Gelsenkirchen. Tenor Mario Brell kehrt zum 60. Geburtstag des Musiktheaters im Revier nach Gelsenkirchen zurück. Seine Rolle: ein durchgeknallter Ex-Liebhaber.
Diese große Liebe, die ihm die Menschen in diesen Tagen entgegenbringen, macht ihn fast ein wenig verlegen. „Das überrascht mich sehr, dass sich so viele Gelsenkirchener noch so gut an mich erinnern“, staunt der 83-jährige Operntenor Mario Brell bescheiden. Fast ein Vierteljahrhundert lang stand der gebürtige Hanseat seit 1973 auf der Bühne des Musiktheaters im Revier, feierte hier als musikalischer Tausendsassa fulminante Erfolge und prägte als Sängerpersönlichkeit das Profil des Opernhauses mit. Jetzt kehrt er zum 60. Geburtstag des Hauses zurück auf die Bühne – und singt.
Kein Wunder, dass die Reise ins Revier für den heutigen Wahl-Berliner so etwas wie eine Heimkehr ist: „Es ist ein tolles Gefühl, hierher zurückzukommen. Ich bin sehr glücklich.“ Ob von Menschen im Orchestergraben, von Technikern, von Leuten auf der Straße oder in den Läden: Mario Brell wird noch immer erkannt und herzlich begrüßt. „Gestern umarmte mich der Apotheker!“ In Brells Augen funkelt Freude.
Malerpinsel gegen Notenblätter getauscht
Dabei kam er im Jahre 1973 als recht unbeschriebenes Blatt ins Revier. Aufgewachsen im Kriegs- und Nachkriegsdeutschland begann er zunächst eine Malerlehrer und arbeitete einige Jahre in dem Beruf. Im Chor entdeckte man schließlich sein sängerisches Talent. „Ich hatte von Anfang an ein müheloses hohes C.“ Er sang in der Staatsoper Hamburg vor, hängte danach das Handwerk an den Nagel, begann eine Gesangsausbildung und startete seine Laufbahn am Theater im fränkischen Hof: „Ein kleines Haus, an dem ich alles gelernt habe, was ein Künstler wissen muss.“ Bis heute, lächelt er, könne er sich selbst schminken.
Ein gefeierter Wagner-Darsteller
1973 ereilte Mario Brell schließlich der Ruf nach Gelsenkirchen. Man suchte einen strahlenden Operetten-Helden und fand ihn im sympathisch-attraktiven Hamburger. Brell erinnert sich an eine Bedingung: „Ich sollte keinen Anspruch darauf erheben, Oper zu singen.“ Er sollte sie singen, und zwar schon bald. Und wie! Am Musiktheater entwickelte sich der Tenor zum gefeierten Charakter- und Wagner-Darsteller. „Die Operette habe ich dann geschmissen, das Genre war damals eher als seicht verpönt.“ Stattdessen „Tannhäuser“, „Parsifal“ und immer wieder „Lohengrin“. Aber auch Janacek, Mozart, Henze, Busoni, Smetana und vieles mehr, auch auf vielen großen Bühnen.
Autobiografie titelte Brell nach einem Lohengrin-Zitat
Seine Leidenschaft gilt der Musik Richard Wagners, „nicht der Hysterie Bayreuths“. Seine Autobiografie titelte Brell nach einem Lohengrin-Zitat „Drum sei bedankt“.
Dankbar ist Mario Brell für seinen Weg („Ich habe ihn nie bereut“) und für seine Zeit in Gelsenkirchen. Das aktuelle Ensemble dort sei einfach großartig. Stärke findet er bis heute im Glauben: „Mein großer Gottglaube hat mich durch dieses wirklich tolle Leben getragen.“ Ließ ihn auch 1997 eine schwere Erkrankung durchstehen. Und das Glück einer Rückkehr auf die Gelsenkirchener Bühne erleben.
Stimmpflege auch durch viel Sport
Seine Stimme pflegte Mario Brell ein Leben lang penibel, nahm immer Gesangsunterricht, hielt sich mit Sport fit: „Ich singe schließlich mit dem ganzen Körper.“ Richtig gut sei er, wenn die Stimme mühelos vom zartesten Pianissimo bis zum kräftigsten Forte anschwellen könne.
Dass seine Frau derzeit erkrankt ist und nicht zur Premiere aus Berlin anreisen kann, das macht dem Vater von vier Kindern zu schaffen. Dennoch gilt für den bis heute hoch motivierten und disziplinierten Profi: pauken, proben, konzentrieren. Bis der Vorhang aufgeht.
Eine Rolle als abgehalfterter Operettensänger
Das Publikum kann Mario Brell ab 7. Dezember in der Oper „Die Sache Makropulos“ von Leos Janácek in der Regie von Dietrich Hilsdorf erleben. Auch der ein häufiger und erfolgreicher Gast am MiR. Mario Brell bleibt bescheiden: „Nur eine kleine Rolle als abgehalfterter Operettensänger und durchgeknallter Ex-Liebhaber.“
Auch wenn das MiR als begehrtes „Sprungbretttheater“ irgendwann immer wieder großartige Sänger ziehen lassen musste, zeigt das Engagement doch: Die Stadt vergisst ihre großen Künstler nicht.