Essen. Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist zuletzt stark angestiegen. Experten gehen davon aus, dass der Trend anhält – und nennen dafür Gründe.

Im U-Bahnhof am Hirschlandplatz suchen sie Schutz gegen die Kälte: Menschen ohne festen Wohnsitz. In Schlafsäcken liegen sie auf dem harten Steinboden. In diesen Tagen, an denen die Temperaturen gen Gefrierpunkt sinken, fallen sie auf. Immer mehr Menschen leben auch in Essen auf der Straße.

Die Obdachlosigkeit nimmt zu. Experten hatten dies bereits in diesem Sommer beobachtet, was untypisch war für die warme Jahreszeit. Doch der Trend hat sich offenbar verstetigt. „Wir gehen davon aus, dass die Zahlen weiter gestiegen sind“, sagt Tanja Rutkowski, bei der Caritas-Skf-Essen als Fachbereichsleiterin zuständig für die Gefährdetenhilfe.

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Das laufende Jahr biegt auf die Zielgrade, die statistische Auswertung steht noch aus. Aber die Zahlen der Vorjahre sprechen bereits eine eindeutige Sprache. 1726 Personen wurden Ende vergangenen Jahres in der städtischen Beratungsstelle für Wohnungslose an der Lindenallee als obdachlos geführt. Das waren 19 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor.

Von Obdachlosigkeit in Essen betroffen sind meist Männer mittleren Alters

Meist sind es Männer, die auf der Straße leben; ihr Anteil betrug zuletzt 81 Prozent. Oft sind sie mittleren Alters. Aber es trifft auch Frauen und Jugendliche. Doch die Statistik beschreibt die Realität nur unzureichend. Es gibt eine Dunkelziffer, von der niemand sagen kann, wie hoch sie wohl ist.

So viel zeigt die Erfahrung: So mancher, der kein Dach über dem Kopf hat, oder dem Obdachlosigkeit droht, scheut den Weg zur Beratungsstelle – sei es aus Scham, oder weil die eigene psychische Verfassung so schlecht ist, dass sie einen solchen Schritt nicht zulässt. Andere sind einfach überfordert, öffnen die Post nicht mehr, zahlen ihre Rechnungen nicht, bis sie sich schließlich auf der Straße wiederfinden.

Stadt und Caritas-SkF haben auf den beunruhigenden Trend reagiert und die Zahl der Plätze in den Notaufstellen erhöht: In der Lichtstraße 1, wo ausschließlich Männer unterkommen können von 70 auf 95 Plätze und in der Unterkunft für Frauen an der Grimbergstraße in Kray von 24 auf 35 Plätze.

Stadt Essen und Caritas-SkF haben die Zahl der Notschlafplätze aufgestockt

Auch für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahre, die in Raum 58 an der Niederstraße im Nordviertel einen geschützten Ort finden, wurden zusätzliche Plätze eingerichtet. Neben acht Notschlafplätzen dort gibt es acht weiter im ehemaligen Kloster Schuir. Obwohl weit vom Schuss, wird auch dieses Angebot „sehr gut angenommen“, berichtet Tanja Rutkowski.

Dass in Essen niemand auf der Straße schlafen muss, dies gelte grundsätzlich immer noch. Aber es gibt Gründe dafür, dass Menschen ohne Bleibe, die Straße einer Notunterkunft vorziehen. Mal ist es der eigene Hund, der treue Begleiter, der nicht mit hinein darf. Andere können das Zusammensein mit anderen auf engem Raum einfach nicht ertragen oder fürchten um ihr weniges Hab und Gut, das sie bei sich haben.

Auf dem Essener Wohnungsmarkt haben es von Obdachlosigkeit betroffene Menschen schwerer

Warum aber steigt die Obdachlosigkeit? Tanja Rutkowski sieht in der Entwicklung eine Spätfolge der Corona-Pandemie. Zum einen seien während der Pandemie Zwangsvollstreckungen oft ausgesetzt worden. Diese seien mit Ende der Pandemie nachgeholt worden, Betroffene landen also verspätet auf der Straße.

Zum anderen hätten psychische Erkrankungen seit Corona stark zugenommen. „Man sieht mehr Menschen mit auffälligem Verhalten auf der Straße“, gibt Tanja Rutkowski ihre eigene Beobachtung wieder, die viele teilen dürften.

Und wer heute obdachlos wird, hat es ungleich schwerer zurückzufinden als noch vor einigen Jahren. Der Wohnungsmarkt ist angespannt, gerade kleinere und günstige Wohnungen sind knapp, die Zahl der Mitbewerber größer. Wer sich als wohnungslos vorstellt und womöglich mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, bleibt eher außen vor.

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