Essen. Beim 4. Forum der Reihe #Zukunft.Essen.Innenstadt von Funke, EMG und Stadt Essen gab es ein klares Abstimmungsergebnis zur Mobilität der Zukunft.
Das Auto – der Deutschen liebstes Kind? Dieser Eindruck wurde – zumindest für Essen – kaum bestätigt beim Forum „Mobile City“ im FUNKE Media Office. Vielmehr zweifelte wohl niemand im Saal ernsthaft an, was Anne Klein-Hitpaß wie folgt zusammenfasste: „Wir fahren in unseren Pkw unglaublich viele leere Sitze durch die Gegend.“ Die Berliner Mobilitätsforscherin eröffnete das vierte und vorerst letzte Innenstadtforum im dicht besetzten Jakob-Funke-Saal.

Tja, es muss sich was tun in Sachen Innenstadtverkehr: Da waren sich so ziemlich alle einig. Denn die Klimakrise erfordert zügiges Handeln, wie Klein-Hitpaß gleich zu Beginn anhand von bunten „Warming Stripes“ verdeutlichte. Jeder Streifen steht für ein Jahr. Und zeigte am rechten Ende, also hin zur Gegenwart, erschreckend viel Dunkelrot (= starke Hitze). Fazit der Berlinerin: „Wir müssen die Städte resilienter machen.“ Und wie? „Für Verschattung und Entsiegelung sorgen, für mehr Straßenbäume.“ Und: „Den Menschen in den Mittelpunkt rücken, nicht das Auto.“ Mut zur Veränderung könne Widerstand erzeugen. „Aber der legt sich.“
Saal-Voting bestätigt Studie: Die Hälfte setzt auf das Auto
Nur: Wie kriegt man den Wandel hin? Und welchen Einfluss haben rationale Einsichten auf das alltägliche Verkehrsverhalten? Hand aufs Herz, so die Frage ans geneigte Publikum – mit welchem Verkehrsmittel sind Sie heute abend angereist?

Die Stichprobe mit dem interaktiven Voting-Tool „slido“ offenbarte ein offensichtlich ehrliches Ergebnis. Auto: 50 %. Bus und Bahn: 20 %. Zu Fuß: 17 %. Fahrrad: 12 %. E-Scooter: 1 %. Das deckt sich mit den Resultaten der Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten der Essener von 2019: 55 % MIV (motorisierter Individualverkehr), je 19 % ÖPNV und zu Fuß, 7 % Rad.
„Da ist viel Luft nach oben“, räumte Essens Umwelt- und Verkehrsdezernentin Simone Raskob ein, die neben der Kölner Verkehrsentwicklerin Stephanie Dietz und Marc Heistermann (Geschäftsführer des Handelsverbandes Ruhr) als Expertin auf dem Podium saß. Allerdings sieht sie positive Zeichen: „Die Dynamik hat zugenommen.“ Sie verwies auf den so genannten „Modal Split“, den die Stadt Essen bis 2035 erreichen möchte: Je 25 % motorisierter Verkehr, ÖPNV, Radfahrer und Fußgänger.
220 Millionen fürs Radnetz, 150 Millionen für die Citybahn
Geradezu ein „Jahrhundertereignis“ ist aus Raskobs Sicht der „RadEntscheid Essen“ von 2020. Der Stadtrat segnete das Bürgerbegehren mehrheitlich und parteiübergreifend ab: Bis 2030 sollen 220 Millionen Euro ins Radwegenetz, in Stellplätze und Sicherheit fließen.
Sorgenkind der Dezernentin sei eher der ÖPNV („mit 80 Millionen unterfinanziert“). Immerhin gebe es einen Meilenstein: Die 150 Millionen Euro teure Citybahn. Ab 2026 soll diese erstmals seit 50 Jahren die oberirdische Straßenbahn zurück in die City bringen. Und neben dem Hauptbahnhof verschiedene Stadtquartiere (u.a. „ESSEN 51“) an die Innenstadt anbinden.
Aus einer Hauptverkehrsstraße wird eine Wohlfühlstraße
Wie man mit mehr ÖPNV und Rad – auf Kosten des Autos – mehr Lebensqualität erzielen kann, dafür hatte die Kölner Abteilungsleiterin im Amt für Straßen- und Radwegebau, Stephanie Dietz, Beispiele. Etwa einen Verkehrsversuch in der Ehrenstraße. Dort soll aus einer Hauptverkehrsstraße eine „klimaresiliente Wohlfühlstraße“ werden. Ein Erfolgsmodell, meint Dietz, mit gut investiertem Geld. Allerdings: „Es gibt Gewerbetreibende, die eine ganz andere Meinung haben.“

Aha, das war nun sozusagen das Stichwort für einen Hauch von Streit in einer sonst sehr einvernehmlichen Diskussion. Meinungen aus dem Publikum: „Das Auto bleibt in puncto Sicherheit, Bequemlichkeit, Flexibilität, Warentransport und Wetterunabhängigkeit unerreicht.“ Oder: „Fahrrad und exzessives Shopping schließen sich einfach aus!“
„Bitte nicht mit dem Holzhammer. Wir müssen alle mitnehmen!“
Marc Heistermann als Repräsentant des Handels (und, wie er sagte, „wahrlich kein Vertreter der Autolobby“) forderte: „Wir müssen alle mitnehmen.“ Die Annahme, Kunden erziehen zu können, wäre verfehlt: „Bitte nicht mit dem Holzhammer draufhauen. Es geht auch um Existenzen!“ Er warnte vor Experimenten. Zur Aufenthaltsqualität gehöre neben Handels-, Freizeit- und Gastronomieangeboten eben auch exzellente Zugänglichkeit.
Frage aus dem Plenum: Wie wäre es mit Parkraum, den man ringförmig um die City schafft – und Autos draußen hält? Heistermann: „Interessanter Ansatz. Man muss aber auch an Ältere und Behinderte denken. Die Innenstadt muss für jeden erreichbar sein.“ Vielleicht sogar mit Golfcarts, wie es ein Leserbriefschreiber angeregt hatte.

