Essen. Der 15. Juni gilt als letzte Chance zur Verlegung. Doch die AfD geht aufs Ganze und setzt schon diese Woche auf einen ersten Erfolg vor Gericht.
Im Essener Landgericht wollen sie nichts dem Zufall überlassen: Wenn dort am Montag um elf um die Grugahalle gestritten wird, „Alternative für Deutschland“ gegen Messe Essen, dann dürfen in Sitzungssaal 101 exakt 97 Zuhörer dem Urteil entgegenfiebern, unter ihnen 46 Vertreter der Medien – so sieht es eine neunseitige sitzungspolizeiliche Verfügung vor. Dabei spricht manches dafür, dass die eigentliche Entscheidung über den geplanten AfD-Bundesparteitag womöglich schon zwei, drei Tage zuvor fällt, ebenfalls vor Gericht, aber 23 Auto-Minuten entfernt.
Eine überraschende Variante auf Seite 73 – der freiwillige Rückzug aus Essen als Tagungsort
Denn im Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, einem denkmalgeschützten Backsteinbau nicht weit vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof, nähert sich dessen 15. Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Christoph Kuznik auf einem anderen Weg und schon ab Donnerstag oder Freitag der entscheidenden Frage: Durfte die Stadt über ihre Messegesellschaft der AfD den Stuhl vor die Tür setzen, obwohl diese einen Mietvertrag in der Tasche hat? Nur weil die Partei nicht gewillt war, per strafbewehrter Selbstverpflichtung eine Debatte ohne strafbare Äußerungen zu garantieren?
Auf keinen Fall, signalisieren die AfD-Anwälte aus der Kölner Rechtsanwalts-Kanzlei Höcker – und breiten auf 113 Seiten jenen Antrag des Bundesverbandes auf Einstweilige Anordnung aus, mit dem das Gericht im Nachhinein den vermeintlich „offensichtlich rechtswidrigen“ Ratsbeschluss wieder einkassieren möge, der die Kündigung der Grugahalle erst ausgelöst hatte. Wer bei der Lektüre allerdings bis auf Seite 73 vordringt, erfährt dort, dass die Entscheidung über den Bundesparteitag womöglich nicht vor Gericht, sondern in der Berliner Parteizentrale der AfD fallen könnte.
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Dort wird nämlich erwähnt, dass Paragraf 11 der AfD-Satzung es grundsätzlich erlaubt, den Ort eines einmal einberufenen Bundesparteitags zu verlegen – allerdings nur mit einer Frist von zwei Wochen, das wäre also der bevorstehende Samstag. Es ist mithin Eile geboten, mahnen die Anwälte das Gericht und schreiben diesen Satz: „Sollte daher bis zum 15.06.2024 keine Gewissheit darüber bestehen, ob der hier streitgegenständliche Bundesparteitag der Antragstellerin in der Grugahalle stattfinden wird oder nicht, wird der Bundesparteitag der Antragstellerin wohl abzusagen sein.“
Oha. Eine freiwillige Absage an Essen als Tagungsort?
Wirkliche Gewissheit über die Frage, ob die Grugahalle wie geplant am 29. und 30. Juni (und für den Aufbau sogar schon ein paar Tage früher) zur Verfügung steht, gibt es immerhin nur im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung. Will sagen: Sollte die Stadt das Verfahren beim Verwaltungsgericht verlieren und die Grugahalle im Ergebnis herausrücken müssen, steht die Frage im Raum, ob sie sich diesem Beschluss so ohne weiteres unterwirft.
Ob sie etwa noch am Freitag, wenn die Entscheidung der Verwaltungsrichter erwartet wird, oder gar am Samstag ihre Rechtsexperten, den OB, die Ratsfraktionen zusammentrommelt, wie geplant, um ein Meinungsbild abzufragen. Weitermachen oder klein beigeben? Schon wenn sie nur den Montag drauf abwartet – formell hat sie sogar zwei Wochen Zeit, Beschwerde einzulegen und den Weg in die nächste Instanz einzuschlagen –, wäre der 15. Juni verstrichen.
Kein Wunder also, dass derzeit Spekulationen ins Kraut schießen, die AfD könnte insgeheim schon an einem „Plan B“ arbeiten, den Bundesparteitag in Essen drangeben und sich nach einem neuen Tagungsort umschauen. Aus der Parteizentrale in Berlin gibt es dazu ein klares Dementi: So einfach sei das ja nun ohnehin nicht, einen Bundesparteitag mit 600 Delegierten plus Gästen in eine andere Stadt zu verlegen, sagt Pressesprecher Michael Pfalzgraf, „und für uns schon gleich gar nicht“. Und nein, „wir wollen den Parteitag in Essen“.
Messe will Vorbereitungen „rein vorsorglich und ausdrücklich ohne jedes Präjudiz (...) fortsetzen“
Immerhin haben die AfD-Anwälte auch nichts unversucht gelassen, die Grugahalle als Tagungsort bis zur endgültigen Entscheidung festzuzurren: Eingebaut in den Schriftsatz für das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen finden sich deshalb Anträge für eine sogenannte „Stillhaltezusage“ und einen „Hängebeschluss“, beide mit dem Ziel, die Stadt Essen und ihre Messegesellschaft daran zu hindern, dass die Grugahalle samt Foyer und Nebenräumen nach dem fristlosen Rauswurf der AfD an andere Interessenten vermietet wird.
Tatsächlich ist die Messe Essen schon von sich aus tätig geworden: Sie schrieb der Partei bereits am vergangenen Freitag, man werde „aus Respekt vor der Entscheidung der Gerichte“ die Vorbereitungen für den Parteitag „rein vorsorglich und ausdrücklich ohne jedes Präjudiz wie vorgesehen fortsetzen“.
Selbst einige Ratspolitiker wollen sich den Termin vor Gericht nicht entgehen lassen
Und bis zum Beweis des Gegenteils auch für die ausgesprochene Kündigung vor dem Landgericht streiten: Am Montag um elf in Saal 101 im Landgericht an der Zweigertstraße. Vonseiten der „Alternative für Deutschland“ wollen dem Vernehmen nach der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundessprecher der AfD Peter Boehringer sowie der Ex-Abgeordnete und Beisitzer im Bundesvorstand der AfD Roman Reusch teilnehmen. Die Messe wird vertreten sein, die Stadt ebenso, und für die wenigen freien Plätze in den Zuschauerreihen wollen sich auch Ratspolitiker anstellen.
Mobiltelefone und Getränkebehältnisse dürfen die Zuhörer übrigens nicht mit in den Saal nehmen, auch Waffen, gefährliche Werkzeuge und „sonstige zur Störung der Verhandlung geeignete Gegenstände“ sind untersagt. Nur so zur Info.