Essen. Die Wirtschaftsförderung fragte Betriebe: Wo drückt der Schuh? Sie bekam bekannte, aber auch überraschende Antworten.

Der Wirtschaftsstandort Essen lässt sich auf den Punkt heute so beschreiben: Essen ist eine Stadt der Schreibtische. 230.000 Menschen arbeiten im Dienstleistungssektor. Die Malocher im Blaumann dagegen sind seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Gerade einmal 40.000 Beschäftigte zählt das produzierende Gewerbe aktuell noch.

Weil der Trend anhält, lenken nun Stadt und Wirtschaftsförderung (EWG) auf den eher kleinen verbliebenen Rest der Industrie verstärkt ihr Augenmerk. Denn bei den Arbeitsplätzen handelt es sich meist um gut bezahlte Jobs, die noch dazu eine hohe Wertschöpfung bringen. Diese zu erhalten, im besten Fall den Abwärtstrend der vergangenen Jahre zu drehen, ist das erklärte Ziel. „Wir brauchen einen guten Mix in der Stadt“, unterstreicht OB Thomas Kufen.

Essen: Masterplan Industrie verschwand in der Versenkung

Die Erkenntnisse sind nicht neu. Schon vor mehr als zehn Jahren legte die Wirtschaftsförderung einen Masterplan Industrie auf, um die noch vorhandenen Industriearbeitsplätze zu retten. Der allerdings verschwand sang- und klanglos in den Schubladen.

In dieser Woche nun legte die Wirtschaftsförderung erstmals einen Industriemonitor vor, der künftig alle zwei Jahre erscheinen soll. Vor allem die kleinen und mittelständischen Firmen hat die EWG dabei im Blick. In einer Umfrage wollte sie wissen, „wo der Schuh drückt“, sagt Essens Wirtschaftsförderer Andre Boschem. 85 Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten haben teilgenommen, etwa jedes dritte angeschriebene.

Das Überraschende: Richtete der alte Masterplan vor zehn Jahren den Fokus auf die fehlenden Gewerbegebiete, steht heute etwas ganz anderes ganz oben auf der Sorgen-Liste der Unternehmen. Drei Viertel der Betriebe sagen, dass das Thema Fachkräftemangel aktuell zu ihren größten Herausforderungen gehört, gefolgt von den Energiepreisen und den Umweltauflagen. Erst auf Platz 4 kommt das Flächenangebot.

„Früher war Fläche, Fläche, Fläche. Aber die Themen sind vielfältiger geworden“, schließt Boschem aus den Antworten und damit auch auf die Aufgaben, die sich für die Wirtschaftsförderung ergeben.

Dass der Fachkräftemangel die Unternehmen umtreibt, ist kein Essen spezifisches Problem, überrascht allerdings in dieser Deutlichkeit. Denn mit über 33.000 Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote von fast 11 Prozent ist Essen von einer Vollbeschäftigung wie andere Teile Deutschlands noch weit entfernt. Von Vollbeschäftigung sprechen Ökonomen bei Erwerbslosenquoten von fünf Prozent und darunter.

Auch Boschem hat aus Gesprächen die Erfahrung gewonnen: Unternehmen, die sich in Essen ansiedeln wollen, tun dies auch, weil sie hier noch am ehesten Arbeitskräfte finden. Dennoch sagen über 60 Prozent der Befragten, dass sie mit der Verfügbarkeit von Fachkräften am Standort Essen „eher unzufrieden“ sind.

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Auch auf die Frage, welche Hemmnisse die Unternehmen bei der Entwicklung am Standort Essen sehen, stehen die fehlenden Fachkräfte ganz oben. An zweiter Stelle bemängeln die Betriebe die Genehmigungsverfahren, obwohl aus den Antworten nicht hervor geht, ob diese ihnen zu bürokratisch sind, zu lange dauern, oder gar beides. Auf Platz 3 und 4 folgen mit etwas Abstand die Flächenknappheit und überbordende Umweltauflagen.

Unternehmen stellen Essen kein gutes Zeugnis aus

Dem Standort Essen stellen die Firmen insgesamt ein eher mageres Zeugnis aus: Fast 29 Prozent sind eher unzufrieden, 19 Prozent gab auf die Frage keine Antwort. „Da ist noch Luft nach oben“, meint Boschem.

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Die allgemeine Stimmung in der Essener Industrie ist dagegen besser, als man angesichts der internationalen und nationalen Großwetterlage annehmen könnte. Zum Zeitpunkt der Befragung im Frühsommer sagten 35 Prozent der Unternehmen, dass sie in den kommenden zwölf Monaten mit einer Verbesserung ihrer Lage rechnen, 48 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Entwicklung aus. Nur 17 Prozent glauben, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung verschlechtern werde. Auch für den Arbeitsmarkt gibt es eher gute Signale: Der überwiegende Teil der Firmen will die Beschäftigten halten, 34 Prozent wollen sogar einstellen. 18 Prozent dagegen glauben, dass sie Arbeitsplätze abbauen müssen.

„Insgesamt überwiegen die positiven Faktoren die negativen. Ich hätte mit schlechteren Ergebnissen gerechnet“, sagt Wirtschaftsförderer Boschem.

Wirtschaftsförderung startet Stellenportal für Essen

Die ersten Aufgaben hat sich die Wirtschaftsförderung schon auf die Liste gesetzt. Einige Beispiele: Um die Betriebe bei der Personalsuche zu unterstützen, hat sie ein lokales Stellenportal ins Leben gerufen. Unter der Internetadresse www.karriere-in-essen.de können Unternehmen kostenlos ihre Stellengesuche veröffentlichen. Zudem wird es mit Partnern ein Büro für Migrationsökonomie geben, das sich darum kümmern soll, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt zu bringen und auch das Unternehmertum zu fördern.

Die Stadt wiederum will ihre Genehmigungsverfahren beschleunigen und stellt dafür im kommenden Jahr sieben neue Mitarbeiter ein, kündigte OB Kufen an. Beim Thema Flächen sieht die EWG vor allem große Chancen im Hafengebiet. Eine neu gegründete Gesellschaft soll sich darum kümmern, die Flächen qualitativ besser zu nutzen. 20 bis 30 Hektar könnten so für die Industrie gewonnen werden, meint Boschem.

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