Essen-Kettwig. Jarne hat das Down-Syndrom. Wie der Siebenjährige auf dem integrativen Carolinenhof in Essen-Kettwig seine Entwicklungsverzögerungen aufholt.
Jarne ist ein fröhliches Kind. Immer wieder streicht er über den Hals von Johnny, seinem Reitpferd, lacht, hält sich dann wieder sehr aufrecht im Sattel. Reittherapeutin Birgit Gotthardt hält derweil die Zügel des 16-jährigen Wallachs und dreht mit ihm und Jarne eine kleine Runde um die Koppeln auf dem Carolinenhof.
Dann geht es in eine der Reithallen auf dem weitläufigen Gelände in Kettwig-Laupendahl. Dort stellt sie dem Siebenjährigen ein paar Aufgaben: Jarne muss beispielsweise einen Ball fangen und diesen wieder an sie zurückwerfen. Und er soll mit einem Plastikschwert im Vorbeireiten einen Eimer berühren: Worauf er sich sehr konzentriert und dann auch schafft.
Pferd liefert Impulse für das Gleichgewicht
„Ihn so auf dem Pferd zu sehen und zu erleben, was er inzwischen alles kann, das ist schon toll“, sagt seine Mutter Ilona Kesper. „Von Mal zu Mal gewinnt er mehr Selbstvertrauen“, hat die 40-jährige Kettwigerin beobachtet. Jarne hat das Down-Syndrom, das sich durch motorische und sprachliche Entwicklungsverzögerungen äußert. Seit mehr als viereinhalb Jahren ist er am Hof. „Zuerst nahm er an der Hippotherapie teil“, berichtet sein Vater Thomas Kesper. Ziel war es, dass Jarne überhaupt das Laufen erlernt. „Und das kam sehr schnell“, erinnert sich der 42-Jährige.
Die Hippotherapie ist im medizinisch-physiotherapeutischen Bereich der Reittherapie angesiedelt. „Dabei werden über den Pferderücken dreidimensionale Schwingungen auf die Patientinnen und Patienten übertragen. Die dabei entstehenden Impulse ermöglichen ein gezieltes Training des Gleichgewichts“, erläutert Hippotherapeutin Bianca Sontwoski.
Seit gut einem Jahr ist Jarne zur Reittherapie gewechselt. Einmal pro Woche übt er auf dem Carolinenhof mit Johnny. „Es geht darum, bestimmte Aufgaben zu bewältigen, etwa das Benennen von Gegenständen“, erklärt Birgit Gotthardt. Die Erweiterung des Wortschatzes komme dann spielerisch ganz von selbst. Neben den körperlichen Entwicklungen sei durch das Miteinander von Pferd und Kind auch eine Verbesserung von emotionalen und sozialen Fähigkeiten möglich. Letztlich werde Jarne selbstbewusster, „was sich auch in der Schule bemerkbar macht“, findet die Mutter.
Jarne kennt darüber hinaus inzwischen auch die verschiedenen Tätigkeiten, die im Reitstall vonstatten gehen. Es sind sich wiederholende, ritualisierte Abläufe, die der Siebenjährige ebenfalls pflegt. So reicht er der Stallhilfe das Halfter, gibt dem Pferd ein Leckerchen nach der Reitstunde. Zum Abschied wird noch einmal ausgiebig gestreichelt und umarmt. „Die Kinder sollen den wertschätzenden Umgang mit dem Pferd als ihrem Co-Therapeuten lernen“, so Birgit Gotthardt.
Gemeinsam die Freizeit auf dem Reiterhof verbringen
300 Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene besuchen pro Woche den integrativen Reiterhof im Essener Süden, berichtet Geschäftsführerin Sibylle Braun. Für jeden Teilnehmenden werde die Ausrüstung individuell zusammengestellt. Es gebe eine Vielzahl unterschiedlicher Sättel und Gurte sowie einen Lift, um Rollstuhlfahrern den Aufstieg aufs Pferd zu ermöglichen.
Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sollen gemeinsam ihre Freizeit auf dem Reiterhof verbringen können. Dafür gebe es die Steckenpferd-, Voltigier- und Reitgruppen, in denen jeweils vier Kinder ohne Handicap und zwei mit Beeinträchtigung teilnehmen. Jarnes Schwester Maira ist fünf Jahre alt. „Sie wollte unbedingt auch reiten, nachdem sie Jarne zugesehen hat“, sagt Ilona Kesper. „Sie ist jetzt in einer der integrativen Reitgruppen und hat dort viel Spaß.“
Angebot von inklusiven Ferienfreizeiten
Neben Reittherapie, Hippotherapie, integrativem Reit- und Voltigierunterricht werden aktuell auch wieder inklusive Ferienfreizeiten und der Reitsport für Menschen mit Behinderung angeboten, berichtet Sibylle Braun. Sie erlebe eine besondere Atmosphäre auf dem Hof. Kindern und Jugendlichen würden mit ihren Familien, aber auch allen Erwachsenen etwas ganz Einzigartiges geboten: Abwechslung und Erholung vom Alltag und einen ganz besonderen Umgang mit dem Pferd – angstfrei, motivierend und ohne Leistungsdruck.
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