Gelsenkirchen. Gelsenkirchener berichtet von hohen Summen, die Rumänen und Bulgaren für die Vermittlung von Wohnungen bezahlen. Der Beginn einer Schuldenfalle.
Viele Rumänen und Bulgaren haben schlechte Karten, eine Bleibe auf dem normalen Wohnungsmarkt zu finden – selbst wenn das Amt die Miete zahlt. Das berichten Betroffene und Menschen, die in unmittelbarem Kontakt zur südosteuropäischen Community in Gelsenkirchen stehen, immer wieder. Genau dort setzen vermeintliche Vermittler an und die Schuldenfalle schnappt zu. Wie in Gelsenkirchen und anderen Städten aus der Not und Unwissenheit der Menschen Kasse gemacht wird:
Vielfach sind es Armutsmigranten, die seit Jahren zu Tausenden in einige wenige Städte in Deutschland ziehen, in der Hoffnung, ein besseres Leben führen zu können. Denn für die meisten ist alles besser, als das Leben in ihrer Heimat. Zwischen 2013 und 2023 ist die Zahl der in NRW lebenden ausländischen Staatsangehörigen aus Bulgarien von 31.097 auf 106.164 und aus Rumänien von 49.154 auf 168.711 Personen angestiegen.
Auch interessant
Doch auch hier leben viele Rumänen und Bulgaren nur am Rande der Gesellschaft, in abgewirtschafteten Häusern, nicht selten im Unfrieden mit der ansässigen Nachbarschaft. Es gibt kaum ein Viertel in Gelsenkirchen, aus dem es keine Klagen gibt, wenn dort Zuwanderer aus Südosteuropa eine Unterkunft gefunden – oder besser gesagt, vermittelt bekommen haben.
Müllberge, Lärm, rücksichtsloses Verhalten – Ärger in der Nachbarschaft
Die Beschwerden sind dabei oft dieselben: Müllberge, Lärm, rücksichtsloses Verhalten, kurzum: Die Ordnung in der Nachbarschaft wird massiv gestört. In der Folge wird es für Wohnungssuchende aus Rumänien und Bulgarien noch viel schwieriger, weil viele Vermieter den Frieden in ihren Häusern nicht gefährden wollen.
In den betroffenen Städten, wie Gelsenkirchen und Duisburg, hat sich daher ein florierender Schwarzmarkt entwickelt. Zwielichtige Investoren kaufen Schrotthäuser auf, und Strohmänner aus Bulgarien und Rumänien vermitteln die Wohnungen gegen ein stattliches Handgeld. „Miet-Zuhälter“, nennt ein Gelsenkirchener Insider diese Geschäftemacher im Gespräch mit der WAZ.
„Miet-Zuhälter“ in Gelsenkirchen: „Von Pilzen bis Kakerlaken war praktisch alles vorhanden“
Kriminelle Netzwerke organisieren demnach gegen teils beträchtliche Summen Wohnungen für diese Menschen – für die Vermittlung werden „6000 bis 7000 Euro“ fällig. Je größer der Platzbedarf ist, desto höher die Preise. Insbesondere, wenn es sich um kinderreiche Familien handelt.
Belegt ist diese Ausbeutung nicht, aber bekannt. Immer wieder betonen Gelsenkirchens Landes- und Bundespolitiker deshalb auch, dass sie in Düsseldorf und Berlin auf die massiven Herausforderungen im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa hinweisen würden. Zuletzt ließ Justizminister Marco Buschmann (FDP) daher auch ein Gesetz ausarbeiten, um der Schrotthaus-Mafia das Leben schwerer zu machen. Um den Problemen in den betroffenen Quartieren entgegenzuwirken, haben das Land NRW und die Stadt Gelsenkirchen Ende 2022 eine „Zukunftspartnerschaft“ vereinbart. Bis zu 100 Millionen Euro Fördergelder sollen in den nächsten Jahren bereitstehen, damit Gelsenkirchen im großen Stil Schrottimmobilien beseitigen kann.
Eines ist Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) in der ganzen Diskussion aber sehr wichtig, wie sie bereits mehrfach gegenüber der WAZ erklärte: „Es geht hier um das Schicksal von Menschen, die häufig von kriminellen Banden angelockt und ausgebeutet werden. Gleichzeitig sorge ich mich natürlich darum, dass der soziale Friede in unserer Stadt erhalten bleibt. Dafür tun wir eine ganze Menge, aber die Rahmenbedingungen geben nun einmal Land, Bund und EU vor.“
- Das WAZ-Dossier: Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen
- EU-Erweiterung: „Gelsenkirchen war der Kollateralschaden“
- Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen: „Sie laufen ins offene Messer“
- Auffällige Zahlen: Rumänen und Bulgaren in Gelsenkirchen
- Ausländerkriminalität in Gelsenkirchen auffällig hoch
- Jeder Vierte in Gelsenkirchen ist Nichtdeutscher
Und obwohl die Stadt bereits mindestens 17 Objekte aufgekauft hat, gibt es noch sehr viele Häuser in Gelsenkirchen, die den Schrotthaus-Geschäftemachern als Gelddruckmaschine dienen: Zwei der beiden letzten Fälle, die der Insider betreute, führten ihn in die Stadtteile Horst und Schalke. „Die Menschen haben in einem zoologischen Garten gewohnt“, sagt der Kenner zum maroden Umfeld, auf das er gestoßen ist. „Von Pilzen bis Kakerlaken war praktisch alles vorhanden.“ Regelmäßig stoßen auch die Kontrolleure des behördenübergreifenden „Interventionsteams EU Ost“ nicht nur auf Fälle Sozialleistungsmissbrauch, sondern auch auf menschenunwürdige Wohnbedingungen.
