Essen-Borbeck. Auf dem Matthäusfriedhof werden Bäume als Grabstellen gepflanzt. Ein ganzer Wald soll daraus entstehen, mit einem Gedenkort für Sternenkinder.

Es regnet in Strömen, der Boden ist aufgeweicht, der Himmel trüb und grau. Das Laub in Susanne Gutjahr-Maurers Hand aber hat seine Herbstfärbung noch nicht verloren: Rot und gelb leuchten die kleinen sternförmigen Blätter. Sie gehören dem Amberbaum, der kürzlich auf einer Freifläche des Borbecker Matthäusfriedhofs gepflanzt worden ist, gemeinsam mit weiteren Jungbäumen. Die kleine Baumgruppe ist der Beginn eines Waldes, der auf dem Friedhofsgelände wachsen soll.

Der „Tiny Wald“, wie ihn die evangelische Gemeinde Borbeck-Vogelheim nennt, soll aber nicht bloß hübsch aussehen und den Friedhof noch grüner und ökologisch wertvoller machen, wenngleich das der Gemeinde ein wichtiges Anliegen ist. Er soll vor allem einen Wunsch erfüllen, der ihnen immer wieder und immer häufiger begegne. So erklärt es Daniel Stender, Vorsitzender des Friedhofsausschusses. Es geht um den Wunsch nach einem „naturnahen Begräbnis“ unter einem Baum, möglichst in einem Wald.

Gärtner des Borbecker Matthäusfriedhofs brachte die Idee nach Essen

Die Idee brachte Friedhofsgärtner Ulrich Bylsma schon vor gut zweieinhalb Jahren von einem Ausflug an den Möhnesee mit. Er habe mit seiner Frau in einem Lokal gesessen, erzählt er, als ihm mehrere Autos mit Duisburger Kennzeichen aufgefallen seien. Wenig später hätten die Besucher aus Duisburg den Raum betreten, alle schwarz gekleidet, und sich an den Nebentisch gesetzt.

So habe er mitbekommen, dass sie einen Verstorbenen in dem nahe gelegenen Friedwald beerdigt hatten und sich nun sorgten, wie oft sie, ob der Entfernung, das Grab wohl würden besuchen könnten. „Da habe ich zu meiner Frau gesagt: Das muss doch auch bei uns im Ruhrpott möglich sein.“ Eine Weile ließ er die Idee reifen, dann kam ihm eine passende Fläche in den Sinn: Auf einem etwa 40 mal 50 Meter großen Stück des Friedhofs waren schon länger keine neuen Gräber hinzugekommen, sie war beinahe komplett frei.

Blick auf den Tiny Wald am Dienstag den 19. November 2024 auf dem Matthäus-Friedhof in Essen. Im Bild: Susanne Gutjahr-Maurer (Pfarrerin). Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Viele Menschen nehmen weite Wege auf sich, um ihre Angehörigen in einem Wald bestatten zu können.“

Pfarrerin Susanne Gutjahr-Maurer

Viele Gespräche und einige Gremiensitzungen später stand der Plan und es folgte die Umsetzung, die die Gemeinde in Eigenregie stemmte: Begrenzungssteine, Wege und Grünstreifen wurden entfernt, Mutterboden und Rindenmulch aufgeschüttet. Für den Anfang pflanzte Friedhofsgärtner Bylsma nur eine Handvoll neue, sechs- bis siebenjährige Bäume – bis zu 30 können es an dieser Stelle insgesamt werden. Der erste Baum sei bereits vergeben, so Bylsma, „noch bevor wir überhaupt offiziell eröffnet haben“.

Momentan stehen für den künftigen Wald etwa 2000 Quadratmeter des insgesamt drei Hektar großen Friedhofs zur Verfügung, doch der Friedhofsgärtner ist zuversichtlich, dass er noch größer werden wird. „Meine Vorstellung ist, dass er sich in alle Richtungen ausbreitet und wir in zehn Jahren vielleicht 20.000 Quadratmeter Wald hier haben.“

Informationsveranstaltung am 3. Dezember

Eine einzelne Urnen-Grabstätte unter einem Gemeinschaftsbaum kostet 784 Euro für 20 Jahre, hinzu kommen 32 Euro für eine Namensplakette. Ein Familienbaum mit zwei Urnen-Grabstätten kostet 2560 Euro, weitere können am selben Baum hinzugekauft werden. Hinzu kommt eine jährliche Gebühr. Für ein Grab und die Beisetzung am Sternschnuppenbaum fallen keine Gebühren an.

