Essen. Ein beliebter Gastro-Besuch in Essen erhält unangemeldeten Besuch von der Lebensmittelüberwachung. Protokoll einer spektakulären Kontrolle.

8:30 Uhr: An diesem Donnerstagmorgen treffe ich Mark Blum, Lebensmittelkontrolleur bei der Stadt Essen, und seinen Vorgesetzen Dr. Ansgar Reckmann zum Vorgespräch. Das Amtsgebäude befindet sich hinter der denkmalgeschützten Backsteinmauer an der Lützowstraße. Der Chef drückt mir einen weißen Kittel in die Hand, Blum hat seinen in der Aktentasche. Der Kontrolleur kennt das Gewerbe. Als Koch und Küchenmeister stand er früher auf der anderen Seite. Es folgten mehrere Jahre bei der Bundeswehr, ehe er 2015 seinen Job in Essen antrat.

Lebensmittelkontrolle in Essen: Kontrolleure erscheinen unangemeldet im Lokal

10:30 Uhr: Wir erreichen den Parkplatz des Restaurants, das heute kontrolliert wird. „Ich komme immer unangemeldet“, sagt Blum. Seine wichtigsten Arbeitsgeräte sind ein Tablet, die Taschenlampe, ein Temperaturmessgerät und das Diensthandy. Die Kamera wird die entdeckten Missstände auf Dutzenden Fotos festhalten. „Das ist wichtig, falls ein Betrieb widerspricht und einen Rechtsanwalt einschaltet.“

Wenn Lebensmittelkontrolleure Restaurants in Essen unter die Lupe nehmen, hat der Schutz des Verbrauchers oberste Priorität. (Symbolbild).
Wenn Lebensmittelkontrolleure Restaurants in Essen unter die Lupe nehmen, hat der Schutz des Verbrauchers oberste Priorität. (Symbolbild). © dpa | Daniel Karmann

10:33 Uhr: Mark Blum stellt sich beim Kellner vor und verlangt den Betriebsleiter. Das Restaurant ist auch an Vormittagen gut besucht. Die Gäste, überwiegend ein migrantisches Publikum, treffen sich hier gern zum Frühstück. Die Auswahl am Büffet ist enorm. Auf den ersten Blick macht das Lokal einen einladenden Eindruck. Doch der Kontrolleur warnt: „Viele Restaurants polieren sich vorne auf Hochglanz, aber wehe, wir gehen durch die Höllenpforte.“ Gemeint ist die Tür zur Küche und den Lagerräumen.

„Viele Restaurants polieren sich vorne auf Hochglanz, aber wehe, wir gehen durch die Höllenpforte““

Mark Blum
Lebensmittelkontrolleur der Stadt Essen

10:35 Uhr: Der Betriebsleiter schreitet mit einem gequälten Lächeln auf den Kontrolleur zu. Man kennt sich, Mark Blum war schon häufiger hier. Bei Restaurants, die durch gravierende Hygienemängel auffallen, ist die Kontrollintensität besonders hoch. Und dieses Restaurant, das begreife ich sehr schnell, scheint zur Kategorie Problem-Restaurant zu zählen. Ahnt der Chef, dass dies heute kein guter Tag für ihn wird?

Kaum ist der Lebensmittel-Kontrolleur in der Küche, fällt sein Blick auf die weit geöffnete Hintertür

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10:40 Uhr: Mark Blum zieht den weißen Kittel an. Jede Kontrolle beginnt mit dem Händewaschen in der Küche. „Die Seife ist da und das Wasser warm, aber das Becken ist nicht sauber“, murrt er. Zuerst geht‘s nach draußen zur Lebensmittelanlieferung. Sein Blick fällt auf die doppelflügelige Tür, die nach draußen führt. Vorwurfsvoll fragt er: „Warum ist die Tür weit offen?“ Er erinnert den Restaurantleiter daran, dass er ihm bereits per Ordnungsverfügung auferlegt habe, diese Tür geschlossen zu halten. Gerade jetzt in der warmen Jahreszeit ist die sperrangelweit offene Tür eine Einflugschneise für Fliegen und Insekten.

