Essen-Huttrop. Als Lehrer schrieb der Essener Klaus Lindemann über sein Gymnasium Borbeck, das nun 120-Jähriges feiert. Doch die Liste seiner Bücher ist lang.
Pädagoge, Germanist, Historiker und Autor: Als Heimatforscher suchte und fand Klaus Lindemann seine Themen oft im direkten Umfeld, verarbeitete dabei gerne persönliche Erlebnisse. Seine Beiträge zur Schulgeschichte des Ruhrgebiets entwickelte Klaus Lindemann vor allem am Beispiel des Gymnasiums Borbeck, wo er lange Zeit selbst Deutsch und Geschichte unterrichtete. Die Schule selbst feiert jetzt 120-jähriges Bestehen.
„Unter dem Titel „Dies Haus, ein Denkmal wahrer Bürgertugend“ skizzierte Klaus Lindemann anhand des „Gymbo“ als Schule im Zentrum der Montanindustrie die Veränderung der Schulkultur in Essen von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.
Auch seine jüngsten Veröffentlichungen waren lokalhistorische Werke über die Stadtteile Holsterhausen und Rellinghausen. Letzterem Stadtteil widmete er unter Mitarbeit seiner Frau Valeska mehrere Bände, in denen auch die NS-Zeit ausführlich dargestellt wurde. Aber auch beispielsweise zum 100-jährigen Bestehen der Bergerhauser Kirche St. Hubertus forschte das Historiker-Ehepaar in Archiven und brachte dazu im Jahr 2015 sein letztes Buch heraus.
„Kriegstourismus“ in Rüttenscheid
Der Wahl-Huttroper Klaus Lindemann stammt eigentlich aus Rüttenscheid, erblickte jedoch das Licht der Welt in den Städtischen Kliniken in Holsterhausen. Der 1. Juni 1941 blieb ihm jedoch auch aus einem tragischen Grund in Erinnerung: „An diesem Pfingstsonntag fiel kurz nach meiner Geburt die erste Bombe auf Rüttenscheid.“ Eingeschlagen war diese auf dem früheren Clara-Platz, heute Rüttenscheider Stern, und verwüstete dort ein Blumengeschäft. „Das hat mir meine Mutter Gertrud nach Kriegsende erzählt.“
Internationale Anerkennung
Mit seinen zahlreichen Büchern und Veröffentlichungen hat sich der Essener Wissenschaftler Klaus Lindemann national wie international einen Namen gemacht. Darunter sind literaturwissenschaftliche und schulhistorische Veröffentlichungen. Dazu zählt die im Jahr 1982 von Lindemann herausgegebene „europa Lyrik 1775 - heute“, die in einem Raster mit 25 Jahresintervallen jeweils ein Gedicht in deutscher, englischer, französischer und einer weiteren europäischen Sprache im Original und in moderner Übersetzung vorstellt. Auch dabei arbeitete Klaus Lindemann direkt mit Wolfgang Sykorra zusammen, beide als Autoren.Besonders dieses Werk, das aus der Unterrichtsarbeit des Gymnasiums Borbeck unter Mitarbeit zahlreicher Wissenschaftler hervorgegangen ist, hat in der deutschen Literaturgeschichte ein lebhaftes Echo ausgelöst. Es sind 37 Originalinterpretationen.Sein Buch Der Papagei würdigte „Der Spiegel“ auf seinen „Kultur-Seiten“; die „Süddeutsche Zeitung“ zählt es zu den 1000 weltweit bedeutsamsten „von der Norm abweichen(den)“ Ereignissen des Jahres 1994.
Klaus Lindemann lernte also schon in jungen Jahren, wie eng im Krieg Leben und Tod beieinander liegen. Der Bombeneinschlag damals sorgte für großes Aufsehen: „Viele Schaulustige kamen aus der gesamten Stadt, um Fotos von der Einschlagstelle zu machen.“ Später wurde dieser „Kriegstourismus“ radikal unterbunden und es gab nur noch einen ausgewählten Fotografen, der die Kriegsberichterstattung bebildern durfte.
Erinnerungen an junge Flakhelfer
Als Kind des Krieges waren die militärischen Wirren für Lindemann allgegenwärtig. Er erinnert sich, wie er mit seinen Eltern im Bunker neben der Goetheschule in Rüttenscheid ausharrte und den bedrohlichen Klängen über ihren Köpfen lauschte. Auf dem Bunker stand eine Zwillings-Flak, die in der Regel von älteren Soldaten bedient wurde. „Doch zum Ende des Krieges wurden auch ganz junge Burschen als Flakhelfer eingesetzt“ erinnert sich der 80-Jährige noch wie heute. Ein letztes, verzweifeltes Aufgebot, das Lindemann später in einem Buch literarisch aufgreifen sollte: „Ich habe die Flakhelfer anhand der Jahrgänge ermittelt und persönlich befragt.“
Doch bis es soweit war, verfolgte er seine Ausbildung konsequent: Nach seinem Abitur an der Goetheschule studierte Lindemann Germanistik und Geschichte in Bonn und Freiburg, wo er promovierte. „Im Jahr 1971 trat er eine Lehrerstelle am Gymnasium Borbeck an, wo er bis zu seinem Ruhestand unterrichtete“, erinnert sich sein langjähriger Kollege Wolfgang Sykorra, der 20 Jahre lang das Borbecker Gymnasium leitete.
„Lehrer zu sein und selbst zu unterrichten war immer mein Herzenswunsch“
Lehrer zu sein, das war stets Lindemanns Herzenswunsch Neben seiner Tätigkeit als Fachlehrer arbeitete Lindemann auch als Lehrerausbilder am Staatlichen Studienseminar Essen und zwischen 1985 bis 2006 auch als Fachberater bei der Bezirksregierung Düsseldorf sowie als Mitglied in Prüfungsausschüssen für das Erste und Zweite Staatsexamen. „Ich prüfte die Abiturvorschläge, die damals noch von den Schulen selbst entwickelt wurden, ob diese auf dem selben Niveau waren und den Vorgaben entsprachen.“ Seine Tätigkeit als Lehrer gab er jedoch nie ganz auf. „Selbst zu unterrichten, war mir immer die größte Freude.“
„Der Papagei“ war Lindemanns größter publizistischer Erfolg
Als sein größter publizistischer Erfolg gilt das Buch Der Papagei. Hinter diesem Buch verbirgt sich eine humoreske Geschichte: So habe ihn sein Vater im Kindesalter in den damaligen Ruhr-Zoo Gelsenkirchen eingeladen. „Dort begrüßten sprechende Papageien die Besucher. Das hat mich total fasziniert.“
Von seinem ersten verdienten Geld erwarb Klaus Lindemann deshalb einen Grünflügelsittich, der bald schon Zuwachs durch weitere Papageien bekam. Übrig blieb bis heute nur Graupapagei „Mäxchen“, der bereits 35 Jahre alt ist. Ein nahezu biblisches Alter für einen im Haus gehaltenen Vogel.
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Ende der 1980er Jahre reiste Lindemann mit seiner Frau Valeska nach Dominica, einem kleinen Inselstaat in der Karibik, der einen violetten Papagei als Wappentier führt. „Ein solches Exemplar wollte ich unbedingt in seinem natürlichen Lebensraum sehen“, schwärmt er noch heute. Dies habe ihn zuletzt dazu bewegt, das Buch „Der Papagei“ zu schreiben, in dem er die Geschichte seiner bunt gefiederten Freunde in der Deutschen Literatur erklärt.