Essen. Zappa war hier, Degenhardt auch, doch nun ist endgültig Schluss: Das bekannte Jugendzentrum Essen (JZE) an der Papestraße in Holsterhausen wird nun abgerissen. Dabei hätte die Einrichtung in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiern können. Viele haben persönliche Erinnerungen an das JZE.
Eine traurigere Ironie kann ein Goldjubiläum kaum bringen: Ausgerechnet an seinem 50. Geburtstag wird das traditionelle Jugendzentrum (JZE) Papestraße in Holsterhausen für immer verschwinden. Wohl mit nicht vielen Häusern in der Stadt sind so viele persönliche Erinnerungen verknüpft.
So wie die von Detlev Mahnert. Der heute 72-jährige ehemalige Lehrer hat die heißeste Zeit hier erlebt, die wilden 1960er und 1970er. „Das war eine Diskutier- und Musikbude“, berichtet der Mann, der auch ehrenamtlich mitgearbeitet hat. „Im Keller gab es Kleinkunst, Kabarett, Jazz, Chansons. Man saß auf Holzkisten, dazu gab es Baguette und billigen marokkanischen Rotwein“, so Mahnert und weiß nicht mehr, ob die höllischen Kopfschmerzen danach vom dichten Zigarettenqualm oder dem billigen Fusel aus Nordafrika stammten.
Stadt investierte 1964 unglaubliche fünf Millionen
Die Rechnung von OB Wilhelm Nieswandt war aufgegangen. Heute unglaubliche fünf Millionen Mark gab man 1964 für Essens erstes zentrales Jugendzentrum aus, das vor allem eins und damit alles mögliche sein sollte: Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Zunächst als Treff der Essener Jugendverbände gedacht, entwickelte das JZE unter der Leitung von Bernhard Graf von Schmettow schnell ein Eigenleben. Da kündigte sich schon die Soziokultur der 1970er Jahre an. Die Bürger sollten sich einbringen.
Es waren unruhige Jahre damals. 1967 die ersten Kabarett-Tage, ein Jahr später der erste Eklat, als das Rock-Kabarett „Floh de Cologne“ die Hintern blank zog. 1968 dann schlagartige Berühmtheit: Vom JZE aus organisierte man die „Internationalen Songtage“, von vielen Fachleuten als die Geburtsstunde eigenständiger deutscher Rockmusik gefeiert. Im Beirat an der Pape-straße saßen unter anderem die Rocker Alexis Korner und Frank Zappa, Kabarettist Hanns Dieter Hüsch oder der später berühmte Konzertveranstalter Fritz Rau.
Liebe seines Lebens getroffen
Und Detlev Mahnert, der über die Songtage ein Buch geschrieben hat. „Die ausverkaufte Auftaktveranstaltung im JZE mit Franz-Josef Degenhardt und Hüsch war legendär“, berichtet er. Noch nachhaltiger für Mahnert: Er traf hier die Liebe seines Lebens, Ehefrau Annette.
Viele Gäste kamen und gingen seit 1964. Die Gruppe Kraftwerk und der junge Helge Schneider, Herbert Grönemeyer, Günter Grass und Bundespräsident Gustav Heinemann. In den 1980er Jahren rückte die Kinder- und Jugendarbeit mehr in den Fokus. Politisch blieb es immer, zumeist irgendwie links. 1983 erklärte man das JZE zur „Atomwaffenfreien Zone“. Kein Wunder, dass das endgültige Aus von massiven Protesten begleitet wurde, bis hin zur Besetzung durch Jugendliche Mitte 2011. Genutzt hat alles nichts. Für viele Essener in fast jedem Alter bleiben nur die Erinnerungen an die Papestraße.
Am Ende nur eine "Schrottimmobilie"
Am Ende ist es nämlich nur noch eine Schrottimmobilie: 1,5 Millionen Euro kostet der Abriss des Jugendzentrums. Bauleiter Harald Greupner kündigt an: „Ende April ist der Komplex weg“, so der Mann der Grundstücksverwaltung Essen.
Doch zunächst ruht die Abrissbirne in Holsterhausen, denn das Haus ist, so Baudezernentin Simone Raskob, ein „typisches Kind“ seiner Zeit. Asbest, PCB und noch einige gefährliche Stoffe mehr waren 1964 an der Papestraße verbaut worden. Nicht zuletzt deshalb hatte man von einer Sanierung abgesehen, die am Ende wohl in ähnlichen Preisregionen wie bei einem Neubau geschwebt hätte. Einen ganzen Monat haben die Fachleute für das Entfernen der Schadstoffe vorgesehen, die dann von den Entsorgungsbetrieben Essen übernommen werden.
Rund 8000 Tonnen Schutt erwartet
Noch einmal zwei Monate lang wird die Abrissbirne, bzw. die Bagger-Schaufel, über dem gewaltigen Komplex kreisen. Rund 8000 Tonnen Bauschutt erwartet man. Die umstrittene Drachenskulptur im Hof von Künstler Adolf Wamper wird geschützt, ein neuer Standort ist noch nicht gefunden. Wamper war wegen seiner NS-Vergangenheit ins Gerede gekommen. Ein Vorstoß des Landes, die Skulptur unter Denkmalschutz zu stellen, scheiterte am Veto der Essener Politiker.
An der Zukunft des 12.000 Quadratmeter großen Geländes arbeitet derzeit die Essener Wirtschaftsförderung (EWG). Man hofft, hier Dienstleistungsbetriebe anzusiedeln, eventuell auf kleinen Abschnitten Wohnbau.