10:45 Uhr: Man spürt: Der Lebensmittelkontrolleur verschafft sich mit seiner strengen Ansprache auf Anhieb Respekt. Das aufgeschreckte Küchenpersonal begreift sofort, dass man jetzt den Staat im Geschäft hat. Der Kellner, der gerade noch vorne im Restaurant die Gäste bediente, greift schnell zum Wasserschlauch und putzt den Boden. Auch die Küchenhilfe fängt auf einmal an zu wienern. Hauptsache, einen guten Eindruck machen. Als wenn das jetzt noch helfen würde. Blum verharrt vor den gestapelten Säcken mit Grillkohle. „Die haben im Hygienebereich nichts verloren.“

„Wenn ich mit dem Finger über die Wände gehe, kann ich malen! Schauen Sie mal: alles schwarz.““

Mark Blum
Lebensmittelkontrolleur

10:50 Uhr: Den Kühlraum leuchtet er mit der Taschenlampe aus und notiert einen weiteren Mangel: die dreckigen Wände. „Wenn ich mit dem Finger drüber gehe, kann ich malen! Schauen Sie mal: alles schwarz.“ Auf dem Boden gelagerte Lebensmittel: auch das ist ein No Go. „Einmal ausräumen bitte, das ist nix.“

10:55 Uhr: Jetzt stehen wir im Trockenlager. Die Regale sind gefüllt mit Nudeln, Konservendosen, Kanistern voller Oliven- und Sonnenblumenöl. Der geflieste Boden sei zu rutschig. Blum zeigt auf die großen Kanister mit Oliven, einige sind angerostet. Jeder Mangel, den der Kontrolleur festhält, wird auch vom Betriebsleiter fotografiert. „Zeigen Sie diese Dosen mal den Gästen vorne im Restaurant und erklären Sie ihnen, dass daraus die Oliven kommen, die sie gerade essen. Ich verspreche Ihnen, sie stehen sofort auf und gehen.“ Blum wirkt gereizt. „Wir erzählen immer das gleiche.“

Fleischreste an Edelstahl-Spießen: Lebensmittelkontrolleur entdeckt Mängel in Essener Restaurant

11:00 Uhr: Nun ist der Raum dran, in dem das frische Fleisch für die Grillspieße bearbeitet wird. Der Bereich also, der am meisten risikobehaftet ist. Eigentlich müsste es gerade hier picobello sauber sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Koch wird gebeten, die großen roten Schneidebretter anzuheben. Darunter müsste es sauber und trocken sein, aber es ist unappetitlich nass. Der Kontrolleur schüttelt den Kopf. „Keime können da eine Party feiern.“ Nun schraubt der Koch den Fleischwolf auseinander. „Da klebt wieder Fleisch. Sie haben nur halbherzig sauber gemacht, wie schon beim letzten Mal.“

11:05 Uhr: Der Restaurantleiter fängt an, sich über das eigene Personal zu beklagen. Dass seine Leute unzuverlässig seien und seine wiederholten Anweisungen in Sachen Hygiene und Sauberkeit schlichtweg überhörten. Er unterhält sich mit ihnen auf Türkisch, einige scheinen kaum Deutsch zu verstehen. Es sind offenbar keine Leute vom Fach. Haben sie jemals gelernt, worauf es bei Hygiene in einer Restaurantküche ankommt? Anscheinend nicht.

11:10 Uhr: Schon jetzt ist klar: Die gesamte Küche ist eine Schmuddel-Zone. Eigentlich müsste sie jeden Abend gründlich geputzt werden. Aber das scheint hier wirklich nicht zu passieren. An den langen Edelstahl-Spießen haften Fleischreste, auch die Behälter sind schmutzig. Alles wird notiert. Ebenso wie die dilettantisch mit Silikon abgedichteten Bleche zwischen Arbeitsplatten und Fliesen, die ein Dauer-Ärgernis sind.

Lebensmittelkontrolleur ordnet Desinfektion an

11:15 Uhr: Der Mann im weißen Kittel gibt eine Anweisung: „Der ganze Raum wird gründlich gereinigt und desinfiziert.“ Und fügt verärgert hinzu: „Sie schrauben hier keine Reifen zusammen, sondern verarbeiten Fleisch.“

11:25 Uhr: In der Küche liegt eine gefrorene Dorade in einer Schüssel im warmen Wasser. Offenbar soll der Fisch so auf die Schnelle aufgetaut werden. Blum: „Das geht gar nicht.“ Weiter geht‘s zum Gefrierschrank für Fleisch und Fisch. Der erste Eindruck: „Siffig“.

11:30 Uhr: Der Kontrolleur erkundigt sich, seit wann das Gefriergut da im Schrank liegt. Allgemeines Achselzucken. Sein Blick fällt auf einen blauen Abfallsack. Darin steckt ein riesiger Klumpen aus Lammfleisch - grob geschätzt mehr als 50 Kilo. „Wann wurde es eingefroren?“ Wieder allgemeines Achselzucken. Auch zu den gefrorenen Doraden, zusammen gut 15 Kilogramm, gibt‘s keine Einträge.

