, nur weil es im Streit auseinander ging. Ich war jedenfalls froh, dass wir in meinem Bereich viel erreicht haben: ein großes Bürokratieabbau-Programm, deutliche Fortschritte bei der Digitalisierung von Recht und Justiz und wichtige Schritte der gesellschaftspolitischen Modernisierung, Stichwort Abschaffung von § 219a StGB, also das Informationsverbot für Ärzte zu Schwangerschaftsabbrüchen. Hinzu kommt der Schutz der Privatsphäre etwa vor heimlichen Wohnungsdurchsuchungen oder vor Schnüffelei in privater Kommunikation, Stichwort: Chat-Kontrolle. Für Gelsenkirchen besonders wichtig war mir das Schrottimmobilien-Missbrauchsbekämpfungsgesetz, das wir noch durchgebracht haben. Damit geben wir Kommunen wie Gelsenkirchen ein wirksames Mittel an die Hand, um der Schrottimmobilienmafia einen Riegel vorzuschieben. Das reduziert einen wichtigen Pull-Faktor für die Armutsmigration aus Südosteuropa. Unsere Stadt wird davon profitieren.
Wenn Sie nochmal am Kabinettstisch sitzen dürften, wofür würden Sie sich einsetzen wollen? Was hätten Sie gerne versucht umzusetzen?
Würde ich noch einmal Justizminister, ist klar, was ich angehen würde: Bürokratieabbau und Digitalisierung der Justiz sind Daueraufgabe. Da sind wir noch lange nicht am Ziel. Ich hatte eine große Familienrechtsreform vor. Die Entwürfe waren seit Monaten fertig und steckten leider im Hickhack der Koalition fest. Damit wollte ich viele verstaubte Regeln auf die Höhe der Zeit bringen. In unserem Strafrecht gibt es jede Menge Altlasten, die ich mit einer Reform entsorgen wollte. Unabhängig davon ist es zentral, dass wir in unserem Land die Wirtschaft wieder in Schwung bringen und irreguläre Migration stoppen.
Bundesminister würden Sie absehbar am ehesten in einer schwarz-gelben Koalition werden können. Vorausgesetzt natürlich, Sie schaffen es mit der FDP überhaupt in den Bundestag und hätten zusammen mit der Union eine Mehrheit. Mit BSW und AfD wird es in den meisten Fällen aber wohl nur noch für eine Mehrheit reichen, wenn sich wieder ein Dreierbündnis findet. Bedeutet: Wieder sehr viel Reibungsverlust und langwierige Kompromissfindungen. Zermürben sich die Parteien in der Mitte wegen der Brandmauern so nicht auf Dauer bis es einige von ihnen irgendwann nicht mehr gibt?
Bei der Wahl sollte sich jede seriöse Partei mit ihren besten Ideen bei den Wählerinnen und Wählern bewerben. Welche Parteien dann nach der nächsten Wahl die Chance haben werden, gemeinsam eine Mehrheit zu bilden, kann man jetzt noch nicht sagen. Fest steht vermutlich nur, dass Olaf Scholz nicht mehr Kanzler sein und Friedrich Merz diese Aufgabe übernehmen wird. Erst im Laufe des Wahlkampfes wird sich herausstellen, wohin die Reise wohl gehen wird: Große Koalition, Schwarz-Grün oder eine Koalition aus CDU/CSU und FDP. Die Brandmauer zur AfD hat sich die Partei selbst zuzuschreiben: Durch ihre völkischen Ideen und ihre völlige Enthemmung ist sie in keiner Weise kooperationsfähig.
Am Samstag, 23. November, wurde Marco Buschmann von der Gelsenkirchener FDP erneut zum Bundestagskandidaten seiner Partei für die vorgezogene Wahl Ende Februar nominiert. Er erhielt 95 Prozent der Stimmen.