Essen. Philharmonie Essen steht im Jubiläumsjahr nicht nur künstlerisch gut da. Saalbau-Umbau hat auch gezeigt, wie Kulturbauten im Kostenrahmen bleiben
Rund 800 Millionen Euro hat die Hamburger Elbphilharmonie nach jahrelanger Bauverzögerung gekostet. Paris zahlte für seine noble Philharmonie am Ende 380 Millionen. Und in München will man versuchen, die zunächst kalkulierten Kosten von 1,3 Milliarden Euro auf 500 Millionen zu drücken. Da muten die 72 Millionen Euro, die der Umbau des Saalbaus Essen zur neuen Essener Philharmonie vor 20 Jahren gekostet hat, ziemlich überschaubar an. Ein Bauprojekt, das im Finanz- wie im Zeitrahmen bleibt, das klingt in Zeiten rasanter Kostenexplosionen mittlerweile ohnehin wie ein Wunschtraum. In Essen hat nicht nur das geklappt. Die Philharmonie Essen gilt vielen heute als einer der besten Konzertsäle Europas, von Künstlern wie Publikum gleichermaßen geschätzt.
- Philharmonie Essen: Vom Zankapfel zur kulturellen Topadresse
- Essens Philharmonie-Chefin: starker Wille, fest im Glauben
- Herbert Grönemeyer und Jonas Kaufmann in Essens Philharmonie
Grund genug, dieses Haus von erstem Rang und Klang nicht nur mit einer vielteiligen Vortragsreihe zu feiern. Am Samstag, 15. Juni, 20 Uhr, kommt mit Violinistin Anne-Sophie Mutter eine der vielen Weltstars nach Essen, die die Philharmonie regelmäßig beehren. Begleitet wird sie von einem amerikanischen Spitzenorchester, dem Dallas Symphony Orchestra. Für alle, die keine Karte bekommen haben, wird das Konzert in den Stadtgarten übertragen.
Dem Festkonzert sind die Woche über eine Reihe von Gesprächskonzerten vorausgegangen. Der Auftakt wurde vom Radiosender WDR3 live übertragen. Die Geschichte der Philharmonie Essen ist eben eine, die für große Öffentlichkeit gesorgt hat. Und wer in diesen Tagen Bilder vom Zustand des Saalbaus in den späten 1990ern sieht, der erkennt auch, was damals zur Debatte stand. Ein einst stolzer Konzert- und Bürgersaal, Auftrittsort für Weltstars von Wilhelm Furtwängler über Herbert von Karajan bis Maria Callas, der über die Jahrzehnte in einen mehr als bedenklichen Zustand geraten war. Von Graffitischmiererei verunziert, hinter Absperrgittern verschanzt und zum Teil von Stützen notdürftig getragen.
Ende der 1990er scheinen die Tage für den Saalbau als Konzerthaus gezählt, dessen Ursprungsform mit seiner Jugendstilfassade auf das Jahr 1904 zurückgeht. In der Politik entbrennt eine lebhafte Debatte über die Zukunft von „Essens guter Stube“, die als Konzerthaus scheinbar nicht mehr viel taugt. Essens Sozialdemokraten bevorzugen deshalb andere Pläne, inklusive Teilabriss des historischen Gebäudes. Der Saalbau soll zum Kongress-Zentrum mit Hotel werden, das Konzerthaus an einer anderen Stelle entstehen.
„Der Saalbau-Entscheid hat die Stadt verwandelt, nicht nur politisch“
Zunächst ist ein Umzug in die altehrwürdige Lichtburg geplant, was mit vereinten Kultur-Kräften verhindert werden kann. Dann rückt der Berliner Platz als Standort für einen Philharmonie-Neubau in den Fokus. Der Widerstand innerhalb der Bürgerschaft ist gewaltig, binnen weniger Wochen werden rund 89.000 Stimmen gegen die Pläne der SPD gesammelt. Mehr als genug für einen Bürgerentscheid, der bis heute als der erfolgreichste in der Stadt gilt. „Der Saalbau war der Ort, mit dem sich die Leute nach dem Krieg identifiziert haben“, sagt Johannes von Geymüller, Mitinitiator des Bürgerbegehrens. Das Gebäude sei Anfang der 1950er auch der erste repräsentative Bau gewesen, der wieder aufgebaut wurde. Die Entscheidung, den Saalbau zur neuen Essener Philharmonie umzubauen, habe „die Stadt insgesamt verwandelt, nicht nur politisch“, zeigt sich von Geymüller heute überzeugt.
