Gelsenkirchen. Hoch auf die Halde: Ein Adventsspaziergang der etwas anderen Art mit den Lamas Dancer, Diego, Caruso und Kasimir. Denn was in den Anden funktioniert, das geht auch im Ruhrgebiet. Eine Sportwissenschaftlerin bietet die Touren an.
Es stürmt, die Wolken hängen tief, der Nieselregen dringt durch die Kleidung. Hätten wir doch nur ein so warmes Fell wie die Lamas. Vor einer Stunde erst haben wir uns getroffen. Zu einer besonderen Art von Wanderung in den Advent: Jeder der 15 Teilnehmer wird irgendwann eine Schnur in der Hand halten, am anderen Ende ein Lama, lebensgroß und lebendig. Kasimir und Dancer, Caruso und Diego, so heißen unsere Weggefährten, sind es gewohnt, von Menschen geführt zu werden. Und was in den Anden funktioniert, geht auch im Ruhrgebiet. Auf der Halde Rungenberg.
Zweifelsohne fürchten wir uns mehr vor den Lamas, als sie sich vor uns. Denn fremd sind sie uns schon, die fast pferdegroßen Tiere mit ihrem zotteligen dicken Pelz. Spucken, für das sie doch so berüchtigt sind, beruhigt uns Besitzerin Beate Pracht, die Organisatorin der Wanderung, würden Lamas nur, wenn ein konkurrierender Artgenosse auftaucht. „Lamas, die spucken, sind im Zoo aufgewachsen und fehlgeprägt. Sie kennen den Unterschied zwischen Mensch und Lama nicht.“ Mit frischem Heu überwinden wir und die Lamas die Scheu voreinander.
Beate Pracht erklärt Lamas
Vor ein paar Jahren sah die Sportwissenschaftlerin Beate Pracht eine Fernsehsendung über Lamas und verliebte sich in die Tiere. Sie begab sich auf Spurensuche, nahm selbst an Lama-Wanderungen teil und absolvierte Seminare, u. a. in den USA. 2006 entschloss sie sich zur Selbstständigkeit. Und kaufte Kasimir und Dancer, nicht, um den Rasen mähen zu lassen (was sie messerscharf und besser als jedes Schaf tun), sondern um etwas mit ihnen zu unternehmen. So entstand die Idee zum Lama-Wandern. Später kamen Caruso, der perfekt das „Lamasingen“ (ähnlich Kamelschreien) beherrscht, und Diego, den Beate Pracht aus einem Zirkus frei kaufte, dazu. Die genügsamen Tiere, die sich von Heu und Wasser ernähren, leben auf Hof Holz.
In einem Crash-Kurs lernen wir, dass man sich Lamas nie von hinten nähern darf; dass sie es nicht mögen, am Kopf und unter dem Bauch gestreichelt zu werden, es aber sehr wohl lieben, wenn die flache Hand an ihrem langen Hals entlang fährt. „Lamas sind achtsame, respektvolle Tiere, die nie das tun, was wir nicht wollen“, erklärt Beate Pracht
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Geruhsame Gemüter
Den langen Hals stolz erhoben, blickt Diego seinen Wanderkameraden in spe mit großen Augen (und beneidenswert langen Wimpern) an. „Na, mal sehen, wie du dich anstellst“, scheint er zu denken. Die Wanderung beginnt gemächlich. Ihren engsten Verwandten, den Kamelen, ähnlich, trotten die Lamas durch die Landschaft. Kasimir, 15 Jahre und Chef der Gruppe, Dancer, eine Wooly-Lama, und Diego, schwarz- weiß, wild und das Küken der Gruppe, haben keine Eile. Caruso bleibt auf der Wiese, weil er die Fahrt im Lama-Hänger - über die A 2 bis zur Halde - fürchtet.
Den Lamas macht der Ausflug sichtlich Spaß. Den Menschen ebenso, wenn nur das nasskalte Wetter nicht wäre. Darum drängen wir zur Eile, machen die Rechnung aber ohne die Lamas. Seelenruhig schauen Dancer, Kasimir und Diego über das weite Grün auf dem künstlich aufgeschütteten Berg, als wollten sie im Nebel erkunden, wo Gelsenkirchen abgeblieben ist. Die Lasttiere lassen sich leider nicht wie Hunde ausführen. Wenn hektisch an der Leine gezogen wird, schaltet das Tier auf stur und bleibt stehen. Zum „Lamaflüsterer“ wird nur, wer dem Tier ruhig entgegen tritt und versucht, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Autorität allein hilft nicht weiter.
Eine Art Meditationsreise
In einem Meter Abstand schwanken sie bergan. Auf der Tour übernimmt Kasimir die Führung. So langsam er startet, so kontinuierlich hält er sein Schritttempo auf die 110 Meter hohe Halde bei. Ab einer gewissen Zeit, als jeder seinen Platz in der Truppe gefunden hat und Ruhe eingekehrt ist, wird das Wandern mit den Tieren zu einer Art Meditationsreise. Hektik fällt ab, alle lassen vom Alltag los. Plötzlich verstehen wir den Satz, den Beate Pracht ganz zu Anfang gesagt hat: „Die Lamas entschleunigen uns.“