Der Kontrolleur zieht fast 70 Kilo Fleisch und Fisch aus dem Verkehr

11:40 Uhr: Auf den zentnerschweren Fleischklumpen reagiert Mark Blum fassungslos. Man hätte das Fleisch gut in kleinen Portionen einfrieren können. Doch nun bildet sich lediglich außen eine gefrorene Schicht, während das rohe und womöglich warme Fleisch im Kern dieses Riesenklumpens noch tagelang selbst bei minus 18 Grad vor sich hingammeln kann. Der Kontrolleur spricht von einer Katastrophe („sieht aus wie Sau“) und ordnet an: „Dieses Fleisch und die Doraden kommen nicht mehr auf den Tisch.“

11:45 Uhr: Die Küchenhilfe eilt mit einem Eimer Spülwasser herbei und putzt den verschmutzten Gefrierschrank.

Essener Restaurantchef wischt sich die Schweißperlen von der Stirn und brüllt die Mitarbeiter an

11:50 Uhr: Der Restaurantleiter holt ein Taschentuch raus und wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Scheint er zu ahnen, dass das Schlimmste noch kommen wird? Während der Mann vom Lebensmittelüberwachungsamt nach vorn zum Thekenbereich schreitet, wird es in der Küche laut. Der Chef und die Kollegen brüllen sich in ihrer Muttersprache an.

11:55 Uhr: „Wo ist die Fliegenfalle?“, fragt Mark Blum. Im Lichtstrahl der Taschenlampe sind die Fliegen an der Decke deutlich zu erkennen. „Ich bin schon mehr als eine Stunde hier und die hintere Tür steht immer noch weit auf.“

Um Punkt zwölf ordnet der Lebensmittelkontrolleur an: „Das Restaurant wird geschlossen“

12:00 Uhr: Der Kontrolleur, inzwischen ohne weißen Kittel, setzt sich im Restaurant an den Tisch und zieht eine Ordnungsverfügung aus der Aktentasche. „Wie kriegen wir die Kuh vom Eis?“, fragt er den Restaurantleiter, doch der schaut ratlos aus der Wäsche. Anderthalb Stunden hat Blum auf Dutzende Mängel hingewiesen, einer schlimmer als der andere. Nun erhält der Restaurantleiter die gesalzene Schlussrechnung. „Sie haben Zeit zum Saubermachen bis morgen früh. Das Restaurant wird geschlossen, es ist ja nicht das erste Mal“, sagt der Mann vom Amt.

12:05 Uhr: Die Ordnungsverfügung ist jetzt ausgefüllt und wird verlesen. Gäste, die sich im Restaurant aufhalten, dürfen noch zu Ende verzehren. Neue Gäste dürfen das Lokal jedoch nicht mehr betreten. Die Eiswürfelmaschine wird gesperrt und eine Grundreinigung angeordnet. Polizei und Ordnungsamt werde man über die Schließung informieren und um Kontrollfahrten bitten. Der beanstandete Fleischklumpen im blauen Abfallsack im Wert von mehreren Hundert Euro wird zu Abfall erklärt. Der Verkauf sei untersagt. Der Kontrolleur verlangt einen Entsorgungsnachweis. „Sonst gibt‘s eine Geldbuße“.

Essener Restaurant muss vorübergehend schließen

12:15 Uhr: Die Schließung des von morgens 8 Uhr bis Mitternacht gut frequentierten Restaurant-Cafés ist die höchste Eskalationsstufe. Eine verantwortliche Mitarbeiterin kommt hinzu und bittet vergeblich um Aufschub. „Nein“, erwidert der Kontrolleur. „Ich muss die Verbraucher schützen.“

12:20 Uhr: Mark Blum setzt eine Frist. Er kündigt sich für den nächsten Morgen um 8 Uhr zur Nachkontrolle an. Sei das Ergebnis der Grundreinigung zufriedenstellend, könne das Restaurant wieder öffnen.

12:30 Uhr: Die für den Außenstehenden spektakuläre Plankontrolle ist beendet. Nun geht es zum nächsten Restaurant.

Nachkontrolle am nächsten Morgen: Der Betrieb darf wieder öffnen

Am nächsten Morgen schaut sich Lebensmittelkontrolleur Mark Blum den Betrieb erneut an. Das Ergebnis ist zufriedenstellend: Die Crew muss die ganze Nacht geputzt und gewienert haben. Hygienemängel seien weitestgehend abgestellt worden, so dass der Betrieb wieder öffnen könne, so Blum. Bauliche Mängel sollen zeitnah beseitigt werden. Eines ist sicher: Spätestens in diesem Sommer muss das Restaurant erneut mit einem Besuch des strengen Mannes im weißen Kittel rechnen .

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