Essen. Wann würde Gasmangel zum echten Problem? Ein Teil der Stadtwerke-Antwort könnte beunruhigen, denn kompensieren lässt sich der Energiehunger kaum.

Vor ein paar Wochen noch dachten sie bei den Stadtwerken, ihr größtes Problem sei in diesen Zeiten dieses vermaledeite Coronavirus, wenn es nennenswerte Teile der Belegschaft für ein paar Tage niederstreckt. Und jetzt schreiben sie Briefe an große Gewerbekunden: „Kann sein, dass wir Ihnen im Krisenfall den Gashahn zudrehen müssen.“ Mit freundlichen Grüßen.

Die tatsächlich gewählte Formulierung jener Briefe, die da Mitte Februar in den Versand gingen, sie klingt ein wenig umgänglicher, irgendwas mit „Es ist nicht auszuschließen“. Sie beschreibt aber den gleichen Kern: Dass man sich angesichts der Ukraine-Kriegs auch in der Stadtwerke-Zentrale an der Rüttenscheider Straße mit dem Szenario einer sogenannten „Gasmangel-Lage“ befassen muss. Das war weit weit weg von der Lebenswirklichkeit der Verantwortlichen beim Essener Versorger – und rückt nun näher, als es allen Beteiligten lieb sein kann.

Gasverbrauch in Essen

Der Gasverbrauch in Essen liegt bei etwa drei Terawattstunden, das sind drei Milliarden Kilowattstunden. Etwa 55 bis 60 Prozent nutzen die Stadtwerke Essen für ihre Kundschaft in Privathaushalten und Gewerbebetrieben, der Rest geht entweder direkt an Großverbraucher oder an Drittanbieter.

Die Stadtwerke beschaffen ihr Gas gemeinsam mit Gelsenwasser an Handelspunkten. Gekauft werden aber nur Gasmengen, nicht etwa eine bestimmte Erdgas-Lieferung aus Russland, Norwegen oder den Niederlanden.

Sieben Jahre lang hielten die Stadtwerke einen Anteil von 4,55 % an der Gas-Union GmbH. Die kommerziellen Erwartungen erfüllten sich allerdings nicht, so dass die Beteiligung im Herbst 2020 wieder abgestoßen wurde – mit einer Wertberichtigung von 13,7 Millionen Euro.

Der Gasspeicher in Epe ist nur zum saisonalen Ausgleich von Nachfragespitzen gedacht

„Wir müssen uns darauf vorbereiten“, sagt Peter Schäfer, Vorstandschef der Stadtwerke, und dabei sei es völlig unerheblich, aus welchem Grund der Erdgas-Engpass im Ernstfall ausgerufen wird – ob ein Embargo die Lieferungen stoppt oder die russischen Vertragspartner ihrerseits die Ventile zudrehen. Es träfe eine Stadt mit einem Jahresverbrauch an Erdgas in einer Größenordnung von etwa drei Terawattstunden, drei Milliarden Kilowattstunden also. Rund 55 bis 60 Prozent davon gehen an Stadtwerke-Kunden.

Und fest steht: Diesen Energie-Hunger anderweitig zu stillen, ist nur in begrenztem Umfang möglich. Der Gasspeicher im westfälischen Gronau-Epe etwa, an dem die Stadtwerke noch zu 12,5 Prozent beteiligt sind, er ist dazu gedacht, die saisonal schwankende Gas-Nachfrage in der Region auszugleichen, zumal wenn die Preise für kurzfristige Nachkäufe am Spotmarkt durch die Decke gehen. Der Kavernen-Speicher nahe der deutsch-niederländischen Grenze bei Enschede ist aber definitiv zu klein, um als eiserne Reserve Lieferausfälle über einen längeren Zeitraum zu kompensieren. Davon ab: Mit einem Füllstand von 439 Millionen Kilowattstunden war der Speicher Epe Anfang März zu gerade mal 21 Prozent gefüllt.

„Frieren für den Frieden“ ist in der warmen Küche schnell aufs Transparent gepinselt

Das Flüssigerdgas LNG? Teuer, dürfte aber eine Hilfe sein und könnte die Lieferausfälle „teilweise auffangen“, sagt Schäfer. Wasserstoff? Eine Alternative in eher fernerer Zukunft. Energie sparen? Auch ohne Gasmangel-Lage keine schlechte Idee, signalisieren die Stadtwerke. „Frieren für den Frieden“ und „Pullover gegen Putin“ sind in der warmen Küche als Demo-Parole gleichwohl schnell aufs Transparent gepinselt, zumal die Privathaushalte ja zu jenem „geschützten Bereich“ gehören, der nach den Paragrafen des Energiewirtschaftsgesetzes von einem Gasmangel zunächst nicht betroffen ist.

Peter Schäfer, Vorstandschef der Stadtwerke Essen
Peter Schäfer, Vorstandschef der Stadtwerke Essen © FUNKE Foto Service | Sebastian Konopka

Problematischer sähe die Lage für Essener Gewerbekunden aus, die nach gesetzlicher Definition nicht zu diesem „geschützten“ Sektor zählen. Das sind, sagt Stadtwerke-Chef Schäfer etwa ein Fünftel der Unternehmen: Die Messe gehört genauso dazu wie die Stauder-Brauerei oder – die Stadtwerke selbst. Was ihnen im Ernstfall blüht, wenn die Bundesnetzagentur die Rolle des so genannten „Bundeslastverteilers“ übernimmt und die Gasverteilung steuert, lässt sich ohne allzu große Geheimniskrämerei auf der Internetseite der in Essen beheimateten Open Grid Europe GmbH nachlesen, die mit 12.000 Kilometern etwa ein Drittel des bundesdeutschen Fernleitungs-Netzes betreibt.

Drei Stunden Zeit für die Stadtwerke, um im Notfall auf Formular B zu antworten

Danach kommt Formular B aus dem Leitfaden Krisenvorsorge Gas zum Einsatz: Open Grid Europe schreibt eine „Information über Engpasssituationen“ an die Stadtwerke, und diese muss den Eingang innerhalb einer Stunde bestätigen. „Schnellstmöglich“, spätestens aber drei Stunden nach dem Krisenfall müssen die Stadtwerke dann das aktuelle Abschaltpotenzial melden, also jene Gasmenge, die im Krisenfall nicht benötigt wird. Wenn gewünscht, auch stundenscharf.

Die Essener Stadtwerke räumen ein, dass sie sich mit einem solchen Notstands-Szenario erst wieder haben vertraut machen müssen. Darum die Briefe, darum die Bitte an die „nicht geschützten“ Gewerbekunden, Ansprechpartner zu benennen. Dass es so weit kommt, dass man noch weiter Notfallplanungen forcieren muss, sei schwer vorstellbar, signalisiert Schäfer. Und doch liege die Wahrscheinlichkeit „deutlich höher als vor einem Jahr“.