Gelsenkirchen-Horst. Blick zurück vor dem dritten Anlauf: Warum Gelsenkirchen den Friedhof Horst-Süd bereits mehrfach schließen wollte – und das Verfahren stoppte.
Totgesagte leben länger: Wenn der Rat am Donnerstag, 4. Juli, über eine Teil-Außerdienststellung des Friedhofs Horst-Süd berät, dürften langjährige Stadtverordnete ein Déjà-vu erleben. Denn die Bestattungsfläche Am Schleusengraben sollte in den vergangenen Jahrzehnten bereits zweimal (teil-)geschlossen werden und steht damit zum dritten Mal kurz vor der Aufgabe. Das waren die Gründe dafür – und so wurde der Friedhof gerettet.
Es war 1913/1914, als der Friedhof Horst-Süd unweit von Galopprennbahn und Schloss angelegt wurde. Der alte Friedhof an der Horst-Gladbecker-Straße in Horst-Nord war durch den Bevölkerungszuwachs im Zuge der Industrialisierung zu klein geworden, und so wurde die neue Bestattungsfläche Am Schleusengraben zur Hauptbegräbnisstätte. Einige Jahre später erhielt auch die jüdische Gemeinde dort ein eigenes Gräberfeld, das allerdings seit einer Bombardierung 1944 durch die Alliierten nicht mehr erhalten ist.
Mahnmale und Gedenkstätten erinnern auf Gelsenkirchener Friedhof an Kriegsopfer und Zwangsarbeiter
Das nach Erweiterungen mittlerweile elf Hektar große Areal beherbergt mehrere Mahnmale und Gedenkplätze: Da ist etwa das Ehrenmal aus dem Ersten Weltkrieg, wo rund 50 gefallene Soldaten aus beiden Weltkriegen bestattet sind, und eine Ehrengrabstätte mit 60 Gräbern von Opfern der Bombenangriffe auf Gelsenkirchen.
Darüber hinaus befinden sich dort die Gräber von rund 900 sowjetischen Zwangsarbeitern, an die ein Denkmal in kyrillischer Schrift erinnert, sowie Grabfelder für die vielen Fremdarbeiter aus von den Nazis eroberten Ländern, die etwa auf der Zeche Nordstern oder im Hydrierwerk Gelsenberg eingesetzt wurden.
Gedenken an NS-Opfer in Gelsenkirchener KZ-Außenlager
Ein Mahnmal von 1948 gedenkt der Oper von Rassismus und Zwangsarbeit im Hydrierwerk Gelsenberg, einem Außenlager des KZ Buchenwald, wo rund 2000 ungarische Jüdinnen schwerste Arbeiten verrichten mussten und Bombardierungen schutzlos ausgeliefert waren. 150 dabei getötete Frauen sind auf dem Friedhof beigesetzt. Hinzu kommen ein 1947/48 wiedererrichtetes Kapp-Putsch-Denkmal sowie ein (denkmalgeschütztes) Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer der Grubenunglücke 1937 und 1955 auf Nordstern.
Viel (Lokal-)Geschichte findet sich also auf dem Areal am Rande von Horst-Süd. Wie Tobias Heyne, Sprecher des Friedhofsbetreibers Gelsedienste, recherchiert hat, stand eine Schließung 1986 „im Rahmen der Eröffnung des nahe gelegenen Friedhofs Beckhausen-Sutum“ im Raum, als auch der Alte Friedhof Beckhausen teilweise außer Dienst gestellt wurde.
Bereits 1986 und 2015 war eine Schließung des Gelsenkirchener Friedhofs in der Diskussion
Hintergrund waren offenbar schon damals Probleme mit dem hohen Grundwasserstand, der auch aktuell als Hauptargument für die Teil-Außerdienststellung angeführt wird. Ob es dazu eine städtische Beschlussvorlage gab, ist Heyne nicht bekannt. In einem WAZ-Bericht von 2015 erinnert SPD-Bezirksverordneter Udo Gerlach aber an die damals gefundene Lösung: „Damals ist die Verwaltung dazu übergegangen, die ohnehin rückläufigen Bestattungen nur noch auf dem höher gelegenen Gelände zu erlauben. Das war die Entwarnung.“
Was den zweiten Versuch angeht, den Friedhof Horst-Süd aufzugeben, so wurde das städtische Umweltreferat 2015 deutlich aktiver: Es legte der Politik eine „Hochwasserrisiko-Management-Planung“ vor, wonach die Fläche bis 2022 geschlossen werden sollte, um diese bei einem „250-Jahres-Hochwasser“ als Überflutungsgebiet vorzuhalten. Hintergrund war eine in Bundesrecht überführte EG-Richtlinie, die Gelsenkirchen wie alle Kommunen dazu nötigte, Maßnahmen für ein „sehr unwahrscheinliches“ extremes Hochwasser zu entwickeln und umzusetzen.
Gelsenkirchener Verwaltung wollte Friedhof Horst-Süd als Überflutungsgebiet vorhalten
Die Stadt erklärte, dass „in Horst einige Bereiche bis zu vier Meter unter Wasser stünden“ – darunter auch der Friedhof – falls im Bereich von Emscher und Lanferbach die Deiche versagen und Pumpwerke ausfallen sollten.
Besonders die Bezirksvertretung West lief Sturm gegen die Pläne. Die Verwaltung vermische unzulässigerweise die Hochwasser- mit der Grundwasserproblematik, hieß es von der SPD; und die CDU regte die Eindeichung des Friedhofs bzw. die Erhöhung schon vorhandener Deiche an, um Angehörigen bei einem exremen Hochwasser den Anblick womöglich auftreibender Knochen zu ersparen.
Gelsenkirchener hoffen nun, dass ihr Friedhof Horst-Süd ein drittes Mal gerettet wird
Am Ende nahm der Rat auf Empfehlung von BV West und Stadtentwicklungsausschuss die Schließung des Horster Friedhofs aus dem Maßnahmenkatalog heraus. Man habe damals der Friedhofsentwicklungsplanung nicht vorgreifen wollen, die bereits im Betriebsausschuss Gelsendienste diskutiert wurde, so Sprecher Heyne. Die WAZ-Berichterstattung vom Februar 2015 begründete das Rats-Votum freilich auch damit, dass die Stadtverordneten auf die Entwicklung technischer Lösungen zum Schutz vor Hochwasser setzten.
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Technische Lösungen in Sachen Hochwasser-Schutz, sie wurden bislang nicht umgesetzt, so Bezirksbürgermeister Joachim Gill (SPD). Doch ein Aus des Horster Friedhofs wurde im April dieses Jahres erneut als Teil-Außerdienststellung auf die politische Tagesordnung gesetzt. Wie mehrfach berichtet, argumentiert Gelsendienste mit stark angestiegenem Grundwasser sowie rückläufiger Nachfrage. Einschränkungen beim Besuch soll es nicht geben, das Gelände solle über mehrere Jahrzehnte zu einer öffentlichen Grünanlage werden.
Bezirks- und Stadtverordnete von SPD und CDU haben nun ein Papier vorgelegt, das konkrete Lösungsvorschläge zum Weiterbetrieb des Friedhofs auflistet und dem Betriebsausschuss Gelsendienste als Beschlussempfehlung für die mitentscheidende Sitzung am 26. Juni dienen soll. Darunter findet sich auch die Errichtung von Naturstein-Stelen, in denen Urnen beigesetzt werden können, was bislang auf der Fläche noch nicht angeboten wird. Das letzte Wort hat am 4. Juli der Rat. Und so hoffen viele Horsterinnen und Horster erneut, dass „ihr“ Friedhof dann ein drittes Mal gerettet wird. Gelsendienste weist unterdessen gegenüber der Redaktion erneut darauf hin: In diesem Fall müssten die Friedhofsgebühren erhöht werden, um das Minus von derzeit 200.000 Euro im Jahr auszugleichen.
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