Essen. Fred Hüning war noch nie in Duisburg. Mithilfe von Google zeigt der Fotograf in Essen nun aber seine Bilder mit dem gewissen „Schimanski“-Gefühl.
Alle Bilder sind schon da. Sie kursieren im Netz, wo sie irgendwann als Material für ein völlig eigenständiges Fotoprojekt entdeckt werden können. Fred Hüning hat mit diesem digitalen Material ein Bilder-Porträt von einer Stadt im Ruhrgebiet geschaffen, die er selber noch nie besucht hat: Duisburg. „Wovon Maschinen träumen“ heißt seine Ausstellung, die das Pixelprojekt und die Stiftung Zollverein im Rundeindicker der Kohlenwäsche vorstellen.
Unter den vielen Ruhrgebiets-Fotografen, die das Pixelprojekt mittlerweile in seiner umfangreichen digitalen Sammlung zu Aspekten des Ruhrgebiets versammelt, ist Hüning tatsächlich eine große Ausnahme – denn der 56-Jährige hat noch nie im Ruhrgebiet fotografiert. Die Aufnahmen, die der Berliner Fotograf für seine Arbeit ausgewählt hat, stammen ursprünglich von der Plattform Google Street View. Wer sich noch erinnert: Als der Weltkonzern 2008 damit begann, deutsche Städte Straßenzug für Straßenzug abzufilmen und das Bildmaterial ins Netz zu stellen, war der Aufschrei der Datenschützer groß. Nicht nur hunderttausende Gebäude mussten auf Antrag anschließend wieder verpixelt, auch Gesichter mussten unkenntlich gemacht werden.
In Duisburg, wo die fahrende 360-Grad-Kamera vergleichsweise viele Menschen vor die Linse bekam, bevölkern diese gesichtslosen Wesen Bürgersteige, Hinterhöfe und Bushaltestellen – zufällig ins Bild gestolperte Flaneure eines digitalen Großversuchs, den damals noch niemand wollte und der nach kurzer Zeit schon wieder eingestellt wurde. Die Kamera auf dem Autodach fing aber genau die Straßenszenen ein, die Hüning vor Augen hatte, wenn er an Duisburg dachte: Eine Stadt, die er bis dahin nur aus dem Schimanski-Krimi kannte.
Die Menschen sind nur Statisten am Straßenrand – ihre Gesichter unkenntlich gemacht
Nun, Schimmi ist auf seinen Bildern nicht zu sehen, aber ein 80er-Jahre-Duisburg wie man es lange nicht nur im „Tatort“ gesehen hat. Betongrau und konturlos, mit Kumpeln auf dem Weg zur nächsten Schicht und mit schemenhaften Gestalten, die zufällig als Statisten am Straßenrand stehen, mit dem Bierchen am Stromkasten lehnen oder mit der Alditüte zur nächsten Trinkhalle hasten. Es gibt keinen Blickkontakt, keine Pose, keine Inszenierung in diesen etwas grobkörnigen, unscharfen, automatisiert aufgenommenen Bildern, die Hüning ausgewählt und vom Bildschirm abfotografiert hat.
Mehr Infos zum Pixelprojekt
Das Pixelprojekt Ruhrgebiet verfügt über zahlreiche fotografische Serien zu Aspekten der Region Ruhrgebiet. Die rund 10.000 Bilder der digitalen Sammlung widmen sich Themen wie Ökologie, Kultur, Wohnen, Stadt und Sport. Die Ausstellungsreihe „Aktuelle Fotografie im Ruhrgebiet. Pixelprojekt auf Zollverein“ der Stiftung Zollverein und des Pixelprojekt_Ruhrgebiet präsentiert regelmäßig zeitgenössische Positionen und Ruhrgebietsthemen im weitesten Sinne. Eine Jury wählt die Arbeiten aus, zu ihr gehören Vertreterinnen und Vertreter des Museum Folkwang, der Folkwang Universität der Künste, des Ruhr Museums sowie des Historischen Archivs Krupp.„Wovon Maschinen träumen“ läuft bis zum 14. Oktober im Rundeindicker der Zollverein-Kohlenwäsche, täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt 3 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren, Schüler und Studierende bis 25 Jahren frei.
Hüning versteht sich dabei nicht als Kurator, der aus dem vorhandenen Material auswählt, sondern als originärer Bildautor: Google liefere den Datenwust – er suche dann nach den interessantesten Konstellationen und Szenen, bis er den bildwürdigen Ausschnitt gefunden und abfotografiert habe – „als Autor meines künstlerischen Projekts“.
Das nächste Projekt will Fred Hüning in Erinnerung an seinen Vater den Brieftauben widmen
Street Photography, die auch vom heimischen Schreibtisch aus funktioniert und ohne Reisekosten auskommt. Zwischen Weihnachten und Neujahr 2020 hat sich Hüning dem „Wovon Maschinen träumen“-Projekt so „wie im Rausch“ hingegeben. 2021 und 2022 hat er seinen Ruhrgebiets-Blick dann noch weiter schweifen lassen. „Leute“ zeigt Einzelpersonen, die die Maschine in Essen, Bochum oder Dortmund aufgenommen hat. Die Serie „Landschaften“ markiert die menschenleeren Flecken zwischen den Ballungsräumen.
Für Fred Hüning soll die fotografische Ruhrgebiets-Expedition übrigens weitergehen. 2024 will er dann auch wirklich mit der Kamera vor Ort sein, für eine Brieftaubensportgeschichte, als Hommage an seinen verstorbenen, Brieftaubensport-begeisterten Vater. Vom Gefühl her sei er schließlich ein „ganz analoger Typ“, sagt Hüning, „aber trotzdem haben mich Phänomene aus dem Netz schon immer interessiert.“