Essen. Fast ein Drittel der Essener Kinder kommt bei der Geburt per Kaiserschnitt zur Welt. Der Anteil ist damit höher als im NRW-Schnitt.
In Essen kommt fast jede dritte Kind per Kaiserschnitt auf die Welt. Das geht aus einer Auswertung der IKK Classic hervor. Die Krankenkasse bezieht sich auf das Jahr 2019, in dem laut Statistischem Landesamt in Essen 5822 Kinder geboren wurden, 1826 von ihnen per Kaiserschnitt. Das entspricht einem Kaiserschnitt-Anteil von 31,4 Prozent, im NRW-Durchschnitt waren es 30,3 Prozent.
„Die natürliche Geburt wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr verdrängt“, erklärt Michael Lobscheid von der IKK classic. So habe der Anteil der Kaiserschnitte in Deutschland 1994 noch bei 17,3 Prozent gelegen.
Viele Schwangere wünschen sich einen Kaiserschnitt
Im Essener Elisabeth-Krankenhaus lag die Kaiserschnitt-Quote 2019 bei 32,7 Prozent, sagt Sprecherin Dorothee Renzel. „Unser oberstes Ziel ist natürlich, dass Mutter und Kind gesund sind. Da wir sehr viele Risikoschwangerschaften betreuen und eine hohe Zahl an Mehrlingsgeburten haben, ist der Kaiserschnitt oft die Methode, die das am besten gewährleistet.“ So hat es 2019 in Essens größter Geburtsklinik 52 Zwillingsgeburten sowie je eine Drillings- und eine Vierlingsgeburt gegeben. Manche Frau entscheide sich trotz eines unproblematischen Schwangerschaftsverlaufs für die Sectio (Kaiserschnitt), weil sich davon besondere Sicherheit erhoffe.
Diese Beobachtung hat auch Prof. Dr. Rainer Kimmig gemacht, der die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Essener Uniklinikum leitet: „Die Gesellschaft akzeptiert heute praktisch kein Mindestmaß an Gesundheitsrisiko mehr, mögliche Komplikationen werden nicht als schicksalhaft akzeptiert. Daher gibt es auch eine zunehmende Zahl an Müttern, die einen Kaiserschnitt wünschen.“ Man berate die werdenden Mütter ausführlich und kläre sie auch über mögliche Risiken einer Sectio für weitere Geburten auf. „Wenn die Frau so aufgeklärt wurde, hat sie am Ende die Wahlfreiheit.“
Viele Schwangere fürchten Schmerzen und Komplikationen
Laut IKK Classic ziehen immer mehr Frauen den Kaiserschnitt der natürlichen Geburt vor, weil sie Angst vor Schmerzen und Komplikationen haben. Dabei sei das Risiko, eine Thrombose oder Lungenembolie zu bekommen, beim Kaiserschnitt höher. Auch erkrankten Kaiserschnittkinder häufiger an Diabetes Typ 1, Allergien, Asthma oder Zöliakie. Zudem wirke sich ein Kaiserschnitt auf zukünftige Schwangerschaften aus: Durch die Narbe sei die Einnistung des Embryos in der Gebärmutter häufiger beeinträchtigt.
Dass der Anteil der Kaiserschnitte am Uniklinikum sowohl 2019 als auch 2020 bei rund 34 Prozent lag, erklärt aber auch Kimmig vor allem mit den Risikoschwangerschaften, bei denen Mutter und/oder Kind durch eine natürliche Geburt gefährdet wären. „Wenn sich ein solches Risiko absehen lässt, ist es angezeigt, von vornherein einen Kaiserschnitt zu planen“, betont Kimmig. „Auch wenn sich erst während der Geburt eine Gefahr für Mutter und Kind abzeichnet, ist der Kaiserschnitt häufig der schnellste und sicherste Weg einzugreifen.“ Grundsätzlich sei der geplante Kaiserschnitt dem unter der laufenden Geburt aufgrund seiner geringeren Risiken vorzuziehen und entsprechend häufiger der Fall.
„Die natürliche Geburt sollte der Regelfall sein“
„Eine Rolle für die steigende Zahl von Kaiserschnitten, wenn auch eine untergeordnete, mag auch spielen, dass Geburten ein hohes Haftungsrisiko für Ärzte bedeuten“, sagt der Klinikdirektor. Die Zeiten, da der Eingriff selbst als hochriskant galt, seien indes vorbei. „Vor 100 Jahren bedeutete ein Kaiserschnitt in der Regel eine erhebliche Gefahr für das Leben der Mutter, heute besteht nur noch ein äußerst geringes Risiko für die Frau.“ Der Kaiserschnitt sei nicht mehr die Notfallmaßnahme, die man nur wähle, wenn gar nichts anderes mehr gehe.
Als erste Wahl sieht Kimmig die Sectio aber nicht: „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die natürliche Geburt der Regelfall sein sollte; schon weil jeder operative Eingriff wegen seines Risikos gut begründet sein muss.“