Essen. Ein Einheits-Steuersatz von 825 Prozent oder splitten, je nach Nutzung? Die vom Kämmerer empfohlene Variante ist bürgerfreundlicher – aber riskanter.
Das große Rechnen, es kann beginnen. Knapp neun Wochen vor der Einführung der „neuen“ Grundsteuer stehen jetzt jene Hebesätze fest, mit denen die Stadt Essen die von Grund auf neu kalkulierte Steuer 2025 startet. Die Neuberechnung, einst vom Verfassungsgericht gefordert, ist aber auch in NRW dermaßen umstritten, dass die Stadtspitze der örtlichen Politik kurzerhand zwei Varianten präsentieren will: einen einheitlichen Hebesatz für alle Grundstücksarten und eine gesplittete Variante, die unterscheidet, ob die Immobilie Wohnzwecken dient.
In Essen muss die Stadt so oder so 137,7 Millionen Euro in die Kasse spülen
Beide kommen unterm Strich auf die gleiche Summe. Das war ja auch ein zentrales Ziel oder mehr noch: ein Versprechen der Politik – dass sie im Zuge der „neuen“ Grundsteuer den Bürgerinnen und Bürgern in ihrer Gesamtheit nicht klammheimlich mehr als bisher in die Tasche greift. Denn die Grundsteuer zahlt jeder – entweder als Eigentümer einer Immobilie oder als deren Mieter, weil die Steuer in die Nebenkosten eingeht.
Im Essener Stadt-Etat muss die Grundsteuer also die für 2025 einkalkulierten 137,7 Millionen Euro in die Kasse spülen, und so passiert‘s auch, wenn sich die Essener Politik bei der Verabschiedung des städtischen Haushalts am 27. November für den vorgeschlagenen einheitlichen Hebesatz von 825 Prozent entscheidet. Die Alternative: zwei unterschiedliche Hebesätze, einer für Grundstücke, die zu Wohnzwecken dienen, und einer für geschäftlich genutzte Immobilien.
Votiert die Politik für dieses Splitting, schlägt die Stadt einen Hebesatz von 670 Prozent für Wohngrundstücke vor – und einen von 1236 Prozent für Geschäftsgrundstücke. Essens Finanzchef, Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp, hat schon früh signalisiert, dass er sich für die Variante unterschiedlicher Hebesätze ausspricht, „und dabei bleibe ich auch“, versichert er – obwohl eine ganze Reihe seiner Amtskollegen aus anderen Städten eine andere Position vertreten.
Ob die unterschiedlichen Hebesätze vor Gericht Bestand haben, bleibt offen
Grabenkamp hält die gesplitteten Hebesätze für bürgerfreundlicher weil preisgünstiger, sie haben aber zweifellos mehr als nur einen rechtlichen Haken. Darauf weist vor allem die FDP hin und dort besonders Ralf Witzel, der Chef der Essener Liberalen. Sein Lieblingsbeispiel für die Macken des von NRW übernommenen sogenannten Bundesmodells sind überwiegend für Wohnzwecke verwendete „gemischt genutzte Grundstücke“, denn die gelten nach offizieller Lesart als „Nichtwohngrundstücke“, für die der Hebesatz nahezu doppelt so hoch liegt.
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Die Folge: Es gibt bei einigen Juristen erhebliche Zweifel daran, dass unterschiedliche Hebesätze vor Gericht letztlich Bestand haben. Man darf annehmen, dass sich die Stadtspitze nicht zuletzt vor diesem Hintergrund dazu entschieden hat, den Schwarzen Peter an die Politik weiterzureichen. Soll die doch entscheiden, ob sie das Risiko einer möglichen Niederlage vor Gericht eingehen will.
Im Feuer steht dabei schließlich keine kleine Summe: Stadtkämmerer Grabenkamp beziffert das finanzielle Ausfallrisiko für die Stadt Essen mit rund 25,9 Millionen Euro. Die müssten zurückgezahlt werden, wenn sich vor Gericht erweist, dass das Hebesatz-Splitting unzulässig war, und zwar an jene, die den höheren Satz für Geschäftsgrundstücke zahlen. Deren Steuerschuld würde dann auch nur noch mit dem niedrigeren Satz nämlich 670 Prozent berechnet.
Die Steuerverwaltung erwartet rund 40.000 Einsprüche gegen die Bescheide
Allein: Bei den einmalig 25,9 Millionen Euro, die da im Feuer stehen, handelt es sich offenbar um die Obergrenze. Tatsächlich dürfte der Betrag vermutlich niedriger ausfallen, weil nur Immobilien-Eigentümer von Rückzahlungen profitieren, die ihre Bescheide nicht haben rechtskräftig werden lassen.
Zwar rechnet die Finanzverwaltung mit rund 40.000 Einsprüchen gegen die Grundsteuer-Bescheide, die vorausichtlich wieder Mitte Januar verschickt werden. Doch da die Chance für eine Korrektur „eher gering“ ausfällt, wie Kämmerer Grabenkamp sagt, müssten die Kritiker dann gegen den Bescheid klagen. Die sich dafür entscheiden, sollten Geduld an den Tag legen. Bis zu einer verfassungsrechtlichen Entscheidung könnte es Jahre dauern.
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