Essen./Gelsenkirchen. Zehn Jahre Haft: Das ist das Urteil für zwei Afghanen aus Gelsenkirchen, die nach politischem Streit einen Landsmann getötet hatten.

Bis zu zehn Jahre Haft müssen zwei Afghanen aus Gelsenkirchen verbüßen, weil sie nach einem politischen Streit einen Landsmann aus Düsseldorf bei einer Schlägerei erstochen hatten. Das Essener Schwurgericht sah in seinem Urteil am Mittwochabend aber keinen Tötungsvorsatz und verurteilte sie nach 18 Verhandlungstagen wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Ein dritter Angeklagter, der Münchner Sayed Nasim S. (33) bekam wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zwei Jahre und vier Monate Haft, kam nach über einem Jahr Untersuchungshaft aber vorerst auf freien Fuß.

Keine gewöhnlichen Kriminellen

Es sind keine gewöhnlichen Kriminellen, die sich seit dem 15. September 2021 auf der Anklagebank im Landgericht Essen verantworten müssen. Politisch engagiert sind sie, beteiligten sich im Internet an Diskussionen über die politische Lage in ihrer Heimat -  auch, als sie seit 2015 in Deutschland lebten.

Richter Jörg Schmitt nannte es eine Art Tragik, dass Täter wie Opfer eigentlich im selben Lager waren: "Sie waren alle gegen die Taliban, auch der Getötete." Allerdings stritten sie um ihr Verhältnis zu dem afghanischen Volkshelden Ahmad Shah Massoud.

Streit um Nationalhelden

Das spätere Opfer, der 18 Jahre alte Mujtaba A. aus Düsseldorf, hatte dem Gelsenkirchener Abdelmaqsoud N. (33) vorgeworfen, im Internet mit einer Kopfbedeckung des Helden aufzutreten, obwohl er "nur" aus einem Nachbarort von Massoud stamme. "Kinderkram" nannte Richter Schmitt angesichts der Folgen diesen Streit.

Für den Abend des 15. Januar hatten der Düsseldorfer, der sich Verstärkung geholt hatte, eine Aussprache in Gelsenkirchen vereinbart. Zeugen hatten davon gesprochen, dass sie gemeinsam eine Tasse Tee hätten trinken wollen. Das wies das Schwurgericht zurück. Angesichts der heftigen Beschimpfungen zwischen den Gruppen im Internet mit vulgären Ausdrücken hätte es wohl nur um eine körperliche Auseinandersetzung gehen können.

18-Jähriger starb an Stich in den Bauch

Gegen 22 Uhr trafen die beiden Seiten auf dem Aldi-Parkplatz in Buer zusammen. Ein Wort gab das andere, es kam zu Handgreiflichkeiten. Plötzlich erlitt der 18 Jahre alte Afghane aus Düsseldorf eine Bauchverletzung mit dem Messer, an der er vor Ort starb. Zwei weitere Männer aus seiner Gruppe wurden ebenfalls getroffen und schwer verletzt.

Staatsanwältin Sonja Hüppe hatte ursprünglich Mord angeklagt, war davon aber selbst abgerückt. Die Kammer ging im Urteil davon aus, dass Farddim N. (29) ein Messer dabei hatte und der andere Gelsenkirchener davon wusste. Deshalb rechnete das Gericht ihnen die Körperverletzung mit Todesfolge zu. Unklar blieb, wer gestochen hatte. Richter Schmitt: "Wir wissen nicht, wer Herrn A. getötet hat." In die zehn Jahre Haft flossen zudem die beiden gefährlichen Körperverletzungen an den anderen Männern ein.

Angeklagter beschwert sich lautstark

Farddim N. hatte sich mitten in der Urteilsbegründung lautstark beschwert: "Ich habe nichts getan." Auf Zureden des Richters und umringt von mehreren Justizwachtmeistern setzte er sich wieder und hörte sich den Rest der Begründung ruhig an.

Eine besondere Rolle nahm der Münchener Sajed Nasim S. ein. Der 33-Jährige hatte in Afghanistan eine Vertrauensposition bei der Nato und der Bundeswehr eingenommen. Weil er als gefährdet galt, hatte die Bundesrepublik ihn 2014 nach Deutschland geholt. In München hatte er sich stark in der Flüchtlingshilfe engagiert und war als Sozialarbeiter tätig.

"Zur falschen Zeit am falschen Ort"

Ihm nahm die Kammer ab, dass er von dem Messer nichts gewusst habe und von einer Schlägerei ausgegangen sei. Er selbst hatte das in seinem letzten Wort angesprochen: "Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort mit den falschen Leuten."

Richter Schmitt richtete ein persönliches Wort an den 33-Jährigen: "Ich hoffe, dass Sie sich mittlerweile schämen." Darauf nickte Sajed Nasim S. zustimmend.