Der Tag nach dem Amoklauf von Winnenden: Geradezu ritualisiert sind neuerliche Forderungen nach mehr Sicherheit, mehr Schulpsychologen, höherer Sensibilität. Was ist geschehen in Gelsenkirchen, das gestern halbmast flaggte, seitdem es in NRW-Notfall- und Amokpläne gibt, geben soll.
„Viel”, unterstreicht Georg Altenkamp, Leiter der Gesamtschule Berger Feld und Vorsitzender des Fachkreises Kinder/Jugend/Schule im Präventionsrat Gelsenkirchen. „Wir sind weit”, meint auch Michael Krause, Leiter der Gertrud-Bäumer-Realschule und will dies auch als Signal an die Eltern verstanden wissen.
Praktisch alle 96 Schulen haben seitdem konkrete Notfallpläne erarbeitet, die der Polizei vorliegen, wenn akute Gefahr drohen sollte. Die auch in den Schulen bereit liegen und präsent sind: Handy-Nummern der Lehrer, Sammelplätze für Schüler und Eltern, Codewörter für den Amok-Fall, Verhaltenskodex für Lehrer und Schüler (Klassen abschließen, weg von den Türen, Fenster frei halten etc.). „Das muss man dann aber auch üben und die Klassentür muss auch abschließbar sein”, betont zugleich Klaus Jüttner, Leiter beim Kommissariat Vorbeugung der Polizei. Stichwort Übung: Schon im April 2007 gab es im Beisein aller Schulleiter eine gemeinsame Amok-Übung für den Ernstfall mit der Polizei in der Gesamtschule Berger Feld. „Das muss sitzen wie eine Brandschutzübung”, so Altenkamp.
Soweit der Ernstfall, wenn es zu spät ist, wenn zu retten und zu sichern gilt, was zu retten und zu sichern ist. Und vorher? Die vielzitierte Prävention, die dem Gelsenkirchener Rat aus Polizei, Schulen, Stadt, Institutionen seinen Namen gab, das Sensibilisieren, das Wahrnehmen von Warnzeichen? Denn aus dem Nichts kam auch der erneute Amoklauf von Winnenden nicht, wie sich gestern herausstellte. „Es gibt immer Anzeichen und Hinweise der Täter, auf ihre subjektiv empfundene ausweglose Situation”, weiß Klaus Jüttner und drängt auf das Angebot der Fortbildung für Lehrer, dass Schulen diese eben erkennen. „Mit vielen Schulen arbeiten wir eng zusammen, mit anderen gar nicht”, sagt er. „Ein Lehrer allein ist hilflos”, setzt er auf das ganze Kollegium und auf die schulinternen Kriseninterventionsteams, die es überall geben soll. „Ich bin über jeden Lehrer froh, der mich anruft.” Was Jüttner damit auch sagt: Die Betreuung der Lehrer muss ausgeweitet werden.
Das verlangt auch Klaus Altenkamp von Schulen, von Lehrern – jenseits der Rufe nach mehr Psychologen oder Sozialarbeitern. Doch für mehr Fortbildung braucht der Präventionsrat mehr Kapazitäten, mehr Personal, mehr Mittel. „Wenn was passiert, dann sind die Behörden, die Öffentlichkeit bereit uns zu unterstützen. Wenn die Fortbildung dann in ein paar Monaten aber nicht läuft, haben wir versagt.”
Geschulte Lehrer braucht die Schule, um in ihr zu schaffen, was für Altenkamp zentraler Punkt ist und Stichworte wie Deeskalation, Mobbing-Warnsystem, Konflikttraining beinhaltet: „Das vertrauensvolle Schulkima.” Schüler, die „abdriften” können so frühzeitig erkannt und betreut werden. Altenkamp: „Es geht nicht um Strafe oder Verpetzen. Es geht um Hilfe; darum nicht zu schweigen oder zu tabuisieren.”
An vielen Schulen war der Amoklauf gestern Thema in den Klassen, im Unterricht. Am Berger Feld auch in eigens einberufenen Jahrgangskonferenzen, dann in den Klassen, wo auch an die Notfall-Verhaltensweisen erinnert wurde. Und wo Altenkamp „in den Augen der Kinder” sah, „dass sie ihre Rollen wahrnehmen wollen.”