Essen. Vermieter legen den Mietspiegel oft nur zu ihren Gunsten aus. Mietervereine raten daher, Mieterhöhungen zu überprüfen. Dabei aber gibt es Fristen

Drei Monate nach Erscheinen des neuen Mietspiegels für Essen sind bereits viele Haushalte mit Mieterhöhungen konfrontiert. Und die ersten Erfahrungen bei Mietervereinen zeigen: „In unserer Beratung liegen erste Erhöhungen zur Prüfung vor, viele davon mit Fehlern“, sagt Siw Mammitzsch, Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Essen.

Darüber hinaus langen die Vermieter offenbar kräftig zu. „Unerwartet viele Erhöhungen liegen über zehn Prozent“, hat Mammitzsch festgestellt. Der Druck auf die Mieter sei enorm. Deshalb wird die Mietergemeinschaft am Donnerstag, 28. November, einen Infoabend zum neuen Mietspiegel anbieten. Dieser sei nicht nur für Mitglieder gedacht sondern für alle Interessenten. Er findet um 18 Uhr in der Heilermannstraße 5 statt. (Anmeldung unter Telefon: 7491920)

Auch die zweite große Mietervertretung, der Mieterverein Essen, beobachtet im Moment sehr viele Mieterhöhungen, die sich auf den neuen Mietspiegel beziehen. „Auffällig ist, dass die meisten Vermieter die darin vorgesehene Spanne nach oben voll nutzen“, sagt Anke Eymann-Kapser, Anwältin für Mietrecht und gleichzeitig Vorsitzende beim Essener Mieterverein.

Essener Mietspiegel lässt Vermietern Spielraum

Die Systematik im neuen Mietspiegel ist folgende: Zunächst lässt sich mit Wohnfläche, Lage, Baujahr und Ausstattung die ortsübliche Vergleichsmiete errechnen. Diese ist die Obergrenze, bis zu der Vermieter die Miete in bestehenden Mietverhältnissen anheben können. Doch der Mietspiegel erlaubt darüber hinaus den Vermietern, für besondere und nicht extra aufgelistete Ausstattungsmerkmale Prozente draufzuschlagen oder abzuziehen. Dafür gibt er eine Spanne von minus 17 Prozent bis plus 18 Prozent vor. Weiter darf sich die individuell errechnete Mietobergrenze nicht von der ortsüblichen Vergleichsmiete entfernen.

„Ein Mietspiegel kann nicht alle Merkmale einer Wohnung abbilden“, betont Eymann-Kapser, die selbst im Arbeitskreis Mietspiegel sitzt und an der Erstellung mitgewirkt hat. Deshalb gibt es die zusätzliche Spannbreite. In der Praxis zeigt sich nun: Vermieter rechnen zwar für besondere Ausstattungen zusätzliche Prozentpunkte dazu, wenn es jedoch um Abzüge für schlechte Wohnungsmerkmale geht, dann fehlen diese meist oder sind lückenhaft. „Ob das aus Unwissen oder mit Kalkül passiert, sei dahin gestellt. Fakt ist: Mieter sollten Erhöhungen genau prüfen“, rät Siw Mammitzsch.

Mieterverein Essen: Mieterhöhungen sind zu pauschal

Eymann-Kapser berichtet zudem, dass Vermieter oftmals die Spanne nach oben voll ausschöpfen, ohne dies im Detail zu begründen. Sie listen zusätzliche Merkmale der Wohnung auf, die ihrer Meinung nach eine höhere Miete rechtfertigen, und setzen dann den höchst möglichen Aufschlag pauschal an. „Das geht natürlich nicht“, sagt Eymann-Kapser. Jeder Punkt müsse einzeln mit Prozentaufschlägen versehen werden. Das klingt dennoch nach einer Ermessensentscheidung. „Aber das war immer schon so“, meint sie.