Knochenmühle Arbeiterstrich Bismarck: „Die sind froh, wenn sie überhaupt Mindestlohn bekommen“
Dass sich die Wohnungssuchenden dennoch auf solche Deals einlassen und oft sogar überteuerte Mieten zahlen, hat dem Szenekenner zufolge viel mit Unwissen und patriarchalen Strukturen zu tun. „Diese Klientel ist nicht doof, sondern nur unwissend.“ Soll heißen: Die meisten, vor allem die Frauen, können nicht lesen oder schreiben, sind unter menschenunwürdigen Zuständen in Ghettos aufgewachsen und haben angesichts von Korruption und Repression staatlicher Organe in ihren Herkunftsländern keinerlei Vertrauen in Behörden und Ämter.
„Diese Menschen aus Rumänien und Bulgarien werden hierbleiben – auf Biegen und Brechen. Für sie ist alles andere als ein Leben in ihrer Heimat besser. Abschieben lassen sie sich als EU-Bürger ohnehin nicht.“
Vor allem aber: „Sie wissen nicht, wie unser staatliches System funktioniert, wer was zahlt, wie viel Geld sie überhaupt bekommen und am Ende zur Verfügung haben.“ Und schon gar nicht, dass Strom- und Mietkosten von Amtswegen direkt an die Vermietenden überwiesen werden können – allerdings nur auf persönlichen Wunsch. „Das öffnet den Miet-Zuhältern Tür und Tor, um daraus fett Kapital zu schlagen“, erzählt der Informant.
In der Regel leihen sich die Familien Geld bei Verwandten oder Bekannten, leisten eine Anzahlung und stottern den Rest der „Vermittlungsgebühr“ ab. Mangels (Aus-)Bildung und Sprachbarriere bleiben ihnen dafür aber nur Hilfstätigkeiten – nicht selten unterhalb der Grenze von 120 Stunden im Monat (Anforderung im Rahmen der Freizügigkeit).
Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder abonnieren Sie uns kostenlos auf Whatsapp und besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.
Vielfach würden diese Menschen aber auch ausgebeutet, etwa wenn sie den Gang zum Arbeiterstrich in Bismarck wagten, um ihre Schulden schnell loszuwerden. „Die sind schon froh, wenn sie für 80 Stunden Knochenarbeit im Monat überhaupt Mindestlohn bekommen“, berichtet jemand, der nahe dran ist. Daher sei es kein Wunder, dass diese Menschen teils illegale oder kriminelle Wege einschlügen, um ihre Schulden schneller loszuwerden. „Denn bleiben die Zahlungen einmal aus, stehen schnell ein paar finstere Gestalten vor der Tür“.
Stadt Gelsenkirchen zu „Miet-Zuhälterei“: Der juristische Nachweis fehlt bislang
Offiziell bestätigen kann die Stadt derlei Strukturen nicht: Der Verwaltung sei „bislang kein Verfahren bekannt, in dem ein solcher Fall juristisch zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte“, erklärt Stadtsprecher Martin Schulmann. Ihm zufolge gebe es immer wieder Hinweise auf mögliche Betrugsfälle bei der Vermietung von Problemimmobilien. „In Fällen, bei denen Mietzahlungen offenbar ohne Beläge und in Bargeld bezahlt werden, benachrichtigen wir jeweils die Finanzbehörden zur steuerlichen Überprüfung.“ Ergebnisse erhalte die Stadt nicht, da auch für sie das Steuergeheimnis gelte.
Den Informanten wundert dies nicht. Denn aufgrund schlechter Erfahrung würden sich die Zugezogenen ohnehin nicht an öffentliche Stellen wenden. „Sie haben schlichtweg Angst, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren – selbst, wenn der Vermieter mehr Handgeld kassiert, als im Mietvertrag steht.“
Lösungsansätze? „Keine Ghettos schaffen, sondern mehr sozialer Wohnungsbau“, meint der Szenekenner. Wenn diese Menschen dann in einer vernünftigen Wohnung untergebracht seien, dann brauche es weitere engmaschige Kontrollen und Begleitung, damit sich die Neuankömmlinge an den hiesigen Lebensrhythmus anpassen. Gemeint sind damit „Ordnung, Sauberkeit, Ruhezeiten“ – all das, was das Miteinander erträglich macht. Denn eines sei klar: „Diese Menschen aus Rumänien und Bulgarien werden hierbleiben – auf Biegen und Brechen. Für sie ist alles andere als ein Leben in ihrer Heimat besser. Abschieben lassen sie sich als EU-Bürger ohnehin nicht.“