Essen. Auch wenn es keine Verpflichtung gibt, sollen private Gas-Kunden ihren Verbrauch spürbar drosseln, schon um der gefährdeten Wirtschaft zu helfen.

Stadtwerke-Chef Peter Schäfer stimmt die Essener Gas-Kunden auf harte Zeiten ein und rät den Privathaushalten, sich frühzeitig vor der Heizperiode mit dem Thema Sparen zu beschäftigen. Zwar gehören Privathaushalte anders als die Industrie zu den sogenannten „geschützten Kunden“, die bei der Gasverteilung in einer Mangellage Vorrang genießen. Doch appelliert Schäfer, sich darauf aus übergeordneten Gründen nicht um jeden Preis zu berufen.

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Stadtwerke: Jeder muss abwägen, ob ein Komfortverzicht nicht das kleinere Übel ist

„Es wird immer deutlicher, dass die Lage sehr ernst wird“, sagt Schäfer. Zwar werde es wahrscheinlich für die Privaten genügend Gas geben, um den normalen Standard zu halten, wobei auch dies keineswegs sicher sei und vom reibungslosen Funktionieren aller politisch verfügbaren Gas-Importe abhänge. Doch wenn der Preis dafür die Stilllegung und teilweise Zerstörung der heimischen Industrie wäre, solle sich jeder Bürger fragen, ob ein vorübergehender Komfortverlust nicht das kleinere Übel ist.

Hier wird im Zweifel Essener Unternehmen das Gas abgestellt: Leitstelle der Stadtwerke in Altenessen.
Hier wird im Zweifel Essener Unternehmen das Gas abgestellt: Leitstelle der Stadtwerke in Altenessen. © Unbekannt | Stadtwerke Essen

Bei einer Gas-Mangelsituation wären nicht nur Hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet, auch zahlreiche Güter und Dienstleistungen stünden wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtungen wahrscheinlich nicht oder nicht mehr vollständig zur Verfügung. „Das geht sehr schnell alle etwas an, man kann sich nicht davor drücken“, warnt Schäfer.

Vier Grad weniger in der Wohnung soll rund 30 Prozent sparen

Mit einem oder zwei Grad weniger beim Heizen sei es allerdings nicht getan. Der Stadtwerke-Chef empfiehlt, die Raumtemperatur von jetzt durchschnittlich 22 Grad auf 18 Grad zu senken und sich mit Pullover und warmen Socken zu behelfen. „Da wird niemand erfrieren, aber bei vier Grad weniger liegt das Sparpotenzial bei etwa 30 Prozent“.

Wenn dann noch das Heizen auf wenige Zimmer konzentriert wird, der Rest der Wohnung oder des Eigenheims nur so warm ist wie zur Frostsicherung und Schimmelvermeidung nötig, könne jeder Haushalt weitere 20 Prozent sparen und somit insgesamt seinen Gasverbrauch halbieren. Bei 67 Prozent Gesamtanteil privater Haushalte am Essener Gasverbrauch käme da schon einiges zusammen.

Das Argument, mitzuhelfen eine umfassende Wirtschaftskrise zu vermeiden, ist nach Ansicht von Schäfer zugkräftiger als der Spar-Anreiz. Denn zumindest viele Wohlhabende seien durchaus in der Lage, selbst exorbitant steigende Gas-Kosten relativ mühelos zu tragen. Mancher andere Bürger würde vielleicht verdrängen, dass er eine finanzielle Überforderung riskiert, denn die Nebenkostenabrechnung kommt ja stets mit mehr oder weniger großem Zeitverzug.

Peter Schäfer, Vorstandschef der Stadtwerke Essen, setzt auf Information und Einsicht bei den Kunden.
Peter Schäfer, Vorstandschef der Stadtwerke Essen, setzt auf Information und Einsicht bei den Kunden. © FUNKE Foto Services | Knut Vahlensieck

Kontrollieren oder gar sanktionieren lässt sich der Gasverbrauch der Haushalte nicht

Die Stadtwerke haben deshalb nicht nur eine Plakataktion gestartet. Sie wollen auch mit den großen Wohnungsgesellschaften, die immerhin rund ein Drittel des Essener Wohnungsbestands besitzen, eine Informationskampagne starten. Vorgaben machen könne man den geschützten Kunden allerdings nicht und kontrollieren oder gar sanktionieren lässt sich der Gasverbrauch der Haushalte ebenfalls nicht - „schon aus technischen Gründen ist das unmöglich“, sagt Schäfer. Und Polizeistaatsmethoden bei der Wärmekontrolle seien aus gutem Grund ausgeschlossen.

Anders ist die Lage für Unternehmen, die rund 28 Prozent des in Essen verteilten Gases benötigen. Sieht man ab von geschützten Bereichen wie Krankenhäusern oder Heimen und der ebenfalls privilegierten „kritischen Infrastruktur“ wie Feuerwehr, Polizei, Verwaltungen gibt es hier in der Regel keinen Anspruch, während einer Mangellage mit Gas versorgt zu werden.

Einige Essener Unternehmen sind Gas-Großabnehmer

Bei rund 80 Netzkunden der Stadtwerke können die Tagesverbräuche sogar per Fernübertragung abgelesen und auch gestoppt werden. Die Aluminiumhütte der Trimet in Bergeborbeck, die Spezialchemie-Produzent Evonik und die beiden in Essen angesiedelten Glashütten spielen in einer anderen Liga und erhalten das für den Betrieb lebensnotwendige Erdgas von überörtlichen Netzbetreibern. So versorgt der Essener Ferngasnetzbetreiber Open Grid Europe insgesamt direkt sechs große Unternehmen im Stadtgebiet, die allein im vergangenen Jahr fast eine Terawattstunde Gas verbraucht haben.

Die Wirtschaft arbeitet fieberhaft daran, wo immer möglich von Gas auf andere Energieträger umzustellen, wobei sich kaum ein Unternehmen derzeit in die Karten schauen lässt. Bis das russische Gas, auf welchen Wegen auch immer vollständig kompensiert ist, vergingen aber mindestens zwei Jahre, schätzt Schäfer. Bis dahin gelte es, als Gesamtgesellschaft irgendwie über die Runden zu kommen.