Essen. Experten üben harte Kritik am Vorsitzenden der Stiftung Universitätsmedizin Essen. Er hatte sich kritisch über die Corona-Impfungen geäußert.
Der Chefvirologe der Uniklinik Essen, Prof. Dr. Ulf Dittmer, hat den Behauptungen vom Prof. Dr. Karl-Heinz Jöckel zur Corona-Impfung deutlich widersprochen. Der Vorsitzende der Stiftung Universitätsmedizin Essen hatte einen Aufruf gegen die Impfpflicht mitverfasst und unterzeichnet. Darin heißt es etwa, es sei wissenschaftlich nicht bewiesen, dass die Impfung für jeden Bürger „mehr Nutzen als Schaden stiftet“. Die Aussagen verärgern auch den Vorsitzenden der Essener Ärztekammer und Essens Gesundheitsdezernenten.
Essener Chefvirologe versichert: Impfung ist für Kinder extrem sicher
Auf Nachfrage hatte Jöckel erklärt: „Jede medizinische Intervention hat Nebenwirkungen, auch Impfen. In diesem Fall gibt es sogar potenziell tödliche Nebenwirkungen. Wieso sollte man gesunde Kinder impfen, obwohl das für sie keinen Nutzen hat, aber die Gefahr einer Herzmuskelentzündung birgt?“ Dazu erklärt Prof. Dittmer nun, dass die Herzmuskelentzündung tatsächlich die schwerste mögliche Nebenwirkung der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff sei, er betont aber: „Zum Glück verläuft sie meist moderat und ist gut zu behandeln. Sie tritt bei 10.000 Impfungen ungefähr einmal auf, wobei Studien hier zu etwas unterschiedlichen Ergebnissen kommen.“
Bei Covid-19-Erkrankungen träten Entzündungen des Herzens hingegen viel öfter auf, so Dittmer. Und zwar selbst dann, wenn die Erkrankung mild verlaufe. „Studien sprechen hier von bis zu 60 Prozent.“ Dittmer mahnt eindringlich: „Herzmuskelentzündungen nach Covid-19 sind sehr viel häufiger und schwerer zu behandeln als nach der Impfung. Das gilt auch für Kinder!“ Beim Impfstoff von Biontech werde Kindern nur ein Viertel der Dosis für Erwachsene verimpft, um die Gefahr einer Entzündung des Herzens zu senken. „Die Impfung von Kindern ist damit extrem sicher“, betont der Virologe.
Auch der Vorsitzende der Ärztekammer Essen, Dr. Matthias Benn, weist Jöckels Behauptungen klar zurück: „Von potenziell tödlichen Nebenwirkungen der Impfung zu sprechen, ist fahrlässig: Alle Studien zeigen, dass die Nebenwirkungen höchst selten auftreten und meist milde verlaufen.“ Jöckel ist kein Mediziner, sondern studierter Betriebswirt und Mathematiker, er lehrt medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie an der Uni Duisburg Essen. Den Internisten Benn ärgert insbesondere, dass Jöckel die Impfkampagne beschädige: „Die Äußerungen von Prof. Jöckel sind nicht hilfreich in Zeiten, da wir mit allen Kräften auf eine Durchimpfung der Bevölkerung hinwirken und uns ein Bein ausreißen, um die Menschen zum Impfen zu bewegen. Es ist nicht zielführend, wenn ein Universitätsprofessor Wasser auf die Mühlen der Impfgegner und -skeptiker gibt.“
Impfpflicht als Schutz für Patienten und Bewohner von Pflegeheimen
In dem von Jöckel mitgetragenen Aufruf zweifeln mehr als 50 Wissenschaftler und Mediziner aus ganz Deutschland an, dass es hierzulande überhaupt eine medizinische Notlage gibt. Sie erklären, eine Corona-Impfung könne für bestimmte Personengruppen eine „Körperverletzung“ bedeuten. Daher weisen sie eine allgemeine Impfpflicht ebenso wie eine für medizinisches und Pflegepersonal als „unhaltbar“ zurück. Der Vorsitzende der Stiftung Universitätsmedizin, die die Uniklinik millionenschwer fördert, begibt sich damit in krassen Widerspruch zur Haltung des Klinikums.
Das macht Chefvirologe Dittmer nun noch einmal ganz klar: „Eine Impfpflicht im Gesundheitswesen ist unverzichtbar. In allen deutschen Krankenhäusern hat es in dieser Pandemie unzählige Übertragungen von Personal auf Patienten gegeben. Leider auch mit Todesfolgen.“ In Seniorenheimen sei das Personal sogar die häufigste Infektionsquelle für die Bewohner gewesen. „Diese tragischen Fälle sind durch die Impfung drastisch reduziert geworden.“ Wenn es im Gesundheitswesen die Möglichkeit gebe, das Infektionsrisiko für die Patienten erheblich zu senken – wie aktuell durch die Boosterimpfungen – sei man geradezu verpflichtet, das zu tun. Dabei müsse man auch an Krebspatienten und Organtransplantierte denken, die sich kaum durch Impfung selber schützen könnten.
Rat an den Stiftungschef: Außenstehende sollten sich nicht äußern
Fast wortgleich äußert sich auf Facebook auch Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel. Ohne den Namen Jöckel zu nennen, schreibt er zudem: „Ich habe tatsächlich keinerlei Verständnis für Funktionsträger, die u.a. unser Gesundheitssystem repräsentieren, die – privat oder dienstlich – den Wert und die Wirkung der Impfungen gegen Corona in Zweifel ziehen. Dies ist gesundheitspolitisch naiv und verantwortungslos.“ Ungut für Jöckel: Renzel sitzt im Kuratorium der Stiftung Universitätsmedizin.
Ulf Dittmer empört offensichtlich auch, dass Jöckel und seine Mitstreiter eine medizinische Notlage in Deutschland anzweifeln. „Ob wir auf den Intensivstationen und Covid-19-Normalstationen eine andauernde Ausnahmesituation und Überlastung haben, können nur die beurteilen, die dort arbeiten“, erklärt er. Die Aussagen des Pflegepersonals seien hier ziemlich deutlich. Augenscheinlich an Jöckels Adresse gerichtet, rät Dittmer: „Dazu sollte man sich als Außenstehender nicht äußern.“