Essen. Für viele städtische Mitarbeiter in Essen soll laut Ordnungsdezernent Kromberg eine mögliche „Zweitverwendung“ im Katastrophenfall definiert werden.
Zu Zeiten der Blockkonfrontation Im Kalten Krieg und noch bis in die 1990er Jahre hatte der städtische Zivil- und Katastrophenschutz eine hohe Bedeutung. Dann griff auch hier wie bei der Bundeswehr die so genannte „Friedensdividende“: Die Gefahr schien für immer vorüber, Personal- und sonstige Ressourcen wurden nach und nach umverteilt und auf andere Aufgaben konzentriert. Russlands Angriffskrieg hat dann aber klar gemacht, dass die Welt ein gefährlicher Ort geblieben ist. Als Konsequenz will die Stadtspitze in Essen jetzt das Thema Zivilschutz wieder deutlich stärker auf die Tagesordnung setzen - auch durch neue Pflichten für viele Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
Um bei einem Kriegs- oder Katastrophenfall nicht beim Personaleinsatz hektisch improvisieren zu müssen, sollen die Alltagsaufgaben der Stadtverwaltung klar priorisiert und die Mitarbeiter im Ernstfall umgruppiert werden. Die Leitfrage formuliert Ordnungsdezernent Christian Kromberg so: „Was muss auf jeden Fall weiterlaufen und was kann auch mal eine kurze Zeit ausfallen oder über längere Zeit reduziert werden.“ Es liegt nahe, dass die Arbeit beispielsweise des Ordnungsamtes oder der IT-Spezialisten des Essener System Hauses (ESH) gerade in der Krise unentbehrlich sind. Andere Aufgaben, etwa aus dem Kultur- und Baubereich, könnten hingegen auch einmal ausgesetzt werden, ohne dass die Stadt gleich zusammenbräche.
Im Notfall gibt es im Stadtgebiet 18 „Informationspunkte“ mit Personalbedarf
Diese Mitarbeiter sollen dann laut Kromberg für eine so genannte „Zweitverwendung“ eingeteilt werden, zu der sie die Stadtspitze dann im Krisenfall abordnen kann. Das könnte zum Beispiel Dienst an einem Bürgertelefon sein, wie es während der Corona-Pandemie praktiziert wurde. Eine andere Aufgabe wäre die Arbeit an den „Notfall-Informationspunkten“, die an 18 Standorten in der Stadt installiert werden müssen und mit Personal zu besetzen wären. Auch ein zentraler Krisenstab, der im Ernstfall rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche arbeitet, habe einen hohen Personalbedarf.
Insgesamt spricht Kromberg von „mehreren tausend städtischen Mitarbeitern“, die auf diese Weise neben ihrem Hauptjob noch eine zweite Aufgabe erhalten sollen - wobei die Qualifikation dafür erst einmal in Schulungen erworben werden muss. „Den Umgang mit Bürgern in Krisensituationen muss man lernen“, sagt Christian Kromberg. Dabei gehe es auch um die Themen Selbstschutz und Resilienz, also die Kraft zu entwickeln, psychische Belastungen im Grenzbereich auszuhalten.
Programm für die Rekrutierung von freiwilligen Katastrophenschutzhelfern
Ins Leben rufen will die Stadt auch ein spezielles Programm zur Rekrutierung von Katastrophenschutzhelfern, die im Notfall auf freiwilliger Basis einsetzbar sind. Dem Ordnungsdezernenten schwebt eine Anzahl von 300 bis 500 Helfern vor, die ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu den Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz aufgebaut werden sollen.
Ganz neu ist das übrigens nicht: In den Zeiten, als es noch Wehr- und Zivildienst gab, verfügte das damalige Amt für Katastrophenschutz (Stadtamt 38) über einen festen Stamm jüngerer Helfer, die ihren Zivildienst über zehn Jahre gestreckt bei der Stadt absolvierten und neben Berufstätigkeit oder Studium für regelmäßige Übungen herangezogen wurden. So etwas ähnliches schwebt Kromberg vor, wobei unter den heutigen Bedingungen keine Altersbegrenzung erforderlich sei: „Warum sollen beispielsweise 65-jährige Rentner nicht ein Bürgertelefon bedienen?“
Mit dem Katastrophenschutzbedarfsplan, der nicht zuletzt unter dem Eindruck der Hochwasser-Katastrophen der letzten Jahre entstand, verfüge die Stadt Essen über eine rechtliche und konzeptionelle Grundlage. Darauf will der Ordnungsdezernent aufbauen. Die Zahl der hauptamtlichen städtischen Mitarbeiter, die sich mit dem Thema beschäftigen, beträgt laut Kromberg mittlerweile wieder 15, nachdem nach der Abwicklung des alten Stadtamts 38 nur noch ein einziger Mitarbeiter übrig geblieben war.
„Verteidigungsfähigkeit ist mehr als die Bundeswehr“, betont Kromberg. Der Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung im Krisenfall gehöre zu den Aufgaben, die von einer Stadt wahrzunehmen sind - immer in der Hoffnung, dass der Ernstfall zwar niemals eintreten möge, aber man eben vorbereitet sein muss.