Gelsenkirchen. Jahrzehntelang hat sich Emilia Liebers um die Gesundheit der Gelsenkirchener gekümmert. Sie warnt: Die Stadt braucht mehr Ärzte als vorgegeben.

Als Emilia Liebers vor 28 Jahren nach Gelsenkirchen kam, um hier als Kinderärztin im Gesundheitsamt zu arbeiten, hat sie sich sofort zuhause gefühlt. „Ich bin mit 27 Jahren nach Deutschland gekommen und habe in München angefangen, wo alles extrem sauber und ordentlich war. Gelsenkirchen ist wie meine Heimat Breslau: freundlich, ein bisschen schmuddelig und multikulti. Ich fühle mich hier sehr wohl.“

Kinder- und Jugendärztlichen Dienst bei der Stadt erst aufgebaut

Die Facharztausbildung hatte Liebers an der Uniklinik Essen absolviert. Danach wollte sie eigentlich mit behinderten Kindern arbeiten. Soziale Verantwortung und Gesundheit: Das gehört für sie untrennbar zusammen. Sozialpädiatrische Zentren für Kinder mit Beeinträchtigungen verschiedenster Art gab es damals aber fast nur in Süddeutschland: Dorthin wollte sie aber auf keinen Fall. Und so kam es zur Bewerbung bei der Stadt Gelsenkirchen.

Eine Kinder- und Jugenddienst gab es damals noch nicht. Allgemeinmediziner, HNO-Ärzte und andere Fachrichtungen teilten sich zu der Zeit die Arbeit auf, Zuständigkeiten wurden nach Postleitzahl geregelt, jeder machte alles. Die erste Familienhebamme allerdings gab es bereits, um „Risikofamilien“ nach der Geburt des ersten Kindes daheim zu beraten und betreuen.

„Eine Stadt wie Gelsenkirchen braucht mehr Ärzte, als die Kassenärztliche Vereinigung vorschreibt““

Emilie Liebers
(Ex-)Leiterin des Gesundheitsreferates

2003 dann hatte Emilia Liebers es geschafft: Der Kinder- und Jugendärztliche Dienst wurde als eigene Abteilung eingerichtet. Dass sie Kinderärztin werden möchte, sich um Benachteiligte kümmern: Das stand für die junge Polin schon mit elf Jahren fest. Und damals wie heute steht für sie fest: Ein guter Arzt zu werden, das hat nichts mit Zeugnisnoten, sondern vor allem mit sozialem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein zu tun.

Es gibt hier immer mehr Menschen ohne Krankenversicherung

Auch das ist ein Grund, warum sie sich hier am richtigen Platz fühlte. Mit den Jahrzehnten sind es nicht weniger Menschen geworden, die nicht oder kaum profitieren vom öffentlichen Gesundheitssystem, vor allem auch, weil sie gar nicht wissen, welche Angebote es gibt. „Es hat sich gar nicht so viel verändert bei der Gesundheit der Gelsenkirchener, seit ich hier angefangen habe. Aber es gibt heute mehr Menschen, vor allem aus EU-Ost, die keine Krankenversicherung haben.“ berichtet sie.

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Sorgen macht ihr heute auch der Mangel an Ärzten, die sich in Gelsenkirchen niederlassen möchten. „Eine Stadt wie Gelsenkirchen mit sozialen Probleme braucht mehr Ärzte als die Kassenärztliche Vereinigung nach normalen Pro-Kopf-Berechnungen vorsieht. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass die Menschen mehr über Gesundheit wissen. Der Gesundheitskiosk bietet da eine gute Möglichkeit, um Angebote bekannt zu machen und die Menschen an die richtige Stelle im Gesundheitssystem zu vermitteln.“

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„Bei den Schuleingangsuntersuchungen kam es öfters vor, dass im Vorsorgeheft zwei Jahre alte Rezepte vom Kinderarzt für Frühförderung lagen, ungenutzt. Die Eltern sagten mir, dass sie einfach nicht gewusst hätten, was das ist“, erinnert sie sich. „Gesundheit ohne Bildung gibt es nicht, Bildung ohne Gesundheit auch nicht. Das hängt immer zusammen“, ist sie überzeugt. Das gelte auch für gute Ernährung. „Wer nicht weiß, was Fast Food im Körper anrichtet, wie negativ sich das Essen am Fernsehen oder mit parallelem Smartphone-Konsum auf das Sättingungsgefühl und damit das Gewicht auswirkt, kann nauch das Verhalten nicht ändern“, warnt sie.

„Diabetes II gibt es immer häufiger schon bei Kindern. Der Zusammenhang mit Übergewicht ist eindeutig. Und wenn es keine regelmäßigen Essenzeiten gibt, Kinder immer und überall essen dürfen, was und wann sie möchten, wirkt sich auch das auf das Gewicht aus. Wenn es dann noch eine Veranlagung für Diabetes gibt, dann ist das Risiko schon für Kinder hoch.“, erklärt die Kinderärztin. Auch sei eine Frage von Bildung und Wissen um Zusammenhänge.

Faxgeräte haben im Gesundheitsamt ausgedient

Eigentlich hätte die Überzeugungstäterin Liebers bereits im Februar in den regulären Ruhestand wechseln sollen. Als zu dem Zeitpunkt die Nachfolge noch ungeklärt war, hat sie sich nicht lange bitten lassen. Mittlerweile steht die Nachfolgerin fest: Dr. Christiane Hinney wird das Referat gemeinsam mit dem Verwaltungsleiter Marvin Schröder übernehmen. Die Kollegin ist bereits im Gelsenkirchener Referat tätig. „Ich kann beruhigt gehen, dank einer guten Nachfolge und mit Frau Henze auch einer Dezernentin, die sehr engagiert ist“, versichert Liebers noch. Zudem ist das Team von 90 auf 101 Mitarbeiter angewachsen seit ihrem Start hier. „Und in Corona-Zeiten sind wir sehr gut zusammengewachsen“, schwärmt sie. Faxgeräte gibt es ihrem Referat übrigens mittlerweile nicht mehr: Wenn von Ärzten oder Labore Faxe eingehen, tun sie das elektronisch.

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Ruhestand heißt für sie allerdings nicht, nichts zu tun. „Ich werde mich weiter in der Gemeinde engagieren und ich singe in zwei Chören, die Benefizkonzerte geben. Außerdem lese ich sehr sehr gerne, am liebsten gut recherchierte historische Romane. Und wenn ich um Hilfe bei Beratung gebeten werde, werde ich vielleicht auch nicht nein sagen“, bekennt sie.