Essen. Für ein paar Minuten durften Mieter aus 13 Wohnungen in die Brandruine, um das Nötigste herauszuholen. Für manche ein Besuch auf der Schutthalde.
Der strahlende Sonnenschein und der blaue Himmel dahinter, sie nehmen der verrußten Ruine an diesem Montag ein bisschen was von ihrem Schrecken. Aber schönes Wetter, das ist nun wirklich das letzte, wofür Yannic Martin und seine Freundin Marina sich jetzt interessieren. Sie sind zur Mittagszeit an der Bargmannstraße eingetroffen, um zu sehen, was die Brandkatastrophe vor einer Woche von ihrer schönen Wohnung im zweiten Stock übrig gelassen hat. Es wird ein kurzer Besuch.
Denn viel ist da nicht: eine verkohlte und teils geschmolzene Computer-Festplatte, ein paar Unterlagen im angesengten Ordner, angekokelte Papiere. Auf dem Handy zeigen sie die Bilder dessen, was die Flammenhölle übrig ließ: Ein undefinierbarer schwarzer Klumpen Asche, wo einst das Klavier stand, ein geschmolzenes Etwas, das mal die Playstation war, und aus der Asche ragen die Sprungfedern vom Boxspringbett.
Zur Brandursache noch kein Kommentar
Noch gibt die Polizei keine Einschätzung in der Frage preis, ob der Großbrand im Univiertel durch Brandstiftung oder einen technischen Defekt entstanden ist. In der vergangenen Woche seien viele Zeugen und auch Geschädigte befragt worden, so ein Polizeisprecher. Deren Aussagen werden nun zusätzlich ausgewertet.Bei dem Feuer sind in der Nacht zum 21. Februar 39 der 50 Wohnungen in dem sieben Jahre alten Gebäude ausgebrannt, über 100 Bewohner verloren ihr Zuhause.
„Das riecht zwar alles“, sagt Mieter Markus Schlüter, „aber wir sind happy“
Insgesamt 13 der 39 Miet-Parteien können an diesem siebten Tag nach dem Inferno zum ersten Mal ihre vier Wände betreten. „Ein paar Minuten Zeit“ gesteht die Polizei ihnen zu, so bestätigt Polizei-Sprecher Matthias Werk. Begleitet von Brandermittlern, die aufpassen, dass keine statisch problematischen Bereiche betreten werden, sollen die Leute „das Nötigste“ holen – was immer auch jemand für das Nötigste hält.
Und mancher hat ja Glück: Markus Schlüter und seine Frau etwa haben ihre Geldbörse schon von einem der Brandermittler überreicht bekommen. Und finden in ihrem Arbeitszimmer, auf der vom Brandgeschehen abgewandten Seite ihrer Wohnung im vierten Stock, nicht nur Fotobücher und seine alte Jugendweihe-Uhr. Sie bergen vielmehr auch eine Menge Unterlagen unversehrt, die so manchen nervigen Behördengang ersparen: „Das riecht zwar alles“, sagt Markus Schlüter, „aber wir sind happy“.
Vivawest will im baugleichen Nachbarbau nun doch Balkonverkleidungen entfernen
Und bereit, sich auf etwas Neues einzulassen: An diesem Montag sind sie zu Wohnungsbesichtigungen aufgebrochen. Auch Vivawest hat ihnen ein neues Zuhause angeboten, im gleichen Quartier, gleich gegenüber. Schlüter und seine Frau prüfen sich allerdings noch, „ob man das denn wirklich möchte“.
Immerhin, Vivawest tut alles, um etwaige Sicherheitsbedenken zu zerstreuen. Nachdem man in der vergangenen Woche noch rundheraus von sich wies, bei den baugleichen Wohnhäusern in unmittelbarer Nachbarschaft aktiv werden zu müssen, lenkt das Wohnungsunternehmen nun ein: Sichtlich bemüht, die hie und da geäußerten Sorgen der Nachbarn zu entkräften, hat man sich gemeinsam mit der städtischen Bauaufsicht und der Feuerwehr nun doch darauf geeinigt, die Balkonverkleidungen sowie die Trennwände dort kurzfristig zu entfernen. Zudem stellt Vivawest eine Brandwache.
