Essen. Essens langjähriger Stadtarchäologe, Detlef Hopp, hat sich ganz leise aus Essen verabschiedet. Hopps Arbeit war wegweisend, sagt sein Nachfolger.
Johannes Müller-Kissing steht vor einer meterlangen Bücherwand, vollgestellt mit Hunderten von Aktenordnern. Spuren der Essener Geschichte sind darin dokumentiert und solche, die viel weiter zurückreichen – bis in die Eisen- und Steinzeit. Sein Vorgänger hat ihm die Ordner hinterlassen. Nein, Johannes Müller-Kissing fängt wahrlich nicht bei null an, wenn er sich fortan der Stadtarchäologie widmet.
Der 36-Jährige ist der Neue im Amt und Nachfolger von Detlef Hopp. Ja, Essens langjähriger Stadtarchäologe hat sich verabschiedet, still und leise. Nach 30 Jahren. Von einem offiziellen „Auf Wiedersehen“ mit Dankesreden und obligatorischem Blumenstrauß ist nichts bekannt. Das sei Corona geschuldet, heißt es.
Stadtarchäologie in Essen: Detlef Hopp hat sie aufgebaut
Detlef Hopp hat die Stadtarchäologie aufgebaut. Die ersten Jahre als Honorarkraft, von 1999 an fest angestellt bei der Stadt im Institut für Denkmalpflege. Detlef Hopp blieb stets ein Einzelkämpfer, unterstützt von einer Handvoll Ehrenamtlicher.
In der Wissenschaft fand seine Arbeit Anerkennung, in der eigenen Stadt aber fühlte er sich zuweilen wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Sein leiser Abschied in den Vorruhestand passt irgendwie ins Bild.
Nun also Johannes Müller-Kissing. Der 36-Jährige hat Geschichte und Archäologie an der Ruhr-Universität in Bochum studiert. Zuletzt war er für das Lippische Landesmuseum als Archäologe tätig. Seine Doktorarbeit hat er über die Falkenburg geschrieben, eine mittelalterliche Festungsanlage, vergleichbar mit der Isenburg im Stadtwald. „Nur etwas größer.“ Nun erwarte ihn als Stadtarchäologe „das volle Programm“, wie er selbst sagt, von der Früh- bis zur Neuzeit.
Stadtarchäologe Detlef Hopp legte Reste des historischen Hellweges offen
Die Archäologie vergleicht Müller-Kissing mit einem großen Puzzlespiel. Jede Ausgrabung, jede Baustelle, die ein Archäologe begleitet, liefere neue Teile. „Detlef Hopp hat bei null angefangen und 30 Jahre lang Puzzleteile gesammelt.“ Und das Bild ist längst nicht vollständig.
Die Arbeit seines Vorgängers nennt Müller-Kissing wegweisend. Hopp legte beim Bau des Einkaufszentrums am Limbecker Platz Reste des historischen Hellwegs frei und fand in Burgaltendorf Spuren aus römischer Zeit. Glücksfälle für jeden Archäologen. Vor allem aber eröffnete er seiner Zunft mit der Industriearchäologie ein ganz neues Feld. Im Krupp-Gürtel dokumentierte Hopp Reste der ersten kruppschen Fabriken. Mächtige Spannringe aus kruppscher Herstellung sind heute am Kupferhammer in Kupferdreh, einer Außenstelle des Ruhrmuseums, ausgestellt.
Archäologische Funde wie Reste des Silberkuhlsturms werden im Boden belassen
Im Krupp-Gürtel aber ist heute kaum noch etwas zu sehen, was auf Essens Industriegeschichte hinweist. Die alten Fundamente wurden ausgegraben oder untergepflügt. Es passt zur Stadt Essen, die trotz Ruhrmuseum und Welterbe Zollverein ein ambivalentes Verhältnis pflegt zu ihrer Vergangenheit als Industriemetropole. Die ihr Image als Stadt von Stahl, Kohle und Kanonen für immer abschütteln will und sich neu erfindet. Zuletzt als „Grüne Hauptstadt“ Europas.
Aber es ist auch das Schicksal eines Archäologen. Funde werden dokumentiert und verbleiben im Boden. Auch wenn die Öffentlichkeit vielleicht andere Erwartungen hat. Der Silberkuhlsturm, dessen mittelalterliche Fundamente nahe der Gruga überbaut unter der Erde schlummern, ist ein gutes Beispiel dafür. „Der Boden hat eine sehr gute konservierende Wirkung“, sagt Müller-Kissing. „Im Zweifel lässt man es besser drin.“ Denn jeder Eingriff bedeute auch Zerstörung.
Archäologie ist ein vorsichtiges Herantasten an die Geschichte und ihre Hinterlassenschaften. „Ein Herr Schliemann würde heute keine Ausgrabungsgenehmigung mehr bekommen“, sagt Müller-Kissing. Der Entdecker Trojas – oder was er dafür hielt – spornte seine Arbeiter dazu an, sich durch einen Hügel in Kleinasien zu graben wie Berserker. Schliemann hat das öffentliche Bild der Archäologie bis heute geprägt.
Der Alltag eines Stadtarchäologen ist ein anderer. Etwa 100 Baustellen hat Detlef Hopp jedes Jahr betreut. Nicht immer, ja eher selten, treten archäologische Funde zutage. Natürlich gibt es Orte in der Stadt, die vielversprechender sind als andere, die Werdener Altstadt zum Beispiel. Sollte sich dort eine neue Baustelle auftun … „Archäologie“, sagt Johannes Müller-Kissing, „heißt auch, Geduld haben.“
Ausstellung im Rathaus
Einmal im Jahr hat Stadtarchäologe Detlef Hopp in einer Ausstellung im Rathausfoyer der Öffentlichkeit die archäologischen Funde des Vorjahres präsentiert. Während der Coronakrise konnten Funde gezeigt werden. Hopps Nachfolger Johannes Müller-Kissing möchte die Tradition seine Vorgängers fortsetzen. Die nächste Ausstellung werde es aber erst nach Ende der Pandemie geben, voraussichtlich 2023.Detlef Hopp bleibt der Archäologie auch nach seinem Ausscheiden verbunden. Ab April wird an der Ruhr-Universität Bochum Vorlesungen zum Thema Industriearchäologie halten.