Die politische Wirkung war gleichwohl beträchtlich. Bei der Kommunalwahl im Herbst 1999 löste die CDU die SPD nach jahrzehntelanger Vorherrschaft ab. 2002 wurde der Saalbau-Umbau schließlich begonnen und zwei Jahre später fertiggestellt. Der letzte Stuhl, erinnert sich Intendantin Marie Babette Nierenz, sei am Tag vor der Eröffnung festgeschraubt worden. „Tempo, Tempo“, so erinnert sich der heutige Vorstandssprecher der Krupp-Stiftung, Volker Troche, habe schließlich auch die Anweisung seines damaligen Chefs und Krupp-Stiftung-Vorsitzenden Berthold Beitz gelautet. Dessen Zusage über 26 Millionen Euro habe den Saalbau-Umbau entscheidend mitbefördert, erinnert Christian Hülsmann, Stadtdirektor a.D. und damaliger Geschäftsführer der CDU-Ratsfraktion.: „Das war ein Befreiungsschlag.“
„Man denkt nicht, dass der Saal schon 20 Jahre alt ist““
Nicht minder wegweisend war die Auflage der Krupp-Stiftung, regelmäßige Rücklagen für die Instandhaltung zu bilden. 18 Millionen seien für bauliche Notlagen zusammengekommen. „Da kann schon mal ein Stuhl kaputtgehen“, sagt Hülsmann. Von Juli bis August sind anstelle der Top-Orchester in der Philharmonie Essen regelmäßig die Handwerker zu Gast. „Deshalb gibt es bei uns keine Sommerbespielung“, erklärt Intendantin Nierenz.
Kartenvorverkauf startet am Samstag
Die Theater und Philharmonie startet am Samstag, 15. Juni, den Kartenvorverkauf für die Spielzeit 2024/2025: Ab 10 Uhr sind Tickets für alle Eigenveranstaltungen der gesamten neuen Saison des Aalto-Musiktheaters, des Aalto Ballett Essen, der Essener Philharmoniker und der Philharmonie Essen sowie für die Vorstellungen des Schauspiel Essen im September erhältlich.
Karten können gekauft werden im Ticket-Center der TUP, II. Hagen 2, an der Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10, unter Tel. 0201 81 22-200 sowie online unter www.theater-essen.de
„Man denkt nicht, dass der Saal schon 20 Jahre alt ist“, lobt auch Oliver Scheytt, der als Kulturdezernent der SPD damals zunächst den Philharmonie-Neubau am Berliner Platz zu vertreten hatte, sich aber noch gut an die Buh-Rufe erinnern kann, die ihm bei der Vorstellung der Pläne in der VHS entgegenschallten. Wie alle ist auch Scheytt längst glücklich über den Ausgang der Geschehnisse. „Der große Saal hat eine tolle Atmosphäre“, lobt Scheytt, das gesamte Gebäude habe eine „warme Ausstrahlung“.
Philharmonie Essen: „Das Auge hört mit“
„Das Auge hört mit“, hat ihm der renommierte Akustiker Karlheinz Müller schließlich erklärt, der in der Jubiläumswoche ebenso nach Essen eingeladen war wie Philharmonie-Architekt Peter Busmann und Projektsteuerer Klaus Wolff. Auch ihm sei zu verdanken, dass die Philharmonie „mit einem Budget, das heute unvorstellbar niedrig ist, in ganz hoher Geschwindigkeit und toller Qualität realisiert werden konnte“, so Scheytt. „Da können andere Städte von uns lernen.“
Ein kleiner Wermuts-Tropfen aber bleibt im Rausch der Jubelfeier doch. Die Absage an einen eigenen, zweiten Kammermusiksaal habe man „zu früh aufgegeben“, glaubt von Geymüller. „Wenn man gewollt hätte, hätte man es auch umsetzen können.“
[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]