Gelsenkirchen-Horst. Gelsenkirchen-Horst gilt als durchaus schwieriges Pflaster. Warum sich Jessica Joeck als neue Gesamtschul-Leiterin dort so besonders wohl fühlt.
Überdurchschnittlich viel Zuwanderung und Arbeitslosigkeit, abnehmendes Sicherheitsgefühl, schlechtere Entwicklungschancen für Kinder: Tief im Westen Gelsenkirchens gibt‘s nicht wenige Probleme. Schulen bekommen diese nahezu ungefiltert zu spüren - mit dicken „Päckchen“ auf dem Rücken lässt sich nun mal schlechter lernen. Was, bitteschön, reizt da am Leitungs-Job an der Gesamtschule Horst? Jessica Joeck zuckt mit den Schultern und lacht: „Auf solch einem schwierigen Pflaster kenne ich mich nicht nur gut aus, sondern fühle mich auch wohl.“ Mag die 46-Jährige auch aus der gutbürgerlichen Kleinstadt-Idylle Dorstens kommen: In Horst erlebe sie so etwas wie ein Heimspiel.
Rund zwei Monate ist es nun her, dass die 46-Jährige die kommissarische Leitung der Gesamtschule Horst übernommen hat. Zum 1. November aber ist sie auch ganz offiziell die Nachfolgerin von Markus Hogrebe, der schon im Februar als schulfachliche Aufsicht über Gesamtschulen zur Bezirksregierung Münster gewechselt war, wo er nun als Regierungsschuldirektor tätig ist.
Neue Gelsenkirchener Gesamtschulleiterin will auch Kinder aus bildungsfernen Familien fördern
Die Mannschaft, die Jessica Joeck nun „trainiert“, ist eine Nummer größer als an der Martin-Luther-King-Gesamtschule in Marl, wo sie rund neun Jahre beschäftigt war, zuletzt als didaktische und auch kommissarische Leitung. Zählte jene Bildungsstätte doch rund 900 Schülerinnen und Schüler, während in Horst etwa 1500 Kinder und Jugendliche von 170 Lehrenden unterrichtet werden. Zuvor war sie zwölf Jahre lang an der Janusz-Korczak-Gesamtschule Bottrop.
Was allen drei Schulen gemeinsam ist: Elite-Einrichtungen sind es eher weniger. Jede Menge Talente, davon ist die Lehrerin für Mathematik und Biologie aber überzeugt, finden sich dort aber sehr wohl. „Gerade, wenn Kinder und Jugendliche nicht in einem familiären Umfeld aufwachsen, das sie in jeder Hinsicht fördert, ist es besonders wichtig, ihre Stärken herauszukitzeln.“ Dies wiederum befriedige ungemein.
Gelsenkirchener Schulleiterin studierte Lehramt als Plan B - und hat es nie bereut
Schülerinnen und Schülern nicht nur Stoff zu vermitteln, sondern sie auch auf künftige Herausforderungen vorzubereiten, ihnen Werte zu vermitteln und so ihre Persönlichkeit zu stärken: All das ist ihr ein besonderes Anliegen. „In unserer schnelllebigen Zeit müssen wir sie fit machen für eine Zukunft mit neuen Berufen.“ Dabei müssten sie in die Lage versetzt werden, sich immer wieder neues Wissen anzueignen, lebenslang.
Wie es sich anfühlt, niemals mit dem Lernen fertig zu werden, weiß Jessica Joeck nur zu gut: Sie selbst besuchte in Dorsten erst die St.-Ursula-Realschule und biss sich bis zum Gymnasium durch. „Nach dem Abitur wollte ich eigentlich Medizin studieren und Kinderärztin werden. Als ich aber beim Mediziner-Test den sofortigen Studienplatz um einen Punkt verfehlte, wollte ich nicht warten und entschied mich, Lehrerin zu werden. Schließlich sollte es ein Job mit Kindern sein. Und das hat ja auch geklappt.“
Gesamtschule in Gelsenkirchen-Horst punktet mit verschiedenen Profilen
Bereut hat sie ihre Entscheidung, (in Siegen) Lehramt zu studieren, nie. Aber mehr Einfluss auf das System einer Schule nehmen, das wollte sie zuletzt sehr wohl. Tatsächlich hat sie in Horst nun ziemlich viele Fäden zusammenzuhalten: Die Bildungsstätte ist aktiv gegen Rassismus und hat sich einen Namen gemacht als Talent-, Sport-, Europa- und (ganz neu) Mint-Schule mit besonderem Profil in Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Auch ein Musik- bzw. Kunst-Profil wird (jährlich im Wechsel) den Fünftklässlern angeboten.
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An der Gesamtschule Horst, das betont sie, habe sie sich sofort heimisch gefühlt. „Ich werde zwar noch etwas Zeit brauchen, bis ich mir alle Namen und Funktionen gemerkt habe. Aber das Kollegium hat mich so herzlich aufgenommen, dass die Arbeit hier einfach Spaß macht, zumal alle so engagiert bei der Sache sind.“
Per Zukunftswerkstatt will die Gelsenkirchener Schulleiterin neue Ziele ausloten
Diesem Einsatz will sie künftig durch eine Zukunftswerkstatt noch mehr Raum geben. „Ich möchte im Austausch mit den Kollegen ausloten, wie wir Schule verstehen und wohin wir wollen.“ Für Kinder und Jugendliche möchte sie mittelfristig eine regelmäßige Sprechstunde anbieten, wo diese „alle Anliegen loswerden können, die bei der Schulsozialarbeit oder den Beratungslehrenden nicht richtig aufgehoben sind. Etwa auch, wenn sie etwas Neues ausprobieren wollen.“
Dass sie dabei trotz aller Verwaltungsaufgaben auch ein offenes Ohr für Probleme behalten will, zeigt ein Blick in ihr Büro: Auf dem Tisch in der Sitzecke steht eine Bonbonniere, randvoll gefüllt mit Traubenzucker-Lutschern. Ihre Erfahrung hat gezeigt: Manchmal beruhigt Süßes die Nerven - oder dient als Türöffner.