Gelsenkirchen-Horst. Gelsenkirchen statt Münster, Gesamtschule statt Gymnasium: Wieso Markus Hogrebe froh ist, dass in seinem Leben so manches anders kam als geplant.
Gesamtschule statt Gymnasium, Gelsenkirchen statt Münster: Im (Berufs-)Leben von Markus Hogrebe ist einiges anders verlaufen, als er ursprünglich geplant hatte. Beklagen mag sich der scheidende Leiter der Gesamtschule Horst aber nun wirklich nicht, im Gegenteil: Als Lehrer an einer Elite-Schule mit Schülerschaft aus Akademiker-Familien hätte er womöglich so einiges verpasst - wie etwa seine Talente als Dompteur und Sozialpädagoge zu entdecken. Und: auch jede Menge Erfolgserlebnisse.
Fast acht Jahre ist es her, dass Hogrebe (60) seinen Leitungs-Job in Horst antrat, einer Schule mit heute 1500 Schülerinnen und Schülern und 170 Lehrenden in einem durchaus herausfordernden Stadtteil: Geprägt ist er von vergleichsweise hoher Zuwanderung, Integrationsproblemen, Arbeitslosigkeit, Armut, Vermüllung und einem abnehmenden Sicherheitsgefühl - so lautete jedenfalls die Bilanz der Stadtverwaltung 2023, mit der sie die Aufnahme Horsts in ein Pilotprojekt zum Quartiersmanagement begründete.
Vom Gymnasium in Mönchengladbach zur Gesamtschule in Gelsenkirchen-Buer
Dass Horst ein anderes Pflaster ist als Buer, wo er zuvor 23 Jahre lang an der Gesamtschule Deutsch und Latein unterrichtet hatte, zuletzt auch als stellvertretender Schulleiter: Das war Hogrebe bewusst. Schließlich lebt der gebürtige Kölner, Vater dreier Söhne, mit seiner Familie seit 1994 in Gelsenkirchen - und das sehr gerne, wie er betont. Dabei hätte auch alles anders kommen können.
„Als ich mein Referendariat an einem Gymnasium in Mönchengladbach beendet hatte, gab es für die allermeisten von uns keine Anschluss-Anstellung. Zur Urkunden-Verleihung kam sogar ein Sachbearbeiter vom Arbeitsamt, um uns eine Umschulung zu empfehlen“, erinnert er sich schmunzelnd.
Scheidender Gesamtschul-Leiter: Gelsenkirchener sind zumeist offener als Münsteraner
Darum kam er dann aber doch herum, weil sich plötzlich die Chance auftat, eine Stelle an der Gesamtschule Buer-Mitte anzutreten. „Im Hinterkopf hatte ich eigentlich, mich nach einiger Zeit an einem Gymnasium zu bewerben. Das habe ich dann aber doch nie gemacht, weil es mir an der Schule und auch in der Stadt so gut gefiel.“
An seinem ersten Wohnort in Resse etwa „reichte der Gang zum Bäcker fast schon aus, um drei neue Freunde zu finden.“ In Münster aber, wohin er eigentlich ziehen wollte, habe seine jetzige Frau damals kaum Kontakt zu den Alteingesessenen aufbauen können. „Auch das kulturelle Angebot in und um Gelsenkirchen herum war schon damals so gut, dass wir hier sesshaft geworden sind und es auch nie bereut haben.“
Gelsenkirchener forcierte Aufnahme der Gesamtschule in Schulversuch „Talentschule“
Kindern auch aus bildungsfernen Familien Chancen auf Schulabschlüsse zu eröffnen, die sie sonst womöglich nicht hätten: Das war dem mittlerweile langjährigen Bueraner immer ein zentrales Anliegen, erst recht in Horst. Darum bemühte er sich auch sehr darum, den Zuschlag für die Teilnahme an dem NRW-Schulversuch „Talentschule“ zu bekommen. Mit Erfolg: Seit 2019 erprobt die Schule (zunächst bis 2026) die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg mit dem besonderen Profil MINT (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik).
In seine Amtszeit fielen freilich jede Menge weiterer Herausforderungen: Digitalisierung, Inklusion von förderbedürftigen Kindern, Integration von Flüchtlingskindern, Internationale Förderklassen (IFÖ), der Umbau der Oberstufen-Dependance an der Turfstraße und nicht zuletzt Corona. Ob er aus dieser Zeit besondere Erkenntnisse mitgenommen hat? „Im Zuge des Infektionsschutzes haben wir über Wochen nur jeweils halbe Abschlussklassen unterrichtet. Es war frappierend, wie viel effektiver das war.“ Und: von einer doppelten Lehrer-Besetzung profitierten nicht nur Inklusionskinder.
Gelsenkirchener: Einige Schüler haben weniger, andere mehr Kenntnisse als früher
Dass die Schüler in den vergangenen Jahren etwa durch die sozialen Medien „verblödet“ und „verroht“ seien, wie gern behauptet wird: Das mag Hogrebe so pauschal nicht stehen lassen. „Auch wenn da in Sachen Gewaltbereitschaft ein bisschen was dran sein mag: Prügeleien gab‘s auch zu meiner Schulzeit, die bekamen aber nicht diese gesellschaftliche Aufmerksamkeit von heute, wo ja Gewaltfreiheit zurecht als Erziehungsideal gilt.“
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Auch in Bezug auf das Leistungsniveau mahnt er zur differenzierten Sicht: „Früher gab es noch viel mehr Hauptschulen für die weniger starken Schüler. Die gehen nun aber fast alle auf die Gesamtschulen, da ist es doch klar, dass die Bandbreite größer ist.“ Einerseits gebe es tatsächlich Kinder, die mit weniger Basiskenntnissen in Mathe und Deutsch auf die weiterführende Schule wechselten. „Andererseits sind viele aber sogar leistungsstärker als früher, weil sie von ihren Familien mehr und gezielter gefördert werden.“
Gelsenkirchener: Schule soll allen Kindern und Jugendliche eine beglückende Schulzeit ermöglichen
Und die bildungsfernen, benachteiligten Kinder und Jugendlichen verstärkt zu fördern, sei dann eben Aufgabe der Schule. „Es klappt ja nicht bei allen, sie zum Abitur zu führen. Aber wenn wir ihnen eine beglückende Schulzeit ermöglichen und zu einem Abschluss verhelfen, ist doch viel gewonnen“, meint er und hebt hervor: „Wenn jemand aus schwierigeren Verhältnissen Fortschritte macht, dann geht einem als Lehrer das Herz auf. Denn das ist dann dem eigenen Unterricht zu verdanken.“ Insofern hätten sich durch den Wechsel vom Gymnasium zur Gesamtschule für ihn die Schwerpunkte seines Lehrer-Selbstverständnisses durchaus verändert. „Jeder Lehrer ist Fachmann, Dompteur im positiven Sinne und Sozialpädagoge. Bei mir hat sich der Fokus Richtung Sozialpädagoge verschoben.“
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Diese Erfolgserlebnisse, sie werden ihm im neuen Job als Regierungsschuldirektor bei der Bezirksregierung Münster fehlen, genauso wie das Unterrichten und die Gespräche mit Eltern und Schülern. Seit Februar schon obliegt Hogrebe die schulfalchliche Aufsicht über die Gesamtschulen besonders in Borken, künftig wird er wohl auch für die in Gelsenkirchen (außer Horst) und in einem Teil von Recklinghausen zuständig sein. „Dieses systemische Gestalten, um gute Bedingungen für Schulen zu schaffen: Das liegt mir.“ Und: „Dass mich keine Schüler mehr anhimmeln, weil ich der Schulleiter bin: Das vermisse ich schon“, sagt er mit einem Hauch von Ironie, aber der Ernst, er schwingt doch ein bisschen mit.