Essen. Wie Aisha Abo Mostafa die Adaption von Fatih Akins Film „Aus dem Nichts“ auf dem schmalen Grat zwischen Recht und Rache in der Casa inszeniert.
Das Nagelbomben-Attentat in einem türkischen Geschäftsviertel von Köln hat sich in unser kollektives Gedächtnis gebrannt wie der jahrelange Prozess um die rechtsextremen rassistischen Attentate des NSU und die schweigende Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Aus Wut über die verschleppten Ermittlungen, die zunächst in den Reihen der Opfer stattfanden, stellt Fatih Akin in seinem 2018 mit dem Golden Globe ausgezeichneten und für den Oscar nominierter Film „Aus dem Nichts“ das Leid der Hinterbliebenen in den Fokus. Aus gutem Grund wählt die filmaffine Jungregisseurin Aisha Abo Mostafa die Theateradaption des Stoffes für ihr Bühnendebüt in der Casa des Schauspiel Essen. Heute Abend ist die Premiere.
Regisseurin hat selbst Erfahrungen mit Rassismus gemacht
https://www.waz.de/staedte/essen/schauspiel-rueckt-ensemble-in-den-fokus-id235508541.html#:~:text=Sie%20pr%C3%A4sentieren%20das%20Programm%20der,Intendantin%20Vera%20Ring.Wäre da nicht ihr Name, niemand würde sie fragen, ob sie Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat. „Ich habe zwölf Jahre die muslimische Kopfbedeckung Hijab getragen und war rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Das Thema beschäftigt mich sehr“, erklärt die Endzwanzigerin, die sich als Nicht- und Doch-Deutsche bezeichnet. Die Tochter eines Palästinensers und einer Französin, die in Würzburg geboren wurde, ist über das Konsumieren von Kino und das Spielen in der Theater-AG zum Studium Zeitbasierte Medien mit Schwerpunkt Filmregie und Drehbuch an die Hochschule Mainz gekommen.
Nach dem Abschlussfilm „Ugly Little Liar“, der in das Kurzfilmangebot des Festival de Cannes aufgenommen wurde, erhält sie für ihre Lyrik zum Thema Heimat und Menschheit eine Auszeichnung und arbeitet als Regieassistentin in Oldenburg und derzeit in Essen. Das ist für die vielseitig Interessierte keine Abkehr vom Film. „Beides soll mich begleiten. Ich brauche die Abwechslung. Am meisten reizt mich, Geschichten zu erzählen“, sagt sie. Wie die von Katja, die in Armin Petras Bühnenfassung des Fatih-Akin-Films bei einem Nagelbomben-Anschlag ihren Mann und ihren Sohn verloren hat.
Es ist eine fiktive Geschichte, die sich an die Realität anlehnt
Es ist eine fiktive, zugespitzte Geschichte, die sich zwar punktuell an die Begebenheiten anlehnt, aber vor der Verurteilung der Täter entstanden ist und - einen Freispruch aus Mangel an Beweisen vorausgesetzt - einen anderen Verlauf nimmt. Sie erzählt, wie sich Trauer in Wut, Wut in Gewalt verwandelt und Rache für Opfer zur Möglichkeit wird, wenn sie sich vom Rechtssystem im Stich gelassen fühlen. Aisha Abo Mostafa begleitet die von Silvia Weiskopf gespielte Mutter, deren Leben zerstört wurde, in diesem Prozess und lässt sie nicht untergehen. Flankiert von zwei Figuren, die sie unterstützen oder gegen sie arbeiten, will sie dem Publikum zeigen, was in deren Kopf vor sich geht.
Auch wenn die Regisseurin einen klassischen Aufbau in „Aus dem Nichts“ sieht, hat sie sich von dem Antigone-Zitat in dem Drama getrennt. „Wir zitieren ,Kill Bill’ mit einer Rachegeschichte und einer starken weiblichen Figur, die sich wehrt und nicht die üblichen Klischee-Bilder bedient, die es oft in Filmen gibt“, erklärt Mostafa, die mit ihrem feministischen Ansatz und der Ästhetik ihres polarisierenden Lieblingsregisseurs Quentin Tarantino einen modernen Zugang zu der Inszenierung schaffen will.
Ob ihre Zitate erkannt werden oder auch nicht, ob das Scherben-Mobile ihrer Bühnenbildnerin Lena Natt richtig interpretiert wird oder auch nicht, ist für sie nicht entscheidend, sondern wie aus Opfern Täter werden können: „Es gibt eine Pflicht, sich an sie zu erinnern“, sagt sie. „Gerade eine Demokratie erfordert eine ständige Aufmerksamkeit, wenn man sie erhalten will.“