Essen. Auf der Wahlparty der SPD im Bürgertreff Überruhr weicht Ernüchterung der Erleichterung. Essens Sozialdemokraten verteidigen zwei Wahlkreise.
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Essens Sozialdemokraten haben Humor. Im Bürgertreff in Überruhr steigt seit einigen Jahren die Mau-Mau-Nacht, die schrägste Karnevalssitzung der Stadt. An der Decke hängen bunte Girlanden, an den Wänden jecke Motive. Den Bürgertreff hat sich die SPD für ihre Wahlparty ausgeguckt. Dabei war angesichts der Umfragen klar, dass es an diesem Abend nicht viel zu lachen geben würde.
„Ich habe schon befürchtet, vielleicht stehen wir mit fünf Männeken da“, sagt Albert Ritter, Vorsitzender des Schaustellerverbandes und Direktkandidat im Süd-Wahlkreis. Gekommen sind dann doch ein paar mehr; etwa 100 Genossinnen und Genossen haben sich im Bürgertreff versammelt.
Die anwesenden Genossinnen und Genossen nehmen die Prognose fast schon gelassen hin
Als um 18 Uhr auf der Großbildleinwand die Wahlprognose erscheint, nehmen sie das ernüchternde Ergebnis fast stoisch gelassen hin. Ein enttäuschtes „Ohhh“ schallt durch den Saal, weil die Meinungsforscher die FDP mit fünf Prozent so gerade noch im Bundestag sehen. Applaus brandet auf, als der Balken für die Linke bei neun Prozent stehen bleibt. Im Laufe des Abends sollen sich diese Zahlen noch verändern.
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Die SPD kommt bundesweit nicht über 16,4 Prozent hinaus. Lag es am Spitzenkandidaten? Dass Olaf Scholz kein Menschenfischer ist, war jedem klar. Annette Assenmacher, seit 23 Jahren SPD-Mitglied, hält dem scheidenden Kanzler zugute, dass er das Land nach Russlands Überfall auf die Ukraine gut durch die Energiekrise geführt habe: „Wir hatten es alle warm in Winter.“ Katja Andor, seit 50 Jahren in der SPD, findet, Scholz werde ungerecht bewertet, die Schuld für das Scheitern der Ampel sieht sie bei der FDP. Nicht bei allen kommt Scholz so gut weg. „Ich habe nicht für Olaf Scholz Wahlkampf gemacht“, sagt eine Genossin.
Albert Ritter, Direktkandidat im Süden, macht sich keine Illusionen: „Der Bundestrend ist gegen mich“
Welchen Anteil der Kanzler an dieser krachenden Niederlage gehabt hat, wird die Partei noch beschäftigen. Essens SPD-Chef Frank Müller will sich mit dem Wahlergebnis aber lieber gar nicht lange aufhalten. „Was hilft es jetzt, die Wunden zu lecken“, sagt Müller. Dass der Süd-Wahlkreis an die CDU gehen wird, zeichnet sich da bereits ab. Bei der Wahl vor vier Jahren lagen gerade einmal 0,7 Prozent zwischen Matthias Hauer von der CDU und seinem Herausforderer Gereon Wolters. Diesmal ist der Abstand größer, auch wenn noch nicht alle Stimmbezirke ausgezählt sind.
Albert Ritter macht sich keine Illusionen: „Der Bundestrend ist gegen mich.“ Er habe kandidiert, nicht, weil er Berufspolitiker werden wollte, sondern, um denen auf der Berliner Bühne mitzuteilen, was draußen auf den Straßen los ist, welche Sorgen und Nöte die Menschen haben. Im Wahlkampf habe das Thema Innere Sicherheit vieles überlagert, berichtet Ritter. Die SPD sieht er gerade dafür in Essen gut aufgestellt. „Die beiden anderen Kandidaten sind schließlich Polizisten.“
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Im Wahlkreis Essen/Mülheim liegt Sebastian Fiedler, ein ehemaliger Polizeigewerkschafter vorne. Im Nordwahlkreis könnte es für Ingo Vogel, Polizeibeamter von Beruf, reichen. Das zeichnet sich im Laufe des Abends mehr und mehr ab. Mit jedem Stimmbezirk, der an den Vorsitzenden der SPD-Ratsfraktion geht, steigt die Stimmung im Saal. Zur Schau getragene Gelassenheit ist längst nervöser Anspannung gewichen. Hektisch werden auf Mobiltelefonen die Ergebnisse aktualisiert.
Julia Klewin lässt keinen Zweifel daran, welche Bedeutung der Wahlausgang gerade im Norden für Essens Sozialdemokraten hat. Sollte der Wahlkreis verloren gehen, „wäre das der Super-Gau“, räumt Klewin mit Blick auf die Kommunalwahl im September ein, wenn sie als Oberbürgermeister-Kandidatin Amtsinhaber Thomas Kufen herausfordern wird. Sorgenvoll blickt Klewin aber eher auf den hellblauen Balken der AfD, der immer wieder nach oben ausschlägt. „Das ist ein Ergebnis, dass ich so nicht haben möchte“, sagt sie. Nicht im Bund und nicht in Essen.
Am Ende des Abends steht fest: Dieser Tag hätte für Essens Sozialdemokraten schlechter enden können
Schließlich geht Ingo Vogel tatsächlich als erster über die Ziellinie. Die nervöse Anspannung im Saal weicht verhaltener Freude. „Das ist sehr erleichternd, auch wenn es ein schwarzer Tag für die SPD bundesweit ist“, sagt Vogel. Sebastian Fiedler siegt im Nord-Westen. Zwei der drei Wahlkreise gehen damit an die SPD. Ob beide Kandidaten auch in den Bundestag einziehen werden, steht noch nicht fest. Ab soviel ist klar: Der Tag hätte schlechter enden können für Essens Sozialdemokraten.
Frank Müller schöpft aus dem Ergebnis Mut für den anstehenden Kommunalwahlkampf, dem sich seine Partei ab Montag ganz widmen werde. „Das Rennen ist offen“, sagt Müller. Wer bessere Stimmung im Bürgertreff in Überruhr erwartet hat, muss auf die Mau-Mau-Nacht am Karnevalsamstag bauen. Nur: Die Sitzung ist wie immer längst ausverkauft.
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