Essen. Das an die NSU-Anschläge angelehnte Drama „Aus dem Nichts“ nach Fatih Akins Film hatte Premiere in der Casa. Wie aufwühlend war die Premiere?

Es begann mit einer Schweigeminute zur Erinnerung an den Ausbruch des Ukraine-Krieges vor einem Jahr. Und der Intendant des Schauspiel Essen, Christian Tombeil, stellte anheim, was das denn mit dem Terrordrama „Aus dem Nichts“ zu tun hat - alles oder nichts. Schließlich geht es um den Angriff auf eine Demokratie. Inspiriert von den rechtsextremen, rassistischen Anschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), von fehlgeleiteten Ermittlungen und einem ausufernden Prozess, hat Fatih Akin 2017 mit seinem preisgekrönten Film dem Leid der Opfer gedacht. Die Theateradaption von Armin Petras ist jetzt in der aufwühlenden, aber auch symbollastigen Inszenierung von Aisha Abo Mostafa in der Casa des Schauspiel Essen zu sehen.

Ein Prozess zwischen Mut und Verzweiflung

Bilder von glücklichen Tagen mit Nuri auf der Projektionsfläche hinter den schweren Clubsesseln. Eine Hochzeit aus Liebe, eine spielerische Aufforderung zum Kickboxen, eine angedeutete Schwangerschaft. Eine Explosion reißt die zusammengekauerte Katja aus dem Schlaf. Erinnerungsstücke wie ein Boxsack in Form einer Zitrone und ein eindrucksvolles Lampen-Mobile aus Scherben (Bühne: Lena Natt), die ihr Leben gefangen halten. Ihr Mann und ihr Sohn sind bei einem Nagelbombenattentat ermordet worden. Silvia Weiskopf schreit markerschütternd. Die Zuschauerinnen und Zuschauer zucken zusammen.

Wie viel Leid erträgt ein Mensch? Aisha Abo Mostafa entfaltet einen Prozess zwischen Mut und Verzweiflung, der vor der Gerichtsverhandlung beginnt. Mit Fragen der vernunftbetonten Anwältin, die selbst ihre Familie verloren hat und das Rechtssystem durchschaut. Mit einer rührend-flippigen Freundin, die Momente des Unbekümmertseins schafft. Mit einem überheblichen Kommissar, der lange gegen Katja und ein vermeintlich kriminelles Umfeld ihres Mannes ermittelt, statt ihren Verdacht auf einen neonazistischen Angriff ernst zu nehmen. Olga Prokot und Sven Seeburg überzeugen dabei wandelbar in diversen Rollen.

Die gewählte Symbolik schafft eher Distanz

Das Wechselbad der Gefühle begleitet eine mit Bedacht gewählte Musik, die von der türkischen Band Lalalar über Rammsteins „Deutschland“ bis hin zum Soldatenlied „Mama“ von My Chemical Romance reicht und den Schmerz auf den Punkt trifft. Silvia Weiskopf steigert Katja in diese Stimmungsschwankungen zwischen mutiger Wehrhaftigkeit und traurigem Absturz hinein. Was sie in ihren Hochs und Tiefs bis hin zum Selbstmordversuch so nachvollziehbar macht, lässt sie in asiatischen Kampfhaltungen gegen den Nazianwalt oder den Richter geradezu künstlich wirken. Die gewählte Symbolik wie die Anspielung auf Quentin Tarantinos Rachebraut aus „Kill Bill“ schafft eher Distanz, als der berührenden Tragödie ihren Lauf zu lassen.

Dass ein Mensch mehr Leid erträgt, als die Vorstellungskraft zulässt, zeigt dieser Abend. Bis hin zum Racheakt nach einem Freispruch, bis hin zum Zerbrechen einer Existenz, das den eigenen Tod nicht mehr ausschließt. Was das im Publikum auslöst, ist mehr als Mitleid. Es sind Gedanken über Rechtsprechung, Gerechtigkeit und Selbstjustiz. Und nicht zuletzt über die wahre Geschichte der NSU-Attentate, gefolgt von der Gerichtsverhandlung, die zwar mit einer Verurteilung endet, aber die Opfer verständnislos und verletzt zurücklässt.