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Die Mietergemeinschaft sieht aber nicht nur Anwendungsfehler bei Vermietern, sie äußert auch generelle Kritik am neuen Mietspiegel. Er lasse deutlich mehr Aufschläge zu als Abzüge, betont Mammitzsch. Abschläge sind möglich, wenn es keine Gegensprechanlage gibt, wenn die Wohnung keinen vom Vermieter gestellten Bodenbelag hat, wenn es Durchgangszimmer gibt, kein Balkon oder Terrasse vorhanden sind oder die Leitungen auf Putz liegen. Abzüge sind auch möglich, wenn die Wohnung zum Beispiel besonderem Lärm ausgesetzt ist.

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Mammitzsch meint, dass der alte Mietspiegel mehr Feinheiten bei Zu- und Aufschlägen aufwies. Beispielsweise führte es da auch zum Abzug, wenn nur ein Minibalkon vorhanden war. Das sieht der jetzige Mietspiegel nicht mehr vor. „Aber die Wohnung hat sich ja nicht verändert“, sagt sie. Deshalb mache man da auch weiterhin Abzüge geltend. In nahezu allen Mieterhöhungen setzen Vermieter zudem Aufschläge für eine Zentralheizung an (+2,5 Prozent) an. Diese sei im alten Mietspiegel noch als Standard gewertet worden. Auch dass es für wärmeisolierte Fenster, die seit 30 Jahren längst üblich sind, Zusatzprozente (+3,1 Prozent) gibt, „halten wir für nicht gerechtfertigt“, so Mammitzsch.

Neue Lageklassen verteuern bislang eher günstige Wohnungen

Was ebenfalls deutlich zu Buche schlägt, seien die neuen Lageklassen. Im alten Mietspiegel gab es fünf, nun sind es sieben. Die meisten Wohnungen in mittleren Lagen seien im neuen Mietspiegel nicht mehr der Klasse III sondern der Klasse IV zugeordnet. Allein das mache drei Prozent Mietaufschlag aus, obwohl sich die Lage der Wohnung nicht verbessert habe. „Wie das zustande gekommen ist, ist völlig intransparent“, beklagt Mammitzsch.

Was ist ein Mietspiegel?

Der Mietspiegel ist für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete bindend. Er gilt grundsätzlich für nicht preisgebundene Mietwohnungen. Bei der Berechnung der ortsüblichen Miete fließen neben Lage und Ausstattung auch Größe und Baujahr der Wohnung ein. Auf Grundlage des Mietspiegels können Mieter und Vermieter die ortsübliche Vergleichsmiete errechnen. Diese ist für Vermieter die Obergrenze, bis zu der sie Mieterhöhungen durchsetzen können.Wird eine Wohnung neu vermietet, hilft der Mietspiegel aber auch den Mietern. Sie können überprüfen, ob das Mietverlangen des Vermieters sich im ortsüblichen Rahmen bewegt.

Vermieter können aber jetzt nicht einfach die Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen. Denn es gilt: Frühestens 15 Monate nach Einzug oder nach der letzten Mieterhöhung dürfen Vermieter die Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete anheben. Der Preisaufschlag darf innerhalb von drei Jahren aber nicht höher sein als 20 Prozent (Kappungsgrenze).

Essen hat seit 2016 einen qualifizierten Mietspiegel. Ein solcher wird nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erstellt und hat daher bei gerichtlichen Auseinandersetzungen mehr Gewicht. Er muss alle zwei Jahre den Marktentwicklungen angepasst werden.

„Viele Mieter glauben, sie müssten die Erhöhung zahlen“, meint sie. Aber zwei Monate nach Eingang plus die Tage des angerissenen Monats bleiben Mietern Zeit, diese überprüfen zu lassen und gegebenenfalls Einspruch einzulegen. Der Mieter müsse dann schriftlich aber genauso Argumente vorlegen, warum seiner Meinung nach Zuschläge zu hoch sind oder Abschläge fällig werden. Wichtig dabei ist: Mängel an der Wohnung sind nicht Bestandteil bei der Berechnung der ortsüblichen Miete, können darüber also nicht geltend gemacht werden. Die Mietergemeinschaft hat die Erfahrung gemacht, dass Vermieter den vorgelegten Änderungen, wenn sie begründet sind, auch zustimmen.

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