Die Mieter sind voll des Lobes über den Einsatz des Wohnungsunternehmens
Daneben wird die Miete des Brand-Hauses rückwirkend zum 1. Februar erlassen, noch brauchbare Möbel aus der Brandruine will Vivawest kostenlos ausräumen und einlagern, und in einer WhatsApp-Gruppe hält man Mieterinnen und Mieter jederzeit auf dem laufenden. Renate Bartos, 82-jährige Mieterin aus jenem Punkt-Gebäude, das dem abgebrannten Gebäuderiegel gleich gegenüber liegt, ist voll des Lobes über diesen großen Einsatz. Bammel hat sie nicht, „auch wenn ein komisches Gefühl bleibt“.
Während an den Hausnummern 27 bis 33 die Arbeit der Brandermittler bereits abgeschlossen ist und die Häuser in Absprache mit der Staatsanwaltschaft an Vermieter Vivawest übergeben wurde, ist in Hausnummer 25 nach wie vor noch Roboterhund „Herbie“ auf Spurensuche. Ein vorbeiflanierender alter Mann staunt: „Sindse schon am Reparieren da?“
„Sieht so aus wie da, wo wir wohnen“, denkt sich Yannic Martin, als er die TV-Bilder sieht
Nein, zu reparieren gibt es hier nichts, höchstens zu recherchieren: Die Aufmerksamkeit gilt einer Terrasse im Erdgeschoss und dem dort stehenden Grill. Gleich vier Brandsachverständige sind hier zugange, Experten der Kriminalpolizei aber auch von der Firma Diehl & Stey, einem Sachverständigenbüro für Brand- und Explosionsursachen aus dem Westerwaldkreis.
Yannic Martin und Freundin Marina haben dafür keinen Blick. Das junge Paar, er Chemieingenieur, sie Maschinenbau-Ingenieurin, wissen ohnehin nur aus dem Fernsehen, was in der Brandnacht vor sich ging: Sie waren bei seinen Eltern zu Gast, schliefen auswärts und sahen morgens die TV-Bilder: „Sieht ja so aus wie da, wo wir wohnen“, dachte sich Yannic Martin noch.
Die Hausratversicherung wurde erst im Dezember abgeschlossen: „Das war knapp“
Es sah nicht nur so aus. Nun wohnen sie bei ihren Eltern, einigermaßen ernüchtert, dass sie nicht mehr haben retten können als ein paar Unterlagen und verkohlte Untersetzer, bei denen man nicht mal erkennt, wo der Schiefer beginnt und der Brandruß endet. Ach, und diesen Geschenk-Gutschein, der eingeklemmt in einem dicken Buch die Höllentemperaturen überstand. Sie trägt ihre Erinnerungen im Plastikmüllbeutel weg und hofft, dass der gerettete Ordner und die Festplatte bei einer gelungenen Datensicherung das bisherige Leben wieder ausspucken.
Er aber hat nichts. Die schöne eigens geweihte Taufkette, die sein Großvater ihm einst aus Israel mitbrachte, hat er noch gesucht und nicht gefunden. Yannic Martin geht das sehr nahe: Pfeif auf das Klavier, die Playstation und den anderen Kram, alles ersetzbar, aber die Kette bleibt verschwunden. Man muss es einen schwachen Trost nennen, dass die zwei, die erst im April vergangenen Jahres zusammengezogen sind („Wir hatten nicht mal alles fertig aufgebaut“, sagt Marina) im Dezember endlich die Hausratversicherung abgeschlossen haben. „Das war knapp.“
Auch Markus Schlüter ist gottlob hausratversichert, auch wenn er noch nicht weiß, was diese alles ersetzen wird. Für die Zeitung hat er ein Bild aus seinen Schlafzimmer zur Verfügung gestellt: Ein schwarz-grauer Haufen Schutt. Wenn’s ein Foto-Honorar gibt, will er nichts davon haben: „Bitte an die Caritas für die Ukraine spenden“, schreibt er.
Es ist das komische Gefühl, in all dem Elend noch auf der glücklichen Seite zu sein.