Gelsenkirchen. Mit Kasimir und seinen wolligen Herdenkollegen bringt Beate Pracht gestressten Menschen innere Gelassenheit bei. Denn Lamas sind lässig. So lässig, dass sich diese Ruhe auch angespannten Menschen mitteilt. Übrigens: Die Autorin wurde geküsst - nicht angespuckt.





Kasimir legt die Ohren zurück und hebt den Kopf. Menschen sind gekommen. „Ob die jetzt wieder fragen, ob Lamas spucken”, scheint er zu überlegen. Die Frage nervt. Ja, Lamas spucken. Wenn es in der Herde richtig rund geht, wenn es hart auf hart kommt. Dann wird gespuckt. Lama gegen Lama. „Menschen werden nicht angespuckt”, sagt Beate Pracht.

Kasimir spuckt nicht

Sie muss es wissen, denn Kasimir, Dancer, Hannibal, Diego und Caruso würden sich solche Fehltritte nicht leisten. Schließlich sind die fünf Lama-Wallache wichtige Mitarbeiter in der Tiergestützten Therapie und geben Seminare und Trainings für gestresste Führungskräfte.

Kasimir (11) ist der Chef der kleinen Herde, die auf Hof Holz in Beckhausen lebt. „Ein sehr kooperativer Chef”, sagt Beate Pracht stolz. Autoritäre Erziehungsmethoden oder gar Mobbing – Hannibal hat so etwas nicht nötig, schließlich hat er natürliche Autorität, und die drückt sich durch Gelassenheit aus. Echte Führungspersönlichkeiten, das lehren Hannibal und seine Kollegen, brauchen kein Imponiergehabe. Das ist auch in der Herde so. Da sind es die Emporkömmlinge, die tänzeln und angeben.

Lamas lehren Gelassenheit

Womit die erste Erkenntnis schon gewonnen wäre: Vom Lama lernen, heißt Gelassenheit lernen. Hektik ist den Tieren fremd, und sie verstehen sie auch nicht bei anderen Wesen. Wer sich dem Lama hektisch nähert, wird nur selten auf Vertrauen stoßen. Ruhe und ernsthaftes Interesse hingegen honorieren die Tiere mit Zuwendung.

Wenn Beate Pracht Hannibal das bunte Halfter anlegt, weiß er, dass nun Arbeit angesagt ist. Ein Traumjob, könnte man meinen: Einfach nur Lama sein, sich spazieren führen lassen, Streicheleinheiten abholen, und den Menschen ganz nebenbei etwas über Führungsstil und Körpersprache beibringen.

Viel lernen mussten Kasimir und seine Kollegen nicht für den Job – das natürliche Verhalten ist erwünscht. Allein Halfter, Strick, und manchmal ein hölzernes Tragegestell für das Gepäck auf längeren Wanderungen brauchen sie zur Arbeit.

Lamas sind anders

„Die Mensch-Tier-Teams finden sich ganz natürlich – da wird nichts bestimmt”, sagt Pracht. „Die Lamas reagieren natürlich auf jeden Menschen anders”. Überhaupt: Lamas sind anders. Ein bisschen distanziert wirken sie, halten gern ein wenig Abstand und bilden sich erstmal eine Meinung über die Dinge. Wer das Lama überzeugen will, braucht klare Argumente. Zwingen kann man es nicht. „Das ist eine große Chance für Menschen, etwas über Distanz und Nähe zu lernen”, sagt Pracht.

Hauptthema in Beate Prachts Arbeit ist die Stressbewältigung. In Seminaren mit Titeln wie „Natürlich kraftvoll” können die Menschen beobachten, wie die Lamas miteinander kommunizieren. Sie können mit den Lamas über die Halde wandern, beobachten, wie sich Körpersprache und innere Überzeugung auf die Tiere auswirken.

Nicht jeder Mensch geht ohne Hemmungen auf die Wiederkäuer zu. „Es gibt schöne Situationen, wo schüchterne Menschen ihre Ängste überwinden”, sagt die Diplomsportlehrerin Pracht. Was die Lamas mit allen Therapietieren vereint ist die Unvoreingenommenheit, mit der sie den Menschen gegenüber treten – ob sie nun schön oder hässlich, gesund oder krank sind.

Knallharte Typen, denen es um schnelle Erfolge geht, können mit den Tieren weniger anfangen – alles hier braucht seine Zeit. „Lamas machen weich”, sagt Beate Pracht. „Sie strahlen eine unglaubliche Ruhe aus, so dass selbst die hektischsten Menschen zur Ruhe kommen.” Dann stellen sich auch Erfolgserlebnisse ein. Mit Geduld und vor allem klaren Vorsätzen kann man die Lamas überzeugen, ungewohnte Wege einzuschlagen und Hindernisse zu überwinden.

Der Kuss des Lamas

Vielleicht gibt es dann einen dieser Momente. Wenn sich Hannibal, der Halbstarke aus der Herde, leise brummend langsam an die Trainerin und ihre Gesprächpartnerin heranpirscht. Immer näher. Und schließlich Nase an Nase mit der Besucherin verharrt. Ein Kuss, den man so schnell nicht vergisst.