Essen. Seniorenheim-Bewohner verwandeln sich in Meisterwerke der Kunstgeschichte. 90-Jährige wird zur „Mona Lisa“. Wie die aufwendigen Motive entstehen
Als Marilyn Monroe 1962 mit gerade einmal 36 Jahren aus dem Leben schied, war Hildegard Hutschenreuther eine junge Frau von Anfang 30, kaum jünger als die wohl größte Popikone des 20. Jahrhunderts. 62 Jahre hat sie die Monroe überlebt, um nun selbst in die Rolle des Filmstars zu schlüpfen. Die 94-jährige Essenerin gehört zu den Seniorinnen und Senioren, die sich am Kalender der Essener Contilia-Gruppe beteiligen. Das Projekt hat der Seniorenheim-Betreiber vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Jedes Jahr aufs Neue sorgen die Organisatoren mit viel Kreativität und hohem Aufwand für einen besonderen Jahresweiser, der seine Aufnahmen unter ein bestimmtes Thema stellt. In diesen Tagen werden die Kalender wieder an die Heimbewohner und ihre Angehörigen verteilt.
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Im vergangenen Jahr stellten Essener Senioren vor der Kamera bekannte Filmszenen nach, wie die legendäre Flughafen-Szene aus „Casablanca“. Diesmal sind die Aufnahmen berühmten Gemälden nachempfunden. August Mackes „Frau auf Balkon“ ist ebenso dabei wie Alexej von Jawlenskis „Dame mit Fächer“. Und natürlich Andy Warhols ikonisches „Marilyn“-Porträt.
Für das Fotoshooting trägt Hildegard Hutschenreuther an diesem Vormittag eine weizengelbe Perücke und eine türkisfarbene Bluse. Etwa so, wie Warhol seine Marilyn in den 1960ern in seiner berühmten Siebdruck-Serie auf die Leinwand bannte. Auf den Bildern, die fast jeder kennt, ist Marilyn eine makellos-geschminkte, für immer jung gebliebene Blondine. In Essen hat sie über die Jahre auch ein paar Falten bekommen dürfen und erscheint nun sogar mit dem Rollator beim Fototermin, um etwas später jenen verführerischen Blick zu versuchen, den sich Fotograf Christian Deutscher für die Aufnahme wünscht. „Wissen Sie, junger Mann, mein Mann ist schon lange tot und Sie würden ja auch nicht mit mir ausgehen“, lächelt die 94-Jährige schlagfertig zurück. Dann wird noch mal gepudert und am Lockenkopf gezupft.
Schließlich soll das Ergebnis möglichst perfekt und nah dran sein am Original. Auch wenn Jan Vermeers berühmtes „Mädchen mit den Perlenohrringen“ in Essen mittlerweile eine schon etwas betagtere Dame von 91 Jahren ist. Und Picassos „Kind mit Taube“ gerade auf den 86. Geburtstag zusteuert.
Einmal im Leben als „Mona Lisa“ erscheinen
Wichtig sei, dass sich die „Modelle“ wohl fühlen und auch etwas mit dem Thema anfangen können, erklärt Katja Grün, die das Projekt für die Contilia begleitet. Und natürlich sei es auch hilfreich, wenn eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Bildmotiven und ihren älteren Wiedergängern bestehe. Für die detailgetreue Aufmachung sind dann professionelle Kräfte wie Friseurmeisterin Petra Pierburg zuständig, die Karin Behrens Haupthaar gerade für das Picasso-Motiv „Kind mit Taube“ mit orangebrauner Haarfarbe bearbeitet. „Als hätte ich eine Badekappe auf“, lacht die Bewohnerin des Martin-Luther-Quartieres in Dellwig, während Maskenbildnerin Marie Reyter schon mit Puder und Quaste zugange ist.
Reyter arbeitet sonst auch in der Maske des Düsseldorfer Schauspielhauses und weiß, wie man nicht nur mit Make-up und Lippenstift, sondern auch mit Lampenfieber umgeht. Schließlich ist so ein Auftritt im Fotostudio für alle Beteiligten nicht nur eine organisatorische Herausforderung und Ausnahmesituation, sondern auch eine absolute Bereicherung. Wer möchte in seinem Leben schließlich nicht einmal als „Mona Lisa“ ins Bild gesetzt werden?
„In der Nacht vorher schlafen alle schlecht“, weiß Katja Grün von der Contilia, die im Vorfeld des aufwendigen Foto-Shootings auf ausgedehnte Requisiten-Jagd geht. Die schweren, glitzernden Ohrringe für das Marilyn-Motiv gehören ebenso dazu wie die kunstvoll bedruckte Bettwäsche, unter der sich die beiden Seniorenheim-Bewohner Monika Schönfisch und Hans-Hermann Dahms für Gustav Klimts „Kuss“ wiederfinden.
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Selbst der Hintergrund der nachgestellten Meisterwerke ist von den Contilia-Mitarbeitern und Bewohnern möglichst originalgetreu nachgearbeitet worden. Damit Claude Monets „Frau mit Schirm“ nicht einfach nur einsam in der Landschaft steht, hat Katja Grün mit geradezu impressionistischer Finesse einen blassblauen Sommerhimmel getupft. Und Seniorenheimbewohnerin Christa Rose spannt nun mit verträumtem Blick vor weißgrauen Wölkchen die Flügel, als wäre sie „Der rechte Engel der Sixtina“ von Raffael.
Ein himmlisches Motiv, das auch dazu passt, das Frau Rose am 24. Dezember Geburtstag hat und somit ein Christkind ist. „Engelchen, aber auch Bengelchen“, lacht die 83-Jährige, während sie auf ihren Einsatz wartet. „Man hat mich gefragt. Und solange ich mich noch bewegen kann, mache ich alles mit“, hat die Seniorin gut gelaunt beschlossen, die heute im Martin-Luther-Quartier in Dellwig lebt. Früher hat Christel Rose beim Karneval in der Bütt gestanden, nun sorgt sie im Fotostudio von Christian Deutscher für ein bisschen Aufheiterung, bevor auch sie in die Maske muss.
Hildegard Hutschenreuther ist nach dem Marilyn-Auftritt derweil fast ein bisschen in aufgekratzter Champagnerstimmung. Am Ende ist es dann aber doch nur ein Glas alkoholfreier Sekt, um mit Tochter Birgit anzustoßen. Der Kreislauf, das gilt beim Fotoshooting wohl für alle, ist vor der Kamera ohnehin schon ordentlich in Schwung gekommen.
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