Essen. Hooligans von Hansa Rostock haben einen Sonderzug mit RWE-Fans angegriffen. Ihr Aufmarsch im Nebel erinnert an Szenen aus Mittelalter-Filmen.
Für viele Fans von Rot-Weiss Essen sollte es der Höhepunkt der Saison sein: die Fahrt mit dem Sonderzug zum Auswärtsspiel am Samstag (26.10.) in Rostock. Doch es kam anders. Mitten auf der Strecke wurde der Zug von Hooligans angegriffen. Der Schock bei den Verantwortlichen der Fan- und Förderabteilung (FFA) von Rot-Weiss Essen sitzt tief. Und es kommt einem Wunder gleich, dass nicht Schlimmeres passiert ist. Was war geschehen?
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Es ist etwa 9.30 Uhr, als der Sonderzug auf einmal anhält, irgendwo im Nirgendwo zwischen Brandenburg und Strelitz in Brandenburg. Rund 770 RWE-Fans sind an Bord, darunter die sogenannte organisierte Fanszene und viele andere, die einfach nur ihrem RWE beim Drittliga-Spiel gegen Hansa Rostock die Daumen drücken wollen. Die Fahrt durch die Nacht war ab circa 2.30 Uhr so verlaufen, wie es viele erwartet hatten: Auf den Gängen und in den beiden Samba-Waggons herrschte Partystimmung bei Schlagermusik und Stauderbier.
Hansa-Rostock-Hooligans formieren sich wie ein mittelalterliches Heer
Doch der Spaß ist an diesem Morgen schnell vorbei. Aus einer dichten Nebelwand, die sich über den Acker gelegt hat, marschieren plötzlich etwa 200 Vermummte auf. Es ist eine gespenstische, ja unwirkliche Szene, die an einen Hollywoodfilm erinnert, in dem sich ein mittelalterliches Heer zum Angriff formiert. Die da draußen tragen keine Rüstungen, aber sie sind uniformiert, haben weiße T-Shirts und schwarze Sturmhauben übergezogen. Sie brüllen und winken, die Essener mögen herauskommen.
Es vergehen einige Minuten, dann stürmen die Angreifer los. Raketen und Böller fliegen auf den Zug, es hagelt Steine. Diverse Scheiben gehen zu Bruch. Fassungslos und teils geschockt verfolgen Insassen das Geschehen, ziehen die Köpfe ein, oder suchen Schutz auf dem Gang, damit sie nicht getroffen werden. Bei einigen herrscht nackte Angst. Anderen ist mulmig zumute. Was passiert, wenn sie den Zug entern? Aber es bricht keine Panik aus, alles geht so schnell, dass man nicht glauben mag, was sich da gerade abspielt. Als etwa 70 bis 80 Essener den Zug verlassen, haben sich die Angreifer bereits in den Nebel zurückgezogen. Was dort geschieht, ist aus der Ferne heraus nicht zu erkennen.
Bald darauf ist der Spuk vorbei. Waggons sind mit Scherben übersät, auf dem Boden eines Abteils sind Brandspuren zu sehen. Einer der Vermummten soll eine Leuchtfackel durch das eingeworfene Fenster geschleudert haben. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wäre ein Feuer ausgebrochen. Die Bundespolizei wird in ihrem Bericht später von drei Leichtverletzten sprechen. Ein RWE-Fan trägt eine große Beule am Kopf davon, ein weiterer hat einen Splitter am Auge abkommen, heißt es im Zug, der mit langsamer Fahrt den nächsten Bahnhof ansteuert. Dort nehmen Polizeibeamte und Mitarbeiter der Bahngesellschaft die Schäden auf.
Essener Fans erreichen das Rostocker Stadion erst zur zweiten Halbzeit
Es dauert Stunden, bis die Fahrt im Sonderzug weitergeht. Weil die beschädigten Waggons nicht mehr genutzt werden dürfen, muss die „aktive Fanszene“ in einen anderen Zug nach Rostock umsteigen. Erst zur zweiten Halbzeit erreichen die Essener das Stadion. Doch für viele, die den Angriff miterleben mussten, ist das Spiel nur noch eine Nebensache.
Wie konnte es zu einer solchen Attacke kommen? Schon etwa 20 Minuten, bevor der Sonderzug unvermittelt auf der Strecke hält, geht das Gerücht um, Rostocker Hooligans würden den Zug angreifen. Einige unter den RWE-Anhängern sind darauf offenbar vorbereitet, sie legen Bandagen und Mundschutz an. Der Zug stoppt schließlich genau dort, wo die Angreifer im Nebel warten. Irgendjemand soll die Notbremse gezogen haben, heißt es.
Dass sich Hooligans verabreden, um sich mit Fäusten zu messen, ist in der Szene durchaus üblich, so unverständlich es für Außenstehende sein mag. Nur geschieht dies in der Regel im Stillen, abseits der Öffentlichkeit. Wussten gewaltbereite RWE-Fans gar von dem bevorstehenden Angriff, möglicherweise sogar schon vor Abfahrt? Es bleibt Spekulation. Aber es würde bedeuten, dass sie in Kauf genommen hätten, dass Unbeteiligte in Gefahr geraten. Und warum wurde die Polizei von dem Überfall offenbar kalt erwischt? Nach den Angreifern wird fahndet. Die Polizei Rostock hat für ein Portal im Internet eingerichtet. Die Wohnung eines 20-jährigen Verdächtigen aus dem Landkreis Nordwestmecklenburg wurde nach Angaben der Polizei durchsucht.
Hooligan-Angriff auf Sonderzug mit Fans von Rot-Weiss Essen: Viele Fragen sind offen
Noch sind viele Fragen offen. Auch die Frage, wer für den entstandenen Schaden am Zug aufkommt? Der ist nach Angaben der Polizei erheblich. 5000 Euro, welche die FFA bei der privaten Bahngesellschaft hinterlegen mussten, dürften dafür kaum reichen, wenn die Kaution dafür überhaupt in Anspruch genommen wird. „Verursacht haben den Schaden eindeutig andere“, sagt Manfred Villwock.
Der Sprecher der Fan- und Förderabteilung ist bedient. Über Wochen, ja über Monate, hatte die FFA die Fahrt gemeinsam mit dem Fanbündnis Westtribüne vorbereitet. Der organisatorische Aufwand sei erheblich gewesen, sagt Villwock, und meint damit nicht, dass vor Abfahrt 1500 Brötchen geschmiert und 500 Schnitzel frittiert wurden. „Und dann passiert so was“.
Villwock schüttelt den Kopf. Immerhin habe man keine Essener in Rostock zurücklassen müssen. Genau das drohte, als die Polizei etwa 300 verbliebenen RWE-Fans nach der 0:4-Niederlage den Zugang zum Bahnhof verwehrte, obwohl im Sonderzug noch Plätze und ganze Abteils frei waren. Vor dem Eingang zum Bahnhof herrschte dichtes Gedränge. Zeitweise schien es, als könnte die Situation außer Kontrolle geraten. Schließlich durften die Essener doch hinein in den Zug, auch wenn nicht jeder einen Sitzplatz fand.
Dass es in naher Zukunft noch einmal einen Sonderzug der FAA zu einem RWE-Auswärtsspiel geben wird, scheint nach den jüngsten Geschehnissen unwahrscheinlich. „Wir müssen das alles erst einmal sacken lassen“, sagt Manfred Villwock. Denjenigen, die dabei waren, dürfte es genauso gehen.
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