Wer mehr über das „Tiny-Wald-Projekt“ wissen möchte oder konkrete Fragen zu Grabstellen und Kosten hat, kann sich auf einer Veranstaltung am 3. Dezember informieren. Zwischen 15 und 17 Uhr stehen die Verantwortlichen an diesem Tag als Ansprechpartner zur Verfügung: direkt vor Ort, auf der neugestalteten Fläche des Friedhofs. Besucher betreten den Friedhof durch den Eingang neben der Kirche. Ein kurzes Stück hinter der Trauerhalle befindet sich das künftige Waldstück.

Für die Gemeinde Borbeck-Vogelheim sind besondere Bestattungsformen indes kein Neuland: 2019 beispielsweise entstand auf dem Matthäusfriedhof ein Grabfeld für Fans von Rot-Weiss Essen, die sich nahe des Grabs von Vereinsgründer Georg Melches (1893-1963) bestatten lassen können. Auch vor Veranstaltungen neben Gräbern scheut man sich nicht: Im Sommer hatte die Gemeinde zum Open-Air-Kino auf den Friedhof geladen. Ein Friedhof solle immer auch ein Ort des Lebens sein, sagt Daniel Stender, und ein Ort der Begegnung.

Tiny Wald Friedwald.
Auch ältere Bäume sind Teil des künftigen Waldes: Zwei dienen als Gemeinschaftsbäume für mehrere Grabstellen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

So würden auch die Bäume ein Symbol des Lebens darstellen und für Gläubige an die Bewahrung der Schöpfung und die christliche Hoffnung auf Auferstehung erinnern, „indem quasi aus der Asche des Verstorbenen der Baum erwächst“, wie Stender erklärt. Zusätzlich aber würden sie die Aufenthaltsqualität auf dem Friedhof erhöhen, wovon alle Menschen im Quartier profitieren könnten.

Angehörige können dabei sein, wenn ihr Familienbaum auf dem Essener Friedhof gepflanzt wird

Tiny Wald Friedwald.
Die sternförmigen Blätter des Amberbaums machen ihn zu einem passenden Gedenkort für Sternenkinder. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wer sich für eine Grabstelle unter einem sogenannten „Familienbaum“ entscheidet, darf zunächst die Baumart aus einer Liste mit heimischen Gehölzen, beispielsweise Buche, Eiche oder Linde, auswählen. „Wenn sie möchten, können Angehörige bei der Pflanzung dabei sein“, sagt Bylsma. Zwei große Altbäume auf der Fläche dienen als Gemeinschaftsbäume mit mehreren Grabstellen. Vereinzelt sind auch noch ein paar reguläre Grabstellen vorhanden, die nun Teil des Waldes sind, aber künftig nicht mehr neu belegt werden sollen, wie der Gärtner erklärt. Eine weitere Neuerung: Trauerfeiern können nun unter freiem Himmel, direkt am „Tiny Wald“ stattfinden, mehrere Bänke sind am Rand der Fläche aufgestellt worden.

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„Viele Menschen nehmen weite Wege auf sich, um ihre Angehörigen in einem Wald bestatten zu können“, hat auch Pfarrerin Susanne Gutjahr-Maurer bemerkt. „Jetzt können wir das hier bei uns, ganz zentral, anbieten.“ Mit dem eingangs erwähnten Amberbaum hat es übrigens eine eigene Bewandtnis. Er ist ein Projekt im Projekt, das der Pfarrerin besonders wichtig war: ein Gedenkort und eine Grabstätte für Sternenkinder, also Babys, die während der Schwangerschaft, bei der Geburt, oder kurz danach verstorben sind.

Gespräche mit Eltern hätten ihr klar gemacht, dass ein solcher Ort schmerzlich vermisst werde: „Es ist, als ob mein Sternchen nie dagewesen wäre“, habe eine Mutter zu ihr gesagt. Mit dem Amberbaum, den sie hier „Sternschnuppenbaum“ nennen, gibt es nun einen solchen Ort, an dem die Trauer um die Sternenkinder ihren Raum bekommt. Auch ein Gedenkstein soll dort aufgestellt werden, erklärt Daniel Stender: „Dazu sind wir noch im Austausch mit Steinmetzen, damit es ein besonders schönes Denkmal wird.“

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