Gelsenkirchen. Gelsenkirchener Musiker erinnert sich an seine Wurzeln und betreibt ein Projekt über Weggefährten von einst. Ergebnisse stehen online.
„Meine Stadt ist kein Knüller in den Reisekatalogen.“ So schrieb es einst Ilse Kibgis. Bis heute sollte sie mit ihrer Einschätzung richtig liegen. Und doch ist es dieser Satz, sind es die vielen Sätze der örtlichen Arbeiterliteraten, die überraschend Weltruhm erlangen sollten. Denn weitgehend unbemerkt von der Gelsenkirchener Öffentlichkeit hat das Schaffen des „Werkkreises der Literatur und Arbeitswelt“ in der internationalen Literaturwissenschaft einen festen Platz eingenommen. Nun widmet sich ein neues Projekt des hiesigen Musikers Norbert Labatzki den Autoren und ihren Arbeiten.
Die örtliche Volkshochschule ist 1982 die Wiege der Bewegung, in der immer mehr Arbeiter zum Stift greifen, schreibend ihr Leben in einer Ruhrgebietsstadt dokumentieren, die sich im Wandel befindet. „Es war bis dahin das erste Mal, dass Menschen über ihre Arbeitswelt Literatur verfassen“, weiß Labatzki, der einst durch Zufall darauf aufmerksam wird, wie angesehen die Arbeiterliteraten in der Welt sind. „Ich lernte jemanden kennen, der seine Doktorarbeit darüber geschrieben hat. Als ich dann erzählte, dass ich diese Menschen alle kannte, sie begleitet habe, wurde derjenige ganz ehrfurchtsvoll“, schildert der Musiker die für ihn außergewöhnliche Situation.
Gelsenkirchener waren als politische Liedermacher unterwegs
In den 80er Jahren wird er als junger Straßenmusiker von Kalle Gajewski angesprochen, einem politischen Liedermacher aus Gelsenkirchen. Die beiden tun sich zusammen als „Duo Zündholz“, vertonen zahlreiche der Texte von Ilse Kibgis, Richard Limpert und den vielen anderen Arbeiterliteraten. Das passt in die Zeit: „Wir haben mit richtig bekannten Liedermachern auf der Bühne gestanden, haben deutschlandweit gespielt. Dann haben wir sogar Filmmusik gemacht für einen Film über Richard Limpert. Das war eine unglaubliche Zeit“, so Labatzki.
Die Arbeit der beiden Liedermacher aus Gelsenkirchen findet so viel Beachtung, dass die beiden sogar auf eine Konzertreise in die damalige UdSSR eingeladen werden. Jene führt sie bis nach Sibirien. 1992 ist dann Schluss damit. Das Duo trennt sich. „Politische Lesungen waren aus der Mode gekommen.“ Im Repertoire Labatzkis bleiben die Lieder aber, werden immer mal wieder bei Konzerten gespielt.
Zusammenarbeit mit Fritz Eckenga scheitert aufgrund fehlender Zeit
Vor einigen Jahren dann erinnert sich der Musiker wieder öfter an diese alten Zeiten. „Ich habe Fritz Eckenga in Düsseldorf getroffen. Da hat er ein recht politisches Programm gemacht und ich habe ihm von meiner Idee erzählt, mit einem eigenen Format an die Arbeiterliteraten zu erinnern.“ Das will man daraufhin eigentlich gemeinsam angehen. Doch es fehlt die Zeit.
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„Als dann Corona kam, gab es eine Ausschreibung des Landes. Da habe ich mich mit dieser Idee beworben.“ Mit Erfolg. Seither arbeitet Labatzki an neuen Vertonungen der alten Texte. „Damit es nicht so ein sehnsuchtsvolles und rückwärtsgewandtes Programm wird, habe ich entschieden, die Texte zeitgerecht zu vertonen und so die Brücke zu schlagen von der damaligen Zeit in die heutige.“ Ein weiterer Aspekt: die wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Biografien. Für jene hat der Musiker die Journalistin Astrid Bäcker gewonnen.
Wann der "Abend der Arbeiterliteraten" steigen kann, steht noch nicht fest
Das Ergebnis soll ein 90-minütiger Abend werden, der zugleich die Arbeiterliteraten persönlich und auch ihre Werke vorstellt. Musikalisches trifft auf Gelesenes und wird ergänzt durch Bildmaterial und Persönliches. „Dieser Abend wendet sich an Menschen, die literarisch interessiert sind“, erklärt Labatzki. Wann er diesen zum ersten Mal vor Publikum präsentieren kann, steht jedoch aufgrund der andauernden Corona-Pandemie noch in den Sternen.
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Weil Labatzki nicht planen kann, wann der Abend der Arbeiterliteraten seine Premiere feiern wird, lässt er interessierte Menschen schon jetzt an dem Projekt teilhaben. Wann immer ein Text neu vertont ist, spielt er ihn mit seinem Trio ein und publiziert ihn auf der Internet-Plattform YouTube. Hier stehen aktuell fünf Lieder online, zwölf sollen es am Ende werden. Über eine CD-Veröffentlichung denkt der Musiker derzeit noch nach.