Apropos kreative Ideen: Die werden sicher nötig sein, um die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen. Im Voting sprachen sich satte 71 % der Besucherinnen und Besucher für eine autofreie City aus. Das wird wohl nur dann vermittelbar sein, wenn andere Verkehrsmittel – allen voran: Bus und Bahn – deutlich attraktiver werden. Hauptforderungen, zuvor ebenfalls per Live-Voting abgefragt: günstigere Tickets, mehr Pünktlichkeit, „Park and Ride“-Optionen.
Na dann mal los.
>>> #ZukunftEssenInnenstadt: So geht’s weiter
Mit dem 4. Innenstadtforum „Mobile City“ sind die Innenstadtdialoge von FUNKE, Stadt Essen und Essen Marketing GmbH beendet. #ZukunftEssen Innenstadt geht danach munter weiter. Geplante Meilensteine:
- Das aus den Dialogen mitentwickelte neue Leitbild wird im September 2023 den politischen Entscheidern vorgelegt.
- Dieses Leitbild wird Basis eines integrierten Entwicklungskonzeptes, das im September 2024 fertig sein soll. Das integrierte Konzept analysiert Realität und Chancen der City – und setzt auf die tatkräftige Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner sowie von Akteuren aus Handel, Gastronomie und Kultur.
- Erste Maßnahmen sollen 2025 umgesetzt werden.
- Am Samstag, 22. April, erscheint in dieser Zeitung eine große Beilage zur Essener City. Dort fassen wir den Stand der Dinge, Perspektiven und zentrale Aspekte wie Sicherheit, Sauberkeit, Mobilität und Gastronomie zusammen.
- Alles zu den Innenstadtforen (inklusive Streams) finden Sie unter: www.waz.de/staedte/essen/zukunft-innenstadt/
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Das sagen unsere Partnerinnen und Partner zum Entwicklungsprozess #ZukunftEssenInnenstadt
„Die Sparkasse hat den klaren öffentlichen Auftrag, ein gutes Leben aller Menschen in Essen zu fördern. In diesem Sinne unterstützen wir gerne den Entwicklungsprozess #ZukunftEssenInnenstadt. Für die Stadt wünsche ich mir ein Zukunftsbild von einem Raum, in dem die Menschen gerne leben, arbeiten und Zeit verbringen und der zudem an den Langfristtrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.“ Helmut Schiffer, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Essen
„Die Zukunft der Innenstadt liegt mir als Essener Bürger und Unternehmer am Herzen, weil sie als entscheidender Standortfaktor - unter anderem für die Mitarbeitergewinnung - fungiert. Von dem Entwicklungsprozess #ZukunftEssenInnenstadt verspreche ich mir eine detaillierte Analyse darüber, wie sich die Essenerinnen und Essener ihre Innenstadt der Zukunft wünschen und ihre Ideen nach Möglichkeit auch umgesetzt werden.“ Eckhard Brockhoff, Brockhoff Office/Retail/Invest/Logistics
„Die Wohnbau eG wurde vor über 120 Jahren in Essen gegründet und hat hier ihre Heimat. Wir haben allergrößtes Interesse an einer positiven Entwicklung der Stadt. Nachhaltigkeit bestimmt die Strategie der Wohnbau eG. Wir wünschen uns, dass die Essener Innenstadt zukünftig noch attraktiver und nachhaltiger wird. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Essenerinnen und Essener an dem Ideenfindungsprozess beteiligen.“ Frank Skrube, Pressesprecher Wohnbau eG
„250.000 Haushalten in Essen wird die Telekom den Zugang zu einem Gigabit Anschluss ermöglichen – das ist eines der größten Glasfaserprojekte bundesweit. Eine verlässliche Internetanbindung ist wichtig. Das haben alle in Zeiten festgestellt, in denen viel von zu Hause gearbeitet wurde. Das hat viel mit Lebensqualität zu tun. Der Innenstadtdialog hat die Lebensqualität der Essener im Fokus, deshalb sind wir #dabei.“ Verena Schmitz-Axe, Regionalleiterin Glasfaser West, Telekom Deutschland GmbH
„Als Westenergie sind wir ein regionaler Energiedienstleister und Infrastrukturanbieter. Wir nehmen wahr, dass die Zahl der E-Fahrzeuge stetig zunimmt. Unsere Verkehrsräume wandeln sich immer mehr von einer lauten zur leisen Stadt. Hierfür haben wir bereits vor Jahren mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur begonnen und so die emissionsfreie E-Mobilität unterstützt.“ Petra Kox, Kommunalmanagerin bei Westenergie