Essen-Huttrop. Essen hat einen neuen Ort für Kreativität: Atelier öffnet die Türen zu einer Welt der schrägen Kunstwerke und originellen Ideen.
Seit Ende September bereichert ein ungewöhnlicher Kunstort die Essener Kulturszene: „Polychrom“, ein Atelier mit Ausstellungsbereich, hat in der Herwarthstraße 59 am Ostfriedhof eröffnet. Hier präsentieren Holger Krüssmann und Marie Deutschewitz spannende Collagen und Decollagen mit einem besonderen Fokus auf historische Materialien und ungewöhnliche Kombinationen. Im Gegensatz zu einer klassischen Galerie ist „Polychrom“ ein offenes Atelier, das immer dann zugänglich ist, wenn die Künstler vor Ort sind.
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Manches, was hier an der Wand hängt, auf dem Tisch liegt, in der Ecke lehnt, wirkt schon etwas schräg. Zerrissen und zusammengefügt, passend unpassend – so könnte man die Auswahl beschreiben: Da finden sich etwa zwei Heiligenbilder, auf dem Maria eine Flasche wie ein Neugeborenes hält – wahlweise Maggi oder Henkel trocken, beides Marken-Ikonen der 70er- und 80er-Jahre. Da sind diese kleinen Bilderrahmen mit dreidimensionalem Inhalt aufgereiht – in einem davon sind vor dem Hintergrund einer Zeichnung aus einem alten Medizinbuch kleine Fläschchen aus einer Puppenstube drapiert. Und sind da Falco oder auch Christian Bale, die aus Collagen hervorlugen, entstanden aus den Fetzen alter Konzert- und Kinoplakate.
Essener Künstler bieten Einblicke in ihre Arbeit
Das alles muss man mögen. Tatsächlich begegnen sich im Atelier zwei ganz unterschiedliche künstlerische Ansätze. Deutschewitz ist in der klassischen Collage zu Hause: Verstaubte Modekataloge der 1950er- bis 1970er-Jahre und historische Bücher werden zum Ausgangspunkt für ironische, manchmal absurde Interpretationen gesellschaftlicher Themen rund um Kirche, Frauen und Gesellschaft. „Das sind Themen, die mich beschäftigen, sei es mit einem ernsthaften oder auch mit einem lächelnden Auge“, erklärt sie.
Zwei halbe Gesichter, eines in Farbe, eines in Schwarz-weiß, beide akribisch mit dem Skalpell ziseliert, vereint sie zu einem neuen. Damen aus Modekatalogen werden, auf riesigen Schlangen sitzend, von einer Flasche Haarspray dominiert, um das klassische Frauenbild auf die Schippe zu nehmen. Und eine Glückwunschkarte zeigt ein Hochzeitspaar, er mit Frack und Hut, sie im weißen Kleid, mit der Aufschrift „Glücklich entmündigt“ – Nostalgie trifft auf subversiven Humor.
Krüssmann dagegen widmet sich in der Decollage – inspiriert von der Pop-Art-Bewegung der 1950er Jahre – und tobt sich mit grob gerissenen Plakaten aus. „Das derzeitige Wetter ist genau meine Zeit“, beschreibt er seinen Ansatz. „Wenn die feuchten Plakate abblättern und im Wind flattern, dann kann ich die gerissenen Schichten von Litfaßsäulen abziehen wie archäologische Fundstücke.“ Aus diesen Einzelteilen sammele er sich „einen Steinbruch“, aus dem er schöpfen könne. Die Spuren urbaner Kultur werden so in seinen Arbeiten neu zusammengesetzt, mal als Decollage, mal als großformatige Leinwanddrucke.
Kunst in ehemaliger Huttroper Fahrschule
„Polychrom“ ist mehr als ein Ort zur Kunstpräsentation. Es ist ein lebendiges Atelier, das Arbeiten und Schaffensprozesse transparent macht. Wie Krüssmann erklärt, entstand die Idee, den neuen Standort zu beziehen, während eines Spaziergangs mit dem Hund: „Wir haben die leerstehende ehemalige Fahrschule entdeckt und uns ein Herz gefasst.“ Die hellen Räumlichkeiten mit großen Schaufenstern wirken einladend, die zentrale Lage nahe der Steeler Straße und des Elisabeth-Krankenhauses sorgt für Sichtbarkeit.
Wer „Polychrom“ live erleben möchte, hat an den beiden verbleibenden Adventswochenenden Gelegenheit dazu: Beim „ARTvent 2024“ ist jeweils samstags und sonntags zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet, es gibt Collagen, Decollagen, Unikate, Grußkarten und vieles mehr – präsentiert bei Kaffee und Gebäck. Der Termin könnte kaum besser gewählt sein, um in entspannter Atmosphäre Geschenke mit künstlerischem Anspruch zu entdecken.
Essener kooperieren mit Berliner Künstlern
Doch „Polychrom“ blickt über den Advent hinaus. Für das kommende Jahr planen Krüssmann und Deutschewitz diverse Kooperationen. Bei „Kunst im Quartier“ sollen Menschen aus der Nachbarschaft in einem kuratierten Verfahren eine künstlerische Chance erhalten. „Wir begreifen uns auch als Brückenschlag zwischen Südviertel, Moltkeviertel und der Steeler Straße“, sagt Krüssmann. „Da ist ja kulturell einiges im Gange, was nach Kooperation ruft. Und wir sind hier in der Nachbarschaft sehr gut aufgenommen worden und wollen über unser Angebot auch den Stadtteil aufwerten.“
Dabei liege ein besonderer Fokus auf dem Austausch – und das nicht nur im Lokalen: Mit Verbindungen nach Berlin soll „Polychrom“ ein Netzwerk knüpfen, das weit über den Essener Süden und Osten hinausreicht. Dabei hilft Krüssmann eine reiche Erfahrung in der Ausstellungsarbeit – immerhin hat er einst in seiner 20-jährigen Tätigkeit als Betreiber des Rüttenscheider Café Click etwa 120 Ausstellungen kuratiert.
Mit „Polychrom“ schaffen Krüssmann und Deutschewitz einen Raum, der Kunst nicht nur erlebbar, sondern auch nahbar macht. Besucher sind eingeladen, sich von den Arbeiten inspirieren zu lassen – oder einfach auf einen Plausch vorbeizukommen. Denn hier gilt das Prinzip: „Wenn der Künstler da ist, ist geöffnet.“
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