Gelsenkirchen. Was tun gegen Rassismus und Sexismus? Ein Projekt an der Gelsenkirchener Gertrud-Bäumer-Realschule sucht nach Wegen, Hetze entgegen zu treten.
Die Gelsenkirchener Gertrud-Bäumer-Realschule hat längst die Auszeichnung als „Schule ohne Rassismus“. Es gibt Anti-Rassismus-Buddys – Freiwillige, die bei Bedarf aufklären und einschreiten – und eine Rassismus-AG. Nahezu zwei Drittel der Schülerschaft hat mindestens einen Migrationshintergrund. Und auf Nachfrage der WAZ-Redakteurin bestätigen die meisten, selbst schon rassistisch beleidigt worden zu sein. Kann es hier an der Schule überhaupt Rassismus geben? Und wie kann und soll dem allgemeinen Rassismus entgegengewirkt werden?
Die aktuell laufenden „Talenttage Ruhr“ hatten unter anderem ein Angebot für die Aktionstage, mit Schülerinnen und Schülern eine Demonstration gegen Rassismus zu organisieren: Ein Thema, das Lehrerin Özlem Duranöz, die sich an der Schule besonders im Bereich Anti-Diskriminierung engagiert, sofort ansprach.
Rassistische Behauptungen kommen oft unterschwellig daher
Beim Projekttag in der Schule ist allerdings schnell klar: Es geht nicht nur um die Organisation einer Demonstration, sondern eher darum, für rassistische und sexistische Aussagen und Handlungen zu sensibilisieren. Denn auch Menschen mit Migrationsgeschichte können unbewusst auf sexistische oder rassistische Behauptungen und Parolen hereinfallen, warnt der Projektleiter Matthias Flüß.
Wie das funktioniert, wird im Spiel klar. Flüß fragt provokant: „Die Ausländer nehmen uns unsere deutsche Kultur weg! – Stimmt der Satz, ist er ein Vorurteil oder stimmt er teilweise?“ Als alle Position bezogen haben, fragt er: Was ist denn typisch deutsch? Die Kartoffel, die Bratwurst und der Fußball sind das erste, das den Jungen und Mädchen zwischen elf und 16 Jahren dabei einfällt. Dass die Kartoffel aus Südamerika stammt, der Fußball in England erfunden wurde, sorgt zwar für Staunen. Doch dass fremde Kulturen bereichernd wirken können, hatten Amina und Asena auch vorher schon eingewendet.
Jungs lesen schlechter, Frauen sprechen mehr: Stimmt das?
Können Jungs schlechter lesen als Mädchen, sprechen Frauen wirklich mehr als Männer? Für beide Fragen fanden die Heranwachsenden unterschiedliche Einschätzungen, unabhängig von der Herkunft. Ali aber ist sicher: Mädchen lesen besser. Tatsächlich stimme das in sehr vielen Fällen, bestätigt Spielleiter Matthias. Standardtests zum Leseverständnis an Schulen haben das mehrfach belegt.
„Aber die Frage ist, warum das so ist“, hakt er nach. Und Ali findet selber eine Ursache. „Die großen Jungs bei uns haben auch nicht gelesen, die Mädchen schon“, erinnert er sich. Es fehlten also die Vorbilder. Von Jungs wird anderes erwartet als von Mädchen, erklärt Matthias Flüß jetzt. Und generell fordert er: Verallgemeinerungen zu „den“ Jungs und „den“ Mädchen helfen nicht weiter, ebensowenig wie zu „den Ausländern“. Besonderen Respekt zollte Flüß der Position von Kelsy zur Frage der Lesekünste von Jungen: „Du sagst, dir fehlen Informationen, um das beurteilen zu können. Informationen zu sammeln ist eine extrem wichtige Voraussetzung für Verständigung.“
„Viele junge Männer machen Stress, hier und auch in meinem Land“
Das gelte auch bei der pauschalen Parole „Ausländer sind kriminell“. Der Anteil an Straftaten ist prozentual tatsächlich hoch. Hala und Asena bestätigen zudem, dass viele „Stress machen, auch in meinem Land“. Sie verhielten sich respektlos und viele begingen auch Straftaten, klagen sie.
Trotzdem dürfe man nicht von einzelnen auf alle schließen, allein aufgrund eines einzigen Merkmals wie der Herkunft, betont Matthias Flüß, was die jungen Frauen auch nicht bestreiten. „Man muss bei allem genau hinsehen. Junge Männer sind durchschnittlich fast überall häufiger straffällig, und unter den Zuwanderern macht diese Gruppe einen sehr hohen Anteil aus“, ergänzt Flüß. Aber manche Straftat wie der Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht könne von Deutschen gar nicht begangen werden.
Die Kernbotschaft des Projekts ist: Jeder Mensch ist wertvoll. Jeder hat Talente. Jeder ist zu achten. Hetzparolen sind einfach, Argumente und Austausch kompliziert, aber unverzichtbar. Und so ging es am Ende darum, einen Weg zu finden, um auf das Problem aufmerksam zu machen.
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Im ersten Schritt entscheiden sich die Schüler hier für Aktionen innerhalb der Schule. Es gab eine Kreideaktion zum Motto „Vielfalt bedeutet Stärke“ auf dem Schulhof, Flyer gegen Rassismus, Lieder gegen Vorurteile, Plakate und eine Kundgebung mit einer eindrucksvollen Rede der Schülerin Bahar. Mittelfristig aber - am Schuljahresende vielleicht - könnte es gemeinsam mit anderen „Schulen ohne Rassismus“ in Gelsenkirchen auch eine größere Demonstration zum Thema geben, kündigt Lehrerin Özlem Duranöz an. Interesse an mehr Aufklärungsarbeit gibt es in der Schülerschaft jedenfalls.
Die Talenttage Ruhr bieten in Gelsenkirchen in diesem Jahr 60 verschiedene Veranstaltungen an Schulen, die jungen Talenten Förderangebote machen und Berufsorientierung bieten.