Gelsenkirchen. Großeinsatz an der Oskarstraße im Stadtteil Gelsenkirchen-Bulmke. Polizei trainierte das richtige Verhalten nach einem Raubüberfall mit Geiselnahme.

Ein Schuss peitscht durch die Häuserreihen, getroffen sinkt die Frau auf dem Bürgersteig zu Boden. Sie schreit um Hilfe. Zehn Meter weiter pirschen sich drei Polizisten heran, suchen Schutz hinter geparkten Autos, die Waffen im Anschlag. Nah beim Opfer, wagt sich eine Beamtin aus der Deckung: „Wir holen nur die Geisel. Wir schießen nicht, wenn sie nicht auf uns schießen“, brüllt sie Richtung Tür, hinter der sich der Geiselgangster verschanzt hat. Sie zielt auf den Eingang. Doch nichts rührt sich. Schnell schleppen ihre Kollegen die Angeschossene aus dem Schussfeld und ein Krankenwagen braust heulend heran, bringt die Frau in Sicherheit.

Es ist 10.50 Uhr. Meldungen jagen per Funk durch den Äther. Lageberichte, Positionen, Befehle – das volle Programm. Mittendrin im Chaos an der Oskarstraße in Bulmke steht Heribert Kreuter vom ständigen Stab der Polizei in Münster. „Handlungssicherheit, wir trainieren hier Handlungssicherheit“, erklärt der Hauptkommissar.

Üben? Ja. Was jedem Tatort alle Ehre gemacht hätte, ist in Wahrheit eine Übung. Die komplette Gelsenkirchener Behörde ist eingebunden, die Abteilungen Kriminalität, Verkehr und Gefahrenabwehr, gut 100 Kräfte, die Feuerwehr nicht mitgezählt. „Unfälle kommen ja jeden Tag vor“, sagt Kreuter, „da sitzt jeder Handgriff.“ Aber ein Raubüberfall mit Geiselnahme ist „eher Ausnahme als Regel“. Vom Notruf in der Leitstelle bis zur Festnahme des Täters, da muss jedes Rädchen im Getriebe des Polizeiapparates reibungslos ins andere greifen.

Coaches geben Hinweise

Daher – und das ist neu – sind überall Coaches postiert, zu erkennen an den orangenen Leibchen. Sie begleiten die Einsatztrupps, geben Tipps, weisen auf Fehler hin, optimieren die Abläufe. So etwa beim Anschleichen. Der Experte – wohl ein Beamter des Sondereinsatzkommandos – hatte die mutige Polizistin aus der Eingangsszene noch tiefer hinters Autoblech gedrückt. (Über-)Lebenswichtig.

11.50 Uhr. Eine weitere Geisel kann flüchten, wieder eröffnet der Geiselgangster das Feuer, doch er verfehlt sein Ziel. Ein Sechsertrupp dirigiert den völlig Verwirrten in seine Obhut, sichert sich und das Opfer. Die Coaches nicken, direkt per Funk gibt es Manöverkritik.

11.35 Uhr. Der Geiselnehmer ist am Ende, sein Ultimatum wirkungslos verpufft. Er kommt mit erhobenen Händen aus seinem Versteck. Blitzschneller Zugriff. So heftig, dass Heribert Kreuter gar „Stopp, Stopp“ schreiend dazwischen gehen muss. Aber er ist zufrieden: „Da konnten die Kollegen noch mal ordentlich Dampf ablassen“, sagt er und grinst ein wenig. Ist zwar eine Übung, aber eben doch kein Kinderspiel.

Erste Phase durchspielen

Das Überwältigen des Verbrechers stand nicht so sehr im Vordergrund der Großübung, an der auch Kräfte der umliegenden Behörden – Bochum, Dortmund, Essen und Münster – beteiligt waren. Das ist eher etwas für Spezialkräfte vom SEK. „Vielmehr“, sagte Gelsenkirchens Polizeisprecherin Stefanie Dahremöller, „ging es darum, die erste Phase eines solchen Szenarios realistisch durchzuspielen.“ Soll heißen: Von der Leitstelle aus müssen Einsatzkräfte angefordert, die Lage aufgeklärt, der Gefahrenbereich abgesichert oder auch Verletzte geborgen (und womöglich evakuiert) werden und so fort.

Die Anwohner rund um die Oskarstraße und die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung wurden gut eine Woche vorher per Handzettel von der Übung informiert.

Tatort an der Oskarstraße war das leerstehende Gebäude einer ehemaligen Schleckerfiliale. Die Straße selbst war über eine Strecke von gut 500 Metern gesperrt. Auch die Bogestra-Busse fuhren extra für die Übung Umwege.