Gelsenkirchen-Buer/Westerholt. Auf der Stadtgrenze von Gelsenkirchen und Herten befindet sich der Westerholter Wald. Jetzt meldet sich der adlige Besitzer des Waldes zu Wort.

„Wir ernten, was wir selbst nicht gepflanzt haben. Und wir pflanzen, was wir selbst nicht mehr ernten können.“ So bringt Carlo Graf von Westerholt die wohl nachhaltigste Form der Wirtschaft auf den Punkt: die Waldwirtschaft. Sie prägt seine Familie seit rund acht Jahrhunderten. Bis so eine Buche oder Roteiche geerntet werden kann, dauere es 120 bis 150 Jahre. Diese Zeitspanne muss ein Forstwirt somit vorausdenken. Schon immer war das eine Herausforderung. Heute ist es das umso mehr.

„Ich habe Betriebswirtschaftslehre studiert. Da denkt man selten über drei Generationen hinweg“, sagt Carlo Graf von Westerholt und lacht. 2001, erzählt er, sei er nach Westerholt gekommen und habe den Traditionsbetrieb übernommen. „Diese Weitsicht lernt man schnell, wenn man in einen solchen Familienbetrieb eintritt.“ Wobei: Planbar sei die Zukunft auf so lange Sicht nie. „Große Ereignisse hat es immer gegeben. Zum Beispiel den Zweiten Weltkrieg. Danach gab es wahnsinnige Reparationsschläge. Dadurch haben wir in Nordrhein-Westfalen unheimlich viel Wald verloren.“ Weil man also nicht so viel Geld hatte, wie verlangt wurde, „zahlte“ man in Naturalien.

Am Stadtrand von Gelsenkirchen wird nicht auf Monokulturen gesetzt

Kulturlandschaft zwischen Gelsenkirchen und Herten: Der Westerholter Wald.
Kulturlandschaft zwischen Gelsenkirchen und Herten: Der Westerholter Wald. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Während des Gespräches geht es durch den Westerholter Wald, vorbei an beeindruckenden Buchen und Eichen. Hier ist, so scheint es, die Welt in Ordnung. Gefühlt ist der Klimawandel ganz weit weg. Doch ihm gilt die Hauptsorge des Familienunternehmers. „Es ist ganz gleich, wie viele Gedanken wir uns machen, wir können nicht wissen, wie in einhundert Jahren das Klima ist.“ Daher müsse man sich möglichst breit aufstellen, nicht auf Monokulturen setzen. „Damit man auch in einhundert Jahren auch den richtigen Baum anbieten kann.“

An vielen Orten gestattet Carlo Graf von Westerholt in seinen Wäldern die sogenannte Naturverjüngung. Das zeigt er an einer Ecke des Waldes. Was ein bisschen sperrig klingt, bedeutet einfach, hier darf die Natur wirken. Hier wachsen die Bäumchen aus den Samen, die der Wind dorthin getragen hat. Dann wird sich zeigen, was sich durchsetzt. Welches der kleinen Bäumchen einst in den Himmel ragen wird, das weiß somit heute noch keiner. Trotzdem müssen auch solche Bereiche durchforstet werden, erklärt der Waldbesitzer.

Carlo Graf von Westerholt: „Der Wald ist ein echtes Erfolgsmodell“

Ein großes Wort. Und ein Beruf, den mehr Menschen ausüben, als viele meinen. „In NRW sind beinahe 70 Prozent des Waldes in Privatbesitz.“ Was viele nicht bedenken: Diese Menschen und ihre Familien leben von der Waldwirtschaft. Das bedeutet, sie müssen jährlich Bäume schlagen. Und das immer so, dass es den gesamten Wald nicht schwächt. Das werde, erklärt Carlo Graf von Westerholt, auf spezielle Weise berechnet. „Wir entnehmen vier Festmeter Holz pro Hektar. Das sind ungefähr vier Tonnen.“ Im Gesamtbetrieb seien das 3.500 bis 4.500 Festmeter. „Die Grundlage unseres Wirtschaftens ist, dass wir diese Quote nicht überschreiten.“

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Durch die Nachhaltigkeit in der Waldwirtschaft habe sich der deutsche Wald kontinuierlich erweitert. „Er ist ein echtes Erfolgsmodell.“ Aller aktuellen Krisen zum Trotz. Ein Drittel des Landes seien Waldfläche. Und der Wald sei beliebt wie selten. Menschen suchen die Natur, genießen die vielen Bäume. Zudem habe der Wald auch eine gesellschaftspolitische Anerkennung erfahren – als Speicher für Kohlendioxid, als Produzent von Sauerstoff, aber auch als Erholungsraum für die Menschen. Künftig könnte noch eine weitere große Bedeutung hinzukommen: Der Wald als Produzent für Baustoffe. Häuser aus Holz zu bauen, das könne nicht nur nachhaltig sein, sondern auch energiesparend und überaus gesund für die Bewohnerinnen und Bewohner. „Da sind wir in Deutschland noch etwas zurückgeblieben. Aber umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland eine eigene Holzwirtschaft haben.“

Totholz im Wald? Darum ist das wichtig

An einer Stelle am Wegesrand sieht Carlo Graf von Westerholt einen toten Baum und erklärt, es sei wichtig, dieses Totholz auch mal im Wald zu belassen, es dem ökologischen Kreislauf zurückzugeben. Das fördere die Biodiversität im hohen Maße. Überhaupt, erklärt er, sei das nachhaltige Wirtschaften der Waldbesitzer der Umwelt zuträglich. „Man sagt, Wirtschaftswald ist Artenwald. Das bedeutet, die Population ist artenreicher als in einem Wald, der gar nicht bewirtschaftet wird.“

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Im Gespräch spürt man immer wieder, wie sehr dem Familienunternehmer die Nachhaltigkeit seiner Arbeit am Herzen liegt. Im eigenen Interesse liegt sie obendrein. Denn er ist auch Vater dreier Kinder. Eine nächste Generation, der er nicht nur, wie alle Eltern, einen guten Ort zum Leben hinterlassen möchte, sondern auch einen gut aufgestellten Betrieb. „Meine Familie hat diesen Wald schon vor hunderten von Jahren bewirtschaftet. Das möchte man erhalten, damit die Familie das auch in zweihundert Jahren noch tun kann.“