Gelsenkirchen-Schalke. Die App „Schalke erleben“ bietet die Möglichkeit, virtuell in die Vergangenheit des Stadtteils zu reisen. Wir haben sie einmal ausgetestet.

Da steht er, der Ernst, schaut ein wenig verloren und scheint sich zu wundern, was denn wohl aus seinem Schalke geworden ist. Um ihn tost der Verkehr der Kurt-Schuhmacher-Straße, wenn er nach links schauen würde, wo zu seinen Zeiten die Glückauf-Kampfbahn stand, sähe er nur noch das Eingangsportal. Reden kann er nicht, der Ernst Kuzorra, er ist nur eine virtuelle Figur, eine Art digitaler Geist. Aber Zeit für Selfies, die nimmt er sich gerne.

Seit einigen Woche ist die App „Schalke erleben“ am Start, eine Art virtueller Stadtführer, herausgebracht von der Stiftung Schalke Markt um Olivier Kruschinski, der ohnehin schon mit seinen „Mythos-Führungen“ zahllosen Menschen die Schalker Geschichte nahegebracht hat. Wir haben die App einmal getestet und uns mit Handy und viel Neugier auf Spurensuche begeben: vor allem natürlich im Stadtteil Schalke, aber nicht nur.

Orte mit Schalke-Vergangenheit auch im Gelsenkirchener Norden

Präsentierte die neue App beim Virtual-Reality-Festival im Mai: Bodo Menze von der Stiftung Schalker Markt.
Präsentierte die neue App beim Virtual-Reality-Festival im Mai: Bodo Menze von der Stiftung Schalker Markt. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Die App aufs Handy laden: kein Problem. „Entdecke den Mythos!“, steht auf der Startseite der App, versprochen werden „Faszinierende Geschichten und Orte aus über 100 Jahren Schalke“, dem „berühmtesten Stadtteil Deutschlands“. Doch wo anfangen? Eine Übersicht über alle wichtigen Orte liefert die Kartenfunktion, blaue und ockerfarbene Marker zeigen an, wo es etwas zu sehen gibt. Warum die Marker zwei Farben haben, dazu später mehr.

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Schnell wird klar: Die meisten Geschichten spielen logischerweise im Stadtteil Schalke, hier ballen sich die Marker. Aber auch nördlich vom Kanal hat sich Schalker Geschichte ereignet. Klar, dass die Schalke-Arena einen Marker auf der Karte bekommt, aber auch etwa der Buersche Hauptfriedhof ist königsblau: Ein Klick auf den Marker, und man wird informiert, dass hier Schalker Legenden ihre letzte Ruhe gefunden haben: die Spieler Paul Matzkowski oder Herbert Burdenski etwa, aber auch Schalke-Kultfigur Charly Neumann.

Wo „Ötte“ Tibulsky einst selbst hinterm Tresen stand

Ich bin neugierig, was sich hinter den ockerfarbenen Markern verbirgt und steuere einen Punkt an, der sich (knapp) im Stadtnorden befindet. „Sutumer Brücken“ heißt der Stopp, und der Grund, warum er sich farblich von den anderen unterscheidet: Hier wartet zum ersten Mal einer der Clous der neuen App, die „Augmented Reality“-Funktion (AR). Dabei sieht man auf dem Handy-Display das, was die Kamera aufnimmt – gleichzeitig erscheinen mithilfe der Software Dinge, die in Wirklichkeit gar nicht da sind. So wie hier in Sutum eine Staffelei mit dem Bild der „Alten Emscher“: An dieser Station wird erzählt, welche Rolle die Emscher in der Schalker Geschichte spielt.

Das macht Spaß, stelle ich fest, und schaue, wo der nächste ockerfarbene Marker ist. Jetzt geht es tatsächlich nach Schalke, dorthin, wo der Verein seine meisten Erfolge feierte. Die Glückauf-Kampfbahn selbst wird gerade umgebaut und kann leider nicht besucht werden, aber direkt nebenan befindet sich die Schalker Vereinsgaststätte Bosch. Drinnen weist eine Plakette auf den Stammplatz von Ernst Kuzorra hin, in der App erfährt man, dass hier einst Meisterspieler „Ötte“ Tibulsky selbst hinterm Tresen stand und das Bier zapfte – und dass hier noch bis zur Jahrtausendwende im Hinterzimmer Vertragsverhandlungen geführt wurden.

Der digitale Ernst erweist sich als äußerst geduldig

Hingucker in der St. Joseph-Kirche: Das Fenster mit dem Heiligen Aloysius in Fußballschuhen.
Hingucker in der St. Joseph-Kirche: Das Fenster mit dem Heiligen Aloysius in Fußballschuhen. © Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Leibhaftig (na ja) begegnen kann man der Vereinslegende Kuzorra draußen, vor der Kneipe: Auch hier ist wieder ein „AR-Punkt“. Ich stelle mich an die Ecke der Vereinskneipe, richte das Handy aus – und da erscheint er vor mir, der Ernst, passenderweise genau vor seinem Porträt, das an der Wand hängt. Jung sieht er aus, er trägt (natürlich) das blaue Trikot mit dem alten Vereinswappen, und das Gute an digitalen Personen ist, dass ihre Geduld im Gegensatz zu echten Promis unerschöpflich ist: Ich bitte Ernst, ein paar Minuten stehenzubleiben, hole mir Hilfe in Person von Bosch-Wirt Roy Heiligert, drücke ihm mein Handy in die Hand und postiere mich für ein Foto neben Ernst – wann hat man sonst schon einmal die Gelegenheit?

Weiter geht‘s Richtung Süden, zur St. Joseph-Kirche. Die wartet bekanntlich mit einem einzigartigen Fensterbild auf, das den Heiligen Aloysius zeigt – mit Fußballschuhen und Ball am Fuß. Die AR-Funktion ermöglicht es, sich das Fenster gleichzeitig von außen und von innen anzuschauen: Richtet man das Handy von außen auf die Fassade, löst sich das virtuelle Fenster aus der Fassade, fliegt dem Betrachter entgegen und dreht sich um die eigene Achse, sodass man den fußballverrückten Heiligen in Ruhe studieren kann.

App lässt die alte Friedenskirche wieder auferstehen

Nur ein paar Meter von der Kirche entfernt liegt der Schalker Markt, die Geburtsstätte des FC Schalke 04. Dass das hier einmal ein richtiger Platz war, auf dem 1934 die erste deutsche Meisterschaft gefeiert wurde, ist heute nur noch zu erahnen. Vierspurig verläuft hier der Verkehr auf der Gewerkenstraße, die Stahlkonstruktion der Berliner Brücke überragt alles, der größte Teil des ehemaligen Marktes ist Firmengelände und nicht zugänglich. Virtuell aber schon: Mit der Augmented Reality lasse ich die alte Friedenskirche wiederauferstehen: In dieser hatte Fritz Szepan Ernst Kuzorras Schwester Elise geheiratet. 1959 ließ die Stadt die Reste der Kirche abreißen, heute steht die neue Friedenskirche nur wenige hundert Meter weiter an der Königsberger Straße. Wie die alte Kirche aussah, das kann ich auf meinem Handy bewundern – genauso wie die Kaiserhalle, die vor dem Krieg das Vereinsheim der Schalker war.

Alle Stationen aufzuführen, die die App bietet, würde den Rahmen sprengen: Selbst langjährige Schalker werden hier mit Sicherheit Infos finden, die ihnen neu sind. Aber im Gegensatz zu einer „richtigen“ Stadtführung hat die App natürlich einen entscheidenden Vorteil: Man kann jederzeit abbrechen – und ebenso jederzeit wieder anfangen. Denn eins ist gewiss: Ernst Kuzorra hat immer Zeit.

Und so geht‘s zur App: Einfach mit dem Smartphone (Apple oder Android) die Seite schalke-erleben.de aufrufen: Alles Weitere wird